28
Jun
2010

Es war einmal Antigone

Wir saßen uns an einem der winzigen Tische des Alt-Wiener Kaffeehauses in der Provinzstadt gegenüber. Rosa Marmor mit abgesplitterten Lack. Damals war es mir Heimat, das alte Traditionskaffee. Dort wohnten die, die mich das Leben lehrten und immer öfter durfte ich bei ihnen sitzen. Ich war ein hübsches Mädchen, ein verhurtes Gretchen wie der Prinzipal später einmal meinte, als er kurz erwog, mich im Faust zu besetzen. Eine belesene Lolita in Mutters grünem Tweedkostüm aus den 60er Jahren oder Vaters alter Lederjacke. Original Clarks an den Füßen, weite weiße Hemden, ebenfalls von Papa, schwarze Rollkragenpullis und enge Jeans. Ich rauchte Smart Export und Selbstgedrehte, trank Weiß Gespritzt und war Liebkind des Oberkellners, der schon mal einen Tisch für mich räumte und sein Proviantglas bei mir abstellte.

Das Central war meine Bühne in jenen Jahren. Meine Mitakteure, mein Publikum werde ich nie vergessen. Einer hat den Schwermetallgehalt in Schnecken gemessen und hatte Statist als Berufsbezeichnung im Pass stehen, eine war Schauspielerin und harzte Beine, einen liebte ich, weil er hässlich war und mich das rührte, einer war ein berühmter Arzt, der Jahre später meiner Mutter Schlaganfall behandelte, einer war der Vater des Frettchens, das ich später liebte, auch weil mir sein Gesicht so vertraut war, einer war Ethno-Botaniker und vertraut mit Tollkirsche und Fliegenpilz, einer war Journalist, stets auf der Jagd nach Naturkatastrophen, einer war das Auge, das mich mich selbst schön sehen lehrte, eine war seine Freundin, Krankenschwester im Irrenhaus, einer war der Erste und ich liebte ihn, eine seine Freundin und sie wusste es wohl nicht.

Einer war der Prinzipal, dem ich an diesem Abend alleine dort begegnet bin. Uns verband die Liebe zum Theater und die Liebe zum Ersten. Er hatte ihn – lange vor mir - (geliebt) den Ersten in seiner androgynen Schönheit und seiner Sinnlichkeit. Wie er mich wahr genommen hat, weiß ich nicht, ich war wohl eine Art hübsches Spielzeug, dass „seine Buben“ ins Theater geschleppt hatten, einmal auch zu ihm nach Hause zu einem Filmabend, das einzige Mädchen war ich, durfte ich sein. Doch nie vorher und nachher haben wir so gesprochen wie damals an diesem Tisch. Nicht über ihn, den wir liebten. Über Theater und über Ödipus. „Hätte es Jocaste nicht wissen müssen, dass der mit den durchbohrten Füßen ihr Sohn ist, dass sich die Prophezeiung erfüllt und hat sie sich schließlich erhängt, weil ihre Lüge aufflog?“ fragte er.

In meinem Bücherregal steht noch immer die Antigone von Jean Anoulih – sie war wohl damals auch Teil unseres Gespräches, sie hat mich bewegt und fasziniert. Das Buch hat meinem Vater gehört: „Dem jungen Doktor alles Gute für die Zukunft. Schützenheil. Weihnachten 1953“ steht drinnen, mit schwungvoller Unterschrift, jedoch unleserlich diese. Und ich seh mich wieder in meinem fremden Kinderzimmer stehen, das aufgeschlagen Buch in Händen, die Türe zu, nicht verschlossen - Schlüssel brauchen wir nicht - deklamierend. Ganz Antigone, die Tochter von Ödipus, aus voller Seele und voller Überzeugung: „Ihr widert mich alle an mit Eurem Glück! Mit Eurem Leben, das man lieben muss, koste es was es wolle. Man könnte meinen, es wären Hunde, die alles belecken, was sie finden. Diese kleine Chance für alle Tage, wenn man nicht zu anspruchsvoll ist. Ich will alles, sofort – und ganz. Oder aber ich verweigere es. Ich will nicht bescheiden sein und mich mit einem kleinen Stück begnügen, wenn ich schön brav gewesen bin. Ich will heute sicher sein, daß es alles sei und daß es so schön sei wie damals, als ich ganz klein war – Oder sterben.“

Weiter hinter im Buch finde ich eine Postkarte aus Fatima. Johannes Paul II segnet. Sie stammt von jenem alten Priester, den ich einst, bei den Toleranzgesprächen kennen gelernt hatte, und der mich – in seinen Briefen aus Brasilien für eine „Schwester im Geiste“ hielt. Ich war nie mutig genug, ihn aufzuklären, dass ich das wohl eher nicht bin. Ich war nicht einmal mutig genug, den Kontakt aufrecht zu erhalten.

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Auf der Karte steht: „Dir liebes Kind widme ich diese Karte. Bleib deinem Leben treu. Widerstehe der Versuchung.“
Ein getrocknetes Rosenblatt fällt aus dem Buch.
942 mal erzählt

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walhalladada - 28. Jun, 16:05

"Nicht mit zu hassen, mit zu lieben bin ich da!"

katiza - 28. Jun, 20:12

.

profiler1 - 28. Jun, 20:06

nestbeschmutzerin, bezeichnet innsbruck als provinzstadt ;-)

katiza - 28. Jun, 20:18

...zugegeben mit Weltstadtambitionen...;-)

Anousch O. - 8. Jul, 23:20

Der schönste Text, den ich seit langem gelesen habe.

(Die Antigone nicht gespielt zu haben, steht auf der Minus-Seite meines Lebens...)

katiza - 9. Jul, 08:52

Aaaaach Frau Anousch, ich hab Sehnsucht - und so gut ist er wieder auch nicht!
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