18
Mrz
2014

Ach Fallada

Eine Woche leben wir nun hier schon zusammen, meine Mutter und ich. Seit Vaters Tod haben wir nicht so viel Zeit miteinander verbracht und die Zeit damals scheint in weiten Teilen ausgelöscht. Dafür holen mich andere Zeiten ein; die Zeit an und für sich ist eine andere, vergeht anders als sonst in meinem Leben. Jeden Morgen um 7 stehen wir auf. Mama macht ihr Bett, das Bad, Ordnung, ich mache uns ein Frühstück. Sie isst wenig. Dann kehre ich die Küche, wische die verschiedenen Stiegen, versuche ihr ihre Ordnungen aufrecht zu erhalten. Das macht sie glücklich. „Du bist halt doch meine Tochter“, sagt sie und ich bestätige. Nur manchmal versuche ich Grenzen zu setzen. Ich lebe ihr Leben hier, nicht meines. Meines erhalte ich per Smartphone und Social Media, in gestohlenen Momenten aufrecht. „Ist das alles Arbeit“, fragt sie, während sie hinter mir vorbei schleicht. Wenn sie fertig gegessen hat, erwartet sie, dass auch ich aufhöre und räumt meinen Teller weg. Wenn sie abends um 8 schlafen geht, schaltet sie den Fernseher aus, vergessend, dass ich noch drunten im Wohnzimmer bleibe. Symbiotisch.

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Lange hatte das Kind auf sich warten lassen, damals vor 50 Jahren, bis es schließlich postolympisch gezeugt wurde. Und dann ließ es noch einmal auf sich warten, im Jänner 1965. Die Schisaison hatte wieder begonnen, mein Vater war unterwegs, das Kind schon Tage zu spät. So einsam war sie, erzählt die Mutter, damals bei den Ordensschwestern. Der Mann der Cousine war ihr Frauenarzt und hat dann entschieden, dass sie einen Kaiserschnitt machen. „Zuhause hat die Trude mit dem Essen auf ihn gewartet“, sagt die Mutter bitter. Schrecklich waren die Stunden damals, so allein war sie, erinnert sie sich und der Vater unterwegs. Und eifersüchtig auf das Kind, das da nicht kommen wollte.

An das Naikan muss ich denken, als ich glaubte meine Geburt wieder zu erleben, oder als ich sie wieder erlebt hat, je nachdem, wie man es sehen will. Ich wollte nicht raus aus diesem Bauch, ich wollte bleiben und habe mich nicht bewegt und dann haben sie mich herausgeschnitten. Ich habe meiner Mutter Schwierigkeiten bereitet, eine große Narbe 20 cm, am Nabel vorbei, Jahre hat sie keine Bikinis getragen. Es ist nicht Schuld, nur Erkenntnis, wie schwierig es für das verletzte, einsame Kind, das meine Mutter war, ist, gewesen sein muss, als man ihr ihr Kind aus dem Bauch schnitt. Und wie gerne hätte sie einen Sohn gehabt. Oh sie hat sich bemüht, das kleine Wesen zu lieben und manchmal ist es ihr gelungen.

Sie hat mich offenbar erst später das erste Mal gesehen, es ist jener Teil meiner Geburtsgeschichte, den ich schon als Kind gerne zur Erheiterung erzählt habe. Die Schwestern hatten mich, das dicht schwarz behaarte Baby, mit der Neugeborenen-Hepatitis in ein Dirndl gesteckt. Wie ein Schimpanse in der Eisrevue hätte ich ausgesehen, hat sie mir erzählt und dass sie geweint hat. Vielleicht nicht nur deswegen, mutmaße ich heute.

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Weil der Vater mit dem Kleinkind nichts anfangen konnte, brachte sie mich stets rechtzeitig ins Bett. Sie habe mich sehr umsorgt, täglich pünktlich gefüttert und Berge von Windeln gewaschen, ich war ein braves Kind. Allein gelassen fühlte sie sich auch, als ich mit neune Monaten einen Darmverschluss bekommen habe. Weil schnell operiert und genäht werden musste, ziert eine Narbe meinen Bauch, der ihren nicht unähnlich. Erst als ich gehen konnte, interessierte sich der Vater für mich, erzählt sie dem Wissenschaftercousin und seiner amerikanischen Frau, die uns besuchen.

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Meine erste Erinnerung, wie ich sie in verschiedenen Therapien, berichtet habe, war eine Angsterfahrung. Meine Mutter hatte mich aus dem Gitterbett gehoben und trug mich nachts in Richtung Elternschlafzimmer. Ich muss ein Kleinkind gewesen sein. Irgendwie dachte ich, dass das nicht meine Mutter sein kann, die mich hier am Arm hat, ich spürte keine Liebe. Ich erinnere mich an viel Stunden, die ich traut an ihrer Seite verbracht habe, auf der Küchenbank oder einem Hockerl im Keller beim Bügeln. Sie hat mit mir gesprochen und ich habe ihr zugehört. Ich sehe sie vor mir stehen, wirbelnd kehren, wischen, kochen. Ich beobachte sie.

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Ich erinnere mich auch an Wutanfälle, wenn ich wieder einmal zu patschert war, zu laut, was umschmiss, Unordnung schaffte, an Ohrfeigen, an Dinge, die durch den Raum geschleudert wurden. Und an meine Eltern streitend: „Entschuldige, dass ich auf der Welt bin“, der Satz hallt in meinen Ohren. Einmal floh ich, weil das Shampoo in den Augen brannte, aus der Badewanne, Mama mit der Brause hinterher, durchs ganze Bad soweit sie reichte, ich hatte Angst. Dann hörte ich sie aus dem Wohnzimmer den Vater anrufen, er möge sofort kommen, das Kind sei verrückt, es müsse in eine Anstalt. Scheinheilig sei ich gewesen, als der Vater dann kurz darauf aus dem Büro nach Hause kam, ein Luder, das ihn täuschte, weil ich ganz brav getan hätte.

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Lange habe ich ihr hoch angerechnet, das sie sich nach ihren Wutausbrüchen abends vor dem Einschlafen immer entschuldigte: Ich hätte sie einfach gereizt, aber sie hätte nicht zuschlagen sollen, sie habe mich lieb und ich sie doch auch? Ich verzieh. Ich war zu schlampig, sogar meine Haare wehrten sich, indem sie sich aus dem festgesteckten Gogl befreiten. Die Frisur tat weh, straff gezogen und fest gesteckt. Der Friseur entdeckt einmal eine kleine sich bildende Glatze unter dem Gesteck.
Ich habe Buchteln gemacht heute, die waren leider nicht so, wie sie sich sie vorgestellt hat. Zu knusprige Oberfläche, zu wenig flaumig. Notlügen sind nicht ihres, kalt leuchten die Augen der Schneekönigin. Es wird ihr schon zu viel, spüre ich. Es wird mir schon zu viel. Und doch – nachdem ich Einkäufe vorschützend geflohen war, um Raum zwischen uns zu legen – kaufe ich ihr Blumen. Das alte Muster, wann immer sie mich verletzt hat, hatte ich das Bedürfnis sie zu beschenken, ein wenig Reue, dass ich sie so weit gebracht habe, mich zu verletzen.
557 mal erzählt

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testsiegerin - 19. Mär, 09:02

mir tut das sogar beim lesen weh, liebe katiza.

Weberin - 20. Mär, 10:37

ja. aber es hat ja auch etwas befreiendes, den schmerz niederzuschreiben, zu teilen, ungefähr so, wie wenn endlich die tränen ganz still das gesicht hinunterlaufen.
testsiegerin - 22. Mär, 14:26

oh ja, das versteh ich.
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