13
Apr
2014

Bis ich mich geflochten und geschnatzt

Arm dran – Kalauer, Zwölftonmusik aus dem Radio und welke Rosen am Esszimmertisch. Mama hat sich heute Nacht den Arm gebrochen. Um 2:22 ist sie hingefallen, ihr Schreien hat mich, uns aufgeweckt. In einer Art verdrehter Pieta ruhte sie auf den Schenkeln des 1. Offiziers, während ich die Rettung rief. Noch zu Mittag waren wir im Fischrestaurant gesessen, nachdem ich sie auf den Einkaufswagen gestützt durch den noblen Fruchthof gejagt habe. Sie sah großartig aus, mit dem weißen Leiberl, dem pinken Twinset, den grauen Hosen und der passenden Trachtenjacke, „ordentlich“, mehr als. Die Gesichtsfarbe könnte auch von einer Bräunungscreme stammen. Leider keine Hummernudeln, Garnelen aber und Tunfischspaghetti. Arztbesuch am Mittagstisch; Blumen musste ich noch besorgen, im besten Blumengeschäft in der Stadt, „Die müssen meinen Grabschmuck machen.“ Von „Contenance“ sprach Poldi, der Arzt. „Was ist das?“ fragt die Mäuseprinzessin – „Cool mit Würde“, antworten der 1. Offizier und ich. Contenance trifft es: Ich berichte Mama von all dem und wie stolz ich bin.

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„Ihr seid verdammt cool“, sagt der, den ich liebe, als wir um fünf Uhr früh aus dem Krankenhaus heim kommen. Ein Heim, das er still und diskret auch als seines angenomen hat, wie ich stets bedacht, Geräusche zu vermeiden und Ordnungen herzustellen. Befehle zu befolgen, noch ehe sie ausgesprochen und zu dulden, dass sie trotzdem immer wieder ausgesprochen werden. Contenance, nur kein Kontrollverlust, nicht einmal die Anzeichen davon. Nun, da sie endlich Herrscherin ist über all jenes, was ihrem Gefühl nach nie ihr gehört hat, aber Zeit meines Denkens von ihr beherrscht wurde – wie das Universum, ergänzt die kleine Turtle. Kein Fleck entgeht ihr, jede Sünde, jeder Verstoß werden offensichtlich. Und so räume ich im Morgengrauen den Kübel, den ich geholt habe, falls sie erbrechen müsse, noch schnell hinter die Kellertüre. Irgendwann dann liegen wir am Wasser, irgendwo dort draußen ist das Vorderdeck und mit der Lust schreie ich den Schmerz und die Angst hinaus in das Haus, das bald meines sein wird.

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Ich muss die Treppe wischen, drei Rettungsmänner in groben Schuhe kamen durch die regnerische Nacht und haben ihre Spuren hinterlassen. Aus Mamas kritischen Blick war heraus zu lesen, was sie immer wieder gerne zum Amusement des Publikums erzählte. „Ich habe diese blöde Notfalluhr nur wegen meiner Tochter, wenn ich den Knopf drücke kommen sechs Zivis mit schmutzigen Schuhen und schleppen mich ins Krankenhaus zum Röntgen und stecken mich wieder in diese blöde Röhre." Jawoll, so ist es - bis auf die Röhre und dass es nur drei waren. Morgen hole ich sei heim, weg von der alten Frau, die im Schlaf röchelt, dem Christus an der Wand und den hinten offenen Hemden heim, ich muss nur noch aufräumen.

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Und meine Haare, irgendwann morgens in der Unfallambulanz fuhr sie mir mit ihrem Blick wie mit einer harten Haarbürste durchs frisch gewaschene, lockige Haar. Wenn ich mit ihr bin, trage ich es nicht mehr offen, zu „unordentlich“. Meine Haare waren ihre Haare, gute gebürstet im schmerzlichen "Gogl" am Oberkopf zusammengesteckt mit spitzen Nadeln, bis der Friseur vor Haarausfall warnte, blond, blond liebt sie mich, die knallrote Locke hingegen führte zu ganz großem Drama, Enterbung und viele, viel schlimmer, wochenlanges Schweigen, Heimatbesuche nur mit Kopfbedeckung inklusive diverser Geburtstagsfeiern, Ächtung. Haarrevolutionen, Haarspaltereien: "Blond hast du mir am Besten gefallen". Der Arzt würde enttäuscht sein, dass ich nicht mehr so schön blond sei, fürchtet sie. Grau ist er geworden, der Schulfreund. Ich binde meine Haare zusammen. Seltsam, oder? Vorauseilender Gehorsam ist nicht so meine Sache dachte ich, aber vielleicht doch. „Überdurchschnittliche Anpassungsfähigkeit. Von der Königinnentochter bis hin zur Gänsemagd.

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Alles, was ich weiß, weiß ich schon so lange, Märchen, Mythen, Zitate, Buch-Staben, stets vor Augen, das Rätsel geht immer auf, das Spiel wird immer wieder gewonnen. Einst in einem anderen Leben vor 30 Jahren träumte mir eines Nachts, ich hätte in einem Spiel die Antwort gefunden auf alle Fragen des Lebens - 42 erfuhr ich erst später – ich hatte die Antwort aber vergessen. Auf einem knatternden Moped, brüllte ich die Geschichte damals meinem Freund ins Ohr, es war staubig und heiß. Und doch stimmt es, seit damals und länger, trage ich die Antwort mit mir herum und langsam formt die sich. Die Antwort war immer da. Schon vor 42 Jahren. Aber oder und: „Der Tod ist groß. Wir sind die Seinen, Lachenden Munds. Wenn wir uns mitten im Leben meinen. Wagt er zu weinen. Mitten in uns.“ Rainer Maria Rilke

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testsiegerin - 13. Apr, 21:11

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la-mamma - 14. Apr, 16:26

drück dich ganz fest.

steppenhund - 14. Apr, 16:55

.

Eigentlich sollte der Punkt reichen.
Aber die Berichte erinnern mich an den Tod meiner Großeltern und meiner Eltern.
Ich war selbst in dieser Hinsicht glücklich.
Der Vater meines Vaters starb im Krankenhaus mit 93 Jahren. Er war bis dahin in der Lage, sich in seinem Haus selbst zu versorgen, ziemlich fit. Er war beim Auswechseln einer Glühbirne von der Leiter gefallen, hatte sich einen Arm gebrochen. Nach drei Tagen im Krankenhaus schlief er ein. Wir mir erzählt wurde, war das ein bekanntes Phänomen.
Meine Großmutter mütterlicherseits hatte einmal einen Oberschenkelhalsbruch erlitten, von dem sie sich nie mehr ganz erholte. Als sie starb, schien es ein natürliches Phänomen zu sein. Ihr Mann lebte noch einige Zeit danach, war mit einem Glas Wein und der Kronenzeitung zufrieden und kam mir immer als sehr gut gelaunt vor. Ich muss meine Frau fragen, wie er eigentlich starb, denn ich habe keine Erinnerung daran. Das einzige Wort, das mir dazu einfällt, ist friedlich.
Meine Mutter hatte eine lange und traurige Krankheitsgeschichte. In der Jugend war sie an TBC erkrankt. Obwohl sie ausgeheilt wurde, war ihre gesundheitliche Kondition immer auf des Messers Schneide. Meine Schwester war geplant, sie kam noch während des Krieges zur Welt, während ich eigentlich gar nicht da sein sollte. Eine weitere Schwangerschaft galt als viel zu anstrengend für sie.
Sie wurde 75 Jahre, wobei in den letzten Jahren ein Schilddrüsenkrebs erfolgreich behandelt wurde. Eine gewisse Senilität machte sich aber bemerkbar und sie wurde gegen Schluss vor allem gegenüber meinem Vater sehr verbal ausfällig. Trotzdem lebten meine Eltern alleine in ihrem Haus, bis meine Mutter eines Tages einen Zusammenbruch hatte. Auch sie verstarb am dritten Tag im Krankenhaus. Als ich sie besuchte, machte sie auf mich einen ruhigen und ausgeglichenen Eindruck. Sie hatte natürlich Schmerzmittel intus, aber irgendwie kam mir vor, dass sie "jetzt" ganz zufrieden war. Eigentlich konnte sie das ja auch sein, wenn man bedenkt, was bei ihr als Erfolg gewertet wurde. Ein Hofrat zum Mann, erfolgreiche Kinder, eigenes Haus. Irgendwie konnte sie das Gefühl haben, (obwohl das nicht immer so schien) dass sie ihren Teil geleistet hatte.
Mein Vater verlebte die letzten sechs Jahre bei uns in Brunn. Er hatte Parkinson, unsere Kinder waren bereits alt genug, sodass meine Frau ihn pflegen konnte. Er wurde 90 Jahre alt. Mein Vater ist für mich nicht wirklich gestorben. Er ist zu präsent in meinen Gedanken, in Dingen, die ich noch von ihm habe und noch nicht aufgearbeitet habe. (Positive Dinge) Manchmal fühle ich mich verpflichtet, etwas von seinen Vorträgen wieder aufzuwärmen. Auch sein Lebensabend erschien von außen betrachtet friedlich. Größte Freude machten ihm unsere Hunde, die er verwöhnte. Seit seinem 80. Lebensjahr hatte er mit dem Klavierspiel aufgehört oder aufhören müssen. Mich wunderte es, dass er so viel fern sah. (Ich kann das mittlerweile ganz gut verstehen, weil ich selbst auch beim Lesen mittlerweile sehr ermüde.)
-
Wenn ich hier lese, werde ich auf eine gewisse Rückbesinnung hingeführt. Wie viel "Glück" habe ich mit meinen Eltern gehabt. An sich schon zu ihren Lebzeiten. Aber auch der Tod war im Vergleich mit deiner Mutter einfach. Wie oft habe ich schon gelesen oder auch gehört: eigentlich wünsche ich mir nur einen einfachen Tod.

steppenhund - 14. Apr, 23:53

späterer Nachtrag

Ich habe gerade mit meiner Frau "Zurück nach Dalarma" gesehen. Die Regisseurin würde sich wünschen, dass man nach Ende des Films seine Lieben anruft und ihnen sagt, dass man sie lieb hat.
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Es erscheint in deinen Texten in diesen schwierigen Zeiten, dass Du deine Mutter sehr liebst. Möglicherweise können Frauen da viel vorbehaltloser auch negative Aspekte ausklammern. Bei all dem, was Du in früheren Zeiten geschrieben hast, ist es für mich sehr schwer, mich in deine Lage zu versetzen und mich so wie du zu verhalten. Umso mehr bewundere ich deine Haltung.
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Und die Märchenzitate aus den Überschriften rühren sehr.

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