Lebens-Wert

3
Apr
2011

Wofür es sich zu leben lohnt…

Früh wache ich auf, schlunze den ganzen Vormittag im Bett herum, pfeif auf’s Einkaufen, streune um die Blogs und lese Robert Pfaller „Wofür es sich zu leben lohnt“ und weiß genau, dass es sich zu leben lohnt; dafür.

Und dann Retz, schnell war der Entschluss gefasst am Abend der Lesung, den Profiler heimzusuchen bei seiner Eröffnung. Schon gegen Mittag machte ich mich per Zug auf in den Norden – der Shuffle-Gott bläst mir Art Blakey ins Ohr. Tell it like it is. Das Saxophon berührt mich. Draußen zieht die Landschaft vorbei, mein Leben nicht.

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Und wieder die wohlige Näher vertrauter Fremder. Der Profiler hat uns sofort erkannt und zugegeben Frau Testsiegerin und ich boten in der ländlichen, sonnigen Kleinstadt doch einen etwas originellen Anblick. Und da war sie wieder, diese ansatzlose vertraute Gesprächsebene, das Geschenk des Verstehens, die Freude aneinander, das Leben miteinander zu teilen. Rasch war der Hund erkannt und die wunderschöne schwarze Katz, die Frau an Profilers Seite. Ein erstmaliges Sehen wie ein Wiedersehen.

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Der große Empfang für den neuen Gastronom war schon in vollem Gange, als wir wiederkehrten – nun eine Handvoll, ergänzt um Madame, die Elfenhäuslerin, Meertau. Der Koch und Wirt ließ es sich nicht nehmen, quer über den Platz zu eilen und uns zu begrüßen. Da mag sich schon so manche g‘standene Retzerin gefragt haben, wer denn die bunten Damen seien, die da so heiter im Schankraum versammelt waren und immer wieder den Gastgeber an ihren Tisch lockten. Das Gasthaus, über dessen Werden wir so gerne gelesen haben ist so wunderschön geworden. Das vertraute Bild an der Wand. All das, was diese zwei Menschen sich da geschaffen haben.

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Viel gelacht, viel gesprochen…und wissend, dass ich bald wieder kommen will, die viel versprechende Speisekarte austesten.

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„Es sind jene Leute, die das Leben als Gabe begreifen. Wenn man das Leben als Gabe begreift, dann behandelt man es als Geschenk, bei dem man eine Verpflichtung hat – nämlich die Verpflichtung, etwas von dem Geschenk auch weiter zugeben.“
Robert Pfaller „Wofür es sich zu leben lohnt“

Solche Leute kenn ich!
Dafür lohnt es sich zu leben.
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27
Mrz
2011

Heimaten

Wieder Innsbruck. Wie eine Touristin, eine Fremde, sitze ich in einem Straßencafe in der Altstadt mit Blick aufs „Goldene Dachl“. Asiatische Urlauber schießen heitere Gruppenbilder. Ob Japaner dabei sind, frage ich mich und wie es denn urlaubenden Japanern ging und geht in diesen Tagen, aber dann schiebe ich die Frage wieder weg und halte Ausschau nach bekannten Gesichtern, nach irgendjemand Vertrauten. Doch ich sehe nur Fremde und bleibe selbst fremd.

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Wie anders waren die letzten Tage in der kleinen Stadt am See umgeben von Bergen. Ständig sind mir vertraute Gesichter begegnet wie es bei Tagungen eben so ist, wenn sich eine Menschengruppe über einen Ort ergießt, man trifft sich beim Hotelfrühstück, auf den Straßen, im Kongresszentrum, bei Essenseinladungen und schließlich spät nachts in den Bars und Diskos – und über allem liegt ein wenig Landschulwoche. Ich habe (m)einen Platz gefunden in der Arbeitswelt, als eine Art seltsamer Satellit im Dienst der guten Seite…
Und irgendwie habe ich mich in der anderen, fremderen Bergwelt dieser Tage geborgener, angekommen und mehr zu Hause gefühlt als hier in der Ursprungsheimat.

Und dann mit dem Steinmetz über das Vatergrab sprechen – es wird Zeit es in Auftrag zu geben. Durch die Gedanken der Mutter schleicht der Tod, die schwindenden Kräfte machen ihr Angst, der Lebenswille muss immer härter erkämpft werden. Nachts, wenn sie wach wird, so erzählt sie mir, plane sie nun eine Reise nach Äthiopien zu den Brunnen, die sie dort bauen lässt für Mimi mein Gotlkind, ihre Bauchmutter, die Frauen dort. Wie sie über Frankfurt nach Addis Abeba fliegt, stellt sie sich vor und von dort übers Land nach Jimma fährt. Alles malt sie sich aus, sogar die Kakerlaken und Wanzen im Hotel – „aber das ist halt so“ – und einen Reisebegleiter, weltgewand und klug genug für die kleine Expedition. Kurz biete ich mich an. Doch das hört sie nicht einmal. Und während wir – wie bei jedem meiner Besuche – den vertrauten Weg vom Friedhof in ihre Heimatstadt spazieren, erklärt sie mir, fest eingehängt in meinem Arm, dass es gut möglich wäre, dass sie dort sterbe in Äthiopien: „Dann lass mich gleich unten begraben.“ Unterwegs unterbricht sie sich immer wieder selbst mit den mir so vertrauten Ergänzungen und Erklärungen: Hier steht das Haus des tüchtigen Cousins, dort will ein schönes Stück Handwerk bewundert werden und da möchte sie nicht in einer Wohnung wohnen. Und dann, als wir unten ankommen, erklärt sie – wie stets: „Nach Wien könnte ich nicht mehr.“

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21
Mrz
2011

Frühlingserwachen

Mein neues Leben ist wie der Frühling.

Da oder dort zeigen sich neue Pflänzchen und sehr langsam wärmt sich die kalte Erde. Noch ist alles unbeständig, das Wetter kann leicht umschlagen von wohlig warm zu bitterkaltem Wind. Sogar Schnee kann noch kommen. Der Frühling ist alle Jahreszeiten, mal eine Sommerstunde, mal ein Oktoberabend, eine Winternacht. Darum ziehe ich mich noch warm an im Frühling, lange Strümpfe in den Monaten mit R. Immer ein Schal, um sich einzuwickeln. Überhaupt: Schichten tragen. Und den Kopf geschützt, bedeckt, Hut oder Mütze über dem zerzausten Haar, denn er ist so stürmisch der Frühling. Deshalb muss ich aufpassen, dass er mir nicht den Hut verweht oder gar den Kopf. Nach einem Bier im Freien oder einem Weiß-Gspritzten schmeckt er, der Frühling und nach Bärlauchpesto, nach Eiern und Kräutern und ein paar Morcheln. Und er riecht so gut – nach Neuanfang, nach Leben, nach Gras und Bäumen und Tulpen und Maiglöckchen und auch nach Bärlauch und alten Bäumen. Nach Küssen.und auch nach gestundeter Zeit. Die Leute lächeln mehr, blinzeln in die Sonne, gehen zu Fuß, fahren Rad oder Tretroller wie ich. Sie flirten hinter Sonnenbrillen. Man zeigt wieder Haut.

Mein neues Leben ist wie der Frühling.


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Übrigens mein bescheidener Beitrag zum Welttag der Poesie, und Ihrer?
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8
Mrz
2011

Zeitreise oder wie ich den G-Punkt wieder gefunden habe

„Die Pogues habe ich bei der Turtle in der Küche kennen gelernt“, sagt Fratello Mio zum Höhepunkt des Geburtstagskonzerts, das ihm sein Freund der Punk widmet. Ein feines Süppchen. „Dort sind wir auch in der Nacht unserer Matura gesessen und haben 80prozentigen Rum getrunken.“

Nur mehr 80prozentiger Rum – für Feuerzangenbowle angeschafft – stand im Regal und im Ghettoblaster drehten sich die Pogues und Jonathan Richman. Hinter dem Lichthof wohnte ein Schauspieler, damals noch nicht Serienheld im Helicopter. Manchmal saß er mit der Turtle in dieser Küche und aß ihren Apfelstrudel. Die Wohnung lag nicht weit entfernt von dem Lokal im Souterrain mit dem eigenartigen Namen, wo das Wohnzimmer der Mock Turtle war. Leben an der Bar, Leben in der Nacht, Leben nicht zu Hause und doch daheim. Vom Stammgast avancierte die Turtle ins Team und kehrte schließlich zum Stammgastdasein zurück. Und dann?

„Wir kennen uns sicher von früher“, meint die hübsche junge Frau an der Bar mit blauschwarzem Haar, die mit dem Geburtstagskind in der Schule war. „Ich war schon ewig nicht mehr da.“ „Irgendwann ist man raus gewachsen“, sind wir uns einig. „Du warst früher auch im G-Punkt?“ fragt der Regisseur heiterer Filmchen, in deren einer ich eine Gastrolle übernehmen durfte. „Hinter der Bar war eine meiner besten Bühnen…“ Dann kennen wir uns von früher…“Wann ist früher?“ „Vor zehn Jahren?““Dann kennen wir uns von jetzt.“

Vielleicht war es in jener Maturanacht, als der Veterinärstudent mit dem zweifarbigen Bart auf meinem Wäschegestell zusammengebrochen ist, vielleicht in einer anderen.Die Wohnung der Mock Turtle und die Küche im Speziellen war Endstation einiger Nächte oder immer wieder Endstation dieser einzigen langen Nacht aus der die Jahre damals zu bestehen scheinen. Im Lichthof graute der Morgen. Sicher es gab auch Tage an der Uni, Theateraufführungen, Vorträge, Kino, Konzerte, Unmengen kluger Bücher, und Stundenlange Diskussionen. Aber es gab auch diese einzige Nacht im Souterrain. If you close the door. Sperrstundmusik.

Mein bäriger Freund ist gekommen, Harley-Fahrer im stets gleichen schwarzen Lederoutfit mit Kinderseele. Wir stoßen an und ich spüre seine brummige Herzlichkeit wie einst. Und auch seine Sorge.

Oft hat er Turtle gerettet vor aufsässigen Gästen, aufdringlichen Affen, zu viel Alkohol oder ihr selbst. Ich glaube er hat die Mock Turtle auf eine sehr schöne Art geliebt. Und an der Bar saßen die Haustiere: Der Trafikant mit dem Wiener Schmäh, der immer wie ein Trafikant aussah. Die hager-schöne einsame Ärztin. Die dralle, lachende Blondine. Der stets traurig-jammernde Smeagol. Der coole Engländer. Der sensible Maler. Der Ritter von der traurigen Gestalt. D’Artagnan. Die Ratte. Der zynische Journalist. Friends and Lovers. Der Märchenprinz und seine Schöne. Das Gucki und die erste und die zweite große Liebe. Die Obelixbesitzer. Und die wunderbare Wirtin, meine Freundin und der fröhliche Wirt meines Vertrauens.

„Tequila Slammer wie damals!“ Es war tatsächlich meine Idee. Das Wäschereischild, das auf die Vorbesitzer des Souterrains hinweist, hängt noch immer über der Küchentür. Darunter das Wandgemälde, auch die dunklen Kredenzen, es ist alles wie immer. Auf der Klotüre am Damenklo steht noch immer „Meine Großmutter hat immer gesagt, es is egal, wie a Mann aussieht, a Mann muss es sein.“ Aber vielleicht bilde ich mir das nur ein. Die Zeiten verschwimmen. Aber das mag auch am Schnaps liegen.

Und dann der Herr Lizzy. Stets war er der erste Gast und einer der letzten. Er hatte ein Clown-Gesicht und liebte es Wortgefechte mit mir vom Zaun zu brechen. Er konnte einiges vertragen. Nicht vom Leben aber an Alkohol. Bis zu den Abend, als ihm Insekten über Arme und Körper und Bar krabbelten. Noch in der Nacht brachte ihn der Wirt auf die Baumgartner Höhe. Als er wieder kam, trank er regelmäßig Tee in der Turtl'schen Küche, um nicht im Hummel in Versuchung geführt zu werden. Im G-Punkt passte man auf. Und alle tranken ein wenig weniger. Und machten gemeinsam alkoholfreie Monate. Aber ohne Schnaps war das Knofeln halb so lustig. Der Herr Lizzy hat dann irgendwann wieder zu trinken begonnen und ist gestorben.

Liebe und Drama. Ganz große Liebe und ganz großes Drama. Und spielen, Knofeln, Theater, mit den Herzen. In der Wohnung der Mock Turtle stand im einzigen Zimmer ein knarrendes Messingbett, ein Bett wie aus einem französischen Film. Am Fußende ein rotes Telefon mit Anrufbeantworter. An der Wand ein Teppich. Sie wohnte Parterre in einer Seitengasse und saß oft der breiten Fensterbank zu lesen und zu lernen. Einmal ist ihr so ein Jugendfreund zufällig wieder begegnet, der neugierig den Ringelsocken betrachtete, der da aus dem Fenster ragte und erstaunt am anderen Ende das vertraute Gesicht entdeckte. Die Nacht endet im G-Punkt. Mit dem Moser war sie dort. Alle schleppte sie hin. Und nicht alle waren willkommen, manche wurden von den Haustieren gnadenlos verbissen. Den Mann mochten sie.

„Ich hab‘s gehört“ sagt der Fraggle und nickt verlegen. Ich sage meinen üblichen Text. „Ihr wart ein einmaliges Paar und eure Hochzeit…““Jetzt will er sicher erst recht nicht heiraten“, sagt seine Freundin
„Nein - es war gut“, versichere ich: „Aber es war.“

Und dann tanze ich weiter und lache und flirte und alles ist wie es immer war. Schön. Nur der Weg nach Hause ist länger.

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1548 mal erzählt

5
Mrz
2011

A Single Night

„Single“ smse ich und das ist keine Statuszeile, auch nicht die Antwort auf eine Frage. Es ist die Bestellung eines Fahrscheins bei den Wiener Linien, einfach.

„Single“ ist auch irgendwie bereits meine Statuszeile. Dass es einfach ist, glaub ich nicht.

„Single“ ist auch eine Schallplatte: 45 inches; klein rund, schwarz, kurz(und)weilig. Sie hat eine A- und eine B-Seite, wobei die A meist besser sein soll als die B und doch verliebt man sich bei manchen Singles eher in die B, oder mag beide Seiten oder keine.

Und so fahr ich an jenem Abend als Single mit Single-Fahrschein zu einem Fest, wo Singles gespielt werden.
Und es ist ganz einfach.

Ich hab getanzt heut Nacht…

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882 mal erzählt

28
Feb
2011

Ausgezogen

Der Mann ist ausgezogen. Zumindest schläft er woanders; in seiner neuen Wohnung. In den Kästen hängen und liegen noch seine Hemden, Pullover, Hosen; das Büro, in dem er die letzten Monate gearbeitet hat, ist unverändert; auch die Möbel, Bilder, Schallplatten, Elektrogeräte, die er mitnehmen wird, sind noch da. Nur er ist ausgezogen. Und während ich durch die viel zu große Wohnung gehe, um mir noch einen Kaffee aus „seiner“ Kaffeemaschine zu vergönnen, merke ich, dass sich das alles ein wenig anders anfühlt und doch hat sich kaum etwas verändert.

Ich probe das Alleinsein lange genug, achte auf ausreichend Termine, damit ich nicht in die Melancholie, die Einsamkeit und Bitterkeit abgleite. Kampf-Kunst unter der Woche, ein Sonntagsausflug mit der Freundin, the silky way, wie eine andere Freundin kommentiert, ich koch für mich alleine und ess den Kühlschrank leer, der leider noch immer viel zu voll ist, weil ich noch immer beim Einkauf das eine oder andere für ihn in den Wagen werfe. Ich achte auch darauf, dass ich nicht zu viel trinke, ich will ja keine Säuferin werden.

Gerne nehme ich Einladungen an, gehe allein auf Feste, suche Konzertbegleitung über Facebook und lass mir meine Angst nicht anmerken, wenn ich wo herumstehe, wo ich niemanden kenne – er wäre auch nicht hingegangen, er ist selten zu so etwas mitgegangen, versichere ich mir, um mich zu trösten. Am Sonntagabend erzählen wir uns von unseren Wochenende. Wie es mir jetzt mit der Situation geht, will er wissen, und schlecht will er hören. „Ja“, antworte ich, um ihm dann zu gestehen, dass es mir gut geht, besser.

Die Kindheitsliebe meldet sich über Skype. „ich bin frei“ schreibt er und kurz glaube, hoffe ich, dass er mir sagen will, dass er an diesem Tag nicht mehr arbeiten muss. Aber schon ergänzt er, er sei jetzt Single, er könne nach Wien kommen. Als ich nicht antworte, hakt er nach: „jetzt schluckst“ – ja, gebe ich zu und dann schreibe ich schnell, dass nicht so schnell wieder einen Mann in meinem Leben brauche, vielleicht in meinem Bett, aber das sage ich ihm nicht, „in meinem Leben“ und ein Smiley und ein Küsschen. „Dann zieh ich weiter“, schreibt er.

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1079 mal erzählt

20
Feb
2011

Schritt für Schritt

Wenn ich hier in der Bergheimat nachts im Vaterbett erwache, was ich jede Nacht zu oft tue, schreibe ich Texte im Kopf, Blogeinträge, Kurzgeschichten, Gedichte, Briefe an mich. Da weiß ich dann, dass der Zorn der Mutter von der Angst genährt wird, alt zu sein, dement, vergesslich, nicht mehr leben, erleben zu können und von den ungerannten Kilometern.

Ein Leben lang ist sie sich Wut, Schmerz, Verzweiflung und wohl auch die Sehnsucht aus dem Leib gegangen, über die Dörfer und Felder, ziellos, mit dem einzigen Ziel rasch und stark einen Schritt nach dem anderen, vor den anderen zu setzen. Auch im Monat meiner Geburt, im Jänner, ist sie hochschwanger über die verschneiten Felder marschiert, die kleine Frau mit dem Riesenbauch, aus dem das Kind nicht schlüpfen wollte. Der Vater sei nicht da gewesen, hat sie mir erst vor kurzem erzählt und das sie ins Schneetreiben geraten sei und es finster war und gefährlich und der unterdessen heimgekehrte Vater schon in den Krankenhäusern angerufen habe. Wovor sie damals davon gelaufen sei, warum sie das lang ersehnte Wunschkind, das ich war, gewesen sei, im Schneegestöber riskiert hat, frage ich mich, doch ich wage nicht, sie zu fragen.

Das kleine Mädchen musste sich ordentlich anstrengen, um mitzukommen, so schnell war der Schritt der ungeduldigen, verzweifelten Mutter bei den Spaziergängen in den Alpenzoo oder den Einkaufswegen in der Stadt. Bei den Sonntagsausflügen auf die Berge zeigte sie dem Kind manchmal den weiten Weg, den sie selbst als kleines Mädchen allein und zu Fuß gehen musste zur Tante auf Sommerfrische, erst in den letzten Jahren erzählte sie, wo ihr der Onkel entgegen kam und was er mit ihr gemacht hat in den dunklen Wäldern, auf den einsamen Wegen.

Später ist sie dann mit dem Vater gegen seine Depressionen anmarschiert, das Gehen habe ihm, ihr einen Psychiater erspart. Und mehr als einmal ist sie wütend aus dem Haus gerannt, um Stunden später geläutert wiederzukommen. Seit dem Schlaganfall geht das nicht mehr, kann sie dem Schmerz, dem Zorn, der Verzweiflung nicht mehr davon rennen. Am Arm des Vaters ist sie noch gegangen, die alten Wege, auch an seinem letzten Lebenstag. Doch heute reicht es nur mehr für ein paar Besorgungen in der Stadt, den Spaziergang von Vaters Grab ins Herz ihrer Heimatstadt, viele seltener eine kleine Runde irgendwo und nie allein und unabhängig, immer auf eine Stütze angewiesen.

„Ich kann mich noch an meine Träume als Kind erinnern“, erzählt sie, als sie sich heute Morgen zu mir ins Bett kuschelt: „Ich hab geträumt, dass ich in einer Schublade schlafen muss, ganz furchtbar war das.“ Und mir fällt ein, wie leichtsinnig sie die Menschen gerne in Schubladen einordnet. „Aber auch dass ich fliegen konnte“, ergänzt sie: „Mich einfach abstoßen und fliegen.“ Und plötzlich tut sie mir so leid mit diesem Leben, das so viel in Schubladen verbracht wurde und in dem sie so selten fliegen durfte. Nur rennen und das kann sie nicht mehr.

Oft hat sie mir geraten, gegen Kummer anzugehen, das sei nicht meines, habe ich gedacht und lieber dagegen angeschrieben, angefeiert, angekocht, angetrunken. Erst vor kurzem, als ich - wie so oft - das Grätzl, den Bezirk, die Stadt mit raschem Schritt durchmaß, erkannte ich das Erbgut und wie tröstend es ist. Aber auch das Wissen, dass ich fliegen kann, mich einfach abstoßen und fliegen.

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9
Feb
2011

Glücksrezept

„Halte einen Knopf fest“, sagte mein Vater immer, wenn wir am Weg zur Schule einen Kaminkehrer sahen. Dann galt es eine zerbrochene Fensterscheibe und eine dritte Zutat, die mir leider entfallen ist, zu entdecken, all das während ich den Knopf fest in meinen Fingern hielt, denn das würde Glück bringen, versprach Papa, der seine Versprechen stets hielt.

Und so greife ich rasch zum Mantelknopf, als ich heute beim Verlassen des Hauses den zwei Männern in ihrer schwarzen Berufskleidung begegne und ich halte Ausschau nach einer zerbrochenen Scheibe. Aber dort, wo ich wohne, gibt es so etwas nicht und so lasse ich schließlich den Knopf wieder los, damit ich ihn nicht abreiße, was ein Unglück wäre, weil ich ihn wieder annähen müsste, was ich nicht sehr gut kann. Ist mir doch auch die dritte Zutat zum Glück entfallen und den Vater kann ich nicht mehr anrufen und fragen.

Dabei wäre das das allerhöchste Glück.

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1095 mal erzählt

22
Jan
2011

Es war mir ein Fest

Die unbändige Lust Feste auszurichten, hätte ich von meiner jüdischen Urgroßmutter geerbt, pflegt meine Mutter zu sagen, wenn ich ein Fest ausrichte. Und ich bin ihr für das Erbe dankbar, genauso wie für den mächtigen Schreibtisch, an dem ich gerade sitze, der unbekannten Frau.

Ein Festmahl für zwölf Frauen wollte ich mir schenken zu diesem anderen Geburtstag, mir und diesen wundervollen Frauen, die meine Wege gekreuzt haben. Schön sollten sie sich machen, für mich, für sich, keine Angst vor dem zu viel, zu wenig, keinen Mann zu beeindrucken, keine feindliche Konkurrentin zu übertrumpfen. Die Gästeliste wandelte sich, die eine oder andere war verhindert, eine Begegnug ergab sich zufällig, eine Zusage spät und doch willkommen.

Und so waren wir dreizehn, wie die 13 Feen bei Dornröschen. Doch es war genug Geschirr vorhanden, Platz für alle, kein böser Fluch notwendig, nur gute Wünsche. Große Tafel war angesagt, das Erb-Zwiebelmuster und das Mitgift-Besteck. Die guten Gläser, die edlen Weine, Sprudel in rot und weiß.

Das Menue der dreizehn…

Meine Liebe ist Gemüsefonds, Karotten putzen, während die Valente “Ganz Paris träumt der Liebe" singt. Zwiebeln hacken und die 1950er. Dann wieder die Finger im Brotteig versenken, kneten und schlagen und jetzt singt Sven Regener vom lieben und entlieben. Mehr als genug im Topf.

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Meine Liebe ist Zweierlei Rote-Rübe Suppe. Erdiges Wintergemüse, haltbar und gesund, von jener Farbe, die ich mir am liebsten auf die Lippen streiche. Meine Liebe ist ein wenig beschwipst vom Portwein, meine Liebe ist die launische Forelle, molliger Obers und scharfer Wasabi. Meine Liebe ist voll auf der Rolle.

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Meine Liebe ist der Salat, für den ich geliebt werde. Fett und reif wie die Avokado, sinnlich, glitschig und doch fasrig wie die Mango, bodenständig wie der Stangensellerie, zu Tränen rührend wie der junge Zwiebel, heilig wie Petersilie, appetitanregend wie Koriander, erhitzend wie Ingwer, scharf wie Chili, der rot sein muss, um den süßen Goji-Beeren ähnlich zu sehen, spritzig wie die Limette. Und brüchig wie die Schüssel aus goldenem Teig. Und über allem ein Schmetterling.

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Meine Liebe ist ein Vogel, zehn Kilo schwer, immer viel zu viel, mit „Cosmopolitan“- Wodka, Limetten und Cranberries - und Toast gefülllt, Blutorangen und Butter unter der Haut, Schlag Mitternacht zubereitet und eine Nacht und einen Tag lang sanft gebraten. Meine Liebe hat Zeit außen knusprig und innen butterweich zu werden. Meine Liebe passt fast nicht ins Backrohr. Meine Liebe ist nicht nur fleischlich, sie ist auch Erdäpfelpüree mit Trüffelöl und Grünkohl aus der Biokiste mit Orangen und Marillen veredelt, meine putzt sich gerne heraus.

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Meine Liebe sind kleine Verführungen zum Liederlich-Lasterhaften. Meine Liebe ist berauscht und betrunken und glückselig.

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Eure Liebe habe ich nicht mit dem Geschirr abgewaschen, nicht in den Männerstaubsauger gesaugt, sie flog auch nicht beim Fenster raus, als ich lüftete. Eure Liebe saß mit am Tisch, half in der Küche, schenkte Wein nach, hörte zu, lobte und lachte. Eure Liebe buk Kuchen sogar mit Kerzen. Eure Liebe küsste mich „Gut Nacht“ und wusch mit mir morgens Geschirr, eure Liebe räumte den Tisch ab und leerte die Aschenbecher. Und eure Liebe hat mich auch heute schon zum Weinen gebracht.
Danke!

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1470 mal erzählt

19
Jan
2011

Reich beschenkt

In meinem Leben ist so viel Liebe. Reich beschenkt damit gehe ich ins neue Lebensjahr, ins neue Leben. Der großzügige Mr. F. hat eine Sonntagsnachmittagjause ausgerichtet. Mit dabei das schöne Frauenpaar, der philharmonische Freund und die Seidene, gefülltes Brot und Honigschinken, Champagner und feine Weine. Ein paar Tränen flossen auch und Trost und Rat und Komplimente und die allerschönsten Rosen wurden aus vollem Herzen gegeben.

Gestern habe ich dann sogar vom Auge meiner Zeitung eine Hyazinthe bekommen, bin im Großraumbüro gefeiert worden und konnte die muntere Runde, die mich mit Aluhütchen gegen Facebook-Strahlen beschenkt hat, mit kulinarischen Schnurren unterhalten. Zuhause dann warteten Blumen, von der Mutter geschickt, erstmals. Und schließlich kam auch noch die Schwiegermutter und bracht ein Geschenk, dass der Neffe für mich gebastelt hatte: Ein Floß, als würde er ahnen, dass ich aufbreche, dass ich Halt brauche im Fluss des Lebens. Verlegen tranken wir beide ein Glas Bründlmayer miteinander, Ansätze von Erklärungsversuchen. Ich weiß nicht recht, was sagen, sie auch nicht, nur dass wir uns mögen, wissen wir, versichern wir uns.

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Auch mit dem Mann stoße ich an, aufgebrezelt für das abendliche Essen mit einer lieben Tischgesellschaft. Dass ich gut aussehe sagt er mir und dass er schon wahrnehme, dass es aus sei. Wir sind traurig.

Doch dann breche auf. Souly Moly am Badeschiff, feines Essen aus der Kombüse von Christian Petz, komponiert zu meiner Lieblingsmusik. Schöne Menschen am Tisch, Honeybunny strahlend schwanger, eine Radiofrau mit wachen, klaren Augen, der hübsche Bruder des Architekten, das Dschungeltier, meine Freundinnen, ein wenig tanzen noch und dann nach Hause, glücklich, voll Seelenwärme. Und voll Vorfreude auf das Fest der Frauen, das ich mir selbst am Freitag schenke.

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Was für ein Geburtstag...
Und dann noch ihr hier.
Das Leben meint es gut mit mir.
759 mal erzählt
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Mock Turtle

Sit down, both of you, and don't speak a word till I've finished

Who sits there?

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Im Bilde

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datja - 5. Jul, 14:19
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