Lebens-Wert

9
Aug
2011

20 gute Jahre

Am Ende denkt man immer an den Anfang oder ich zumindest. Schön war das damals, als wir uns ineinander verliebten; so wie Anfänge eben sind mit all dem innewohnenden Zauber. Das Leben ging los mit echtem Job und großen Gefühlen. Nichts und niemand konnte uns was anhaben.

Es waren gute Jahre. Wir haben die Wohnung gemietet und zusammen renoviert, wir haben grandiose Feste gefeiert und ausgerichtet. Wir hatten die schönste Hochzeit aller Zeiten, wir sind gereist, haben gut gegessen und getrunken und gekocht, waren eingebettet in wundervolle Freundeskreise.

Es waren gute Jahre. Er hat auf mich geachtet, brachte Ordnung in mein Chaos, ist mir in schlechten Zeiten beigestanden, wie versprochen, so richtig am Altar in der Waldkapelle. Stolz haben wir unsere Liebe gezeigt, waren das perfekte Paar, privat und im Job.

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Und doch haben wir unterwegs unsere Liebe verloren. Dann und wann ist sie wieder aufgeblitzt, da haben wir nach ihr gegraben, mal mit vereinten Kräften, mal alleine, auch mit Hilfe; dabei auch an ihr gekratzt, sie fast wieder gehoben, aber dann….Und so haben wir irgendwann aufgegeben, still und leise; und schließlich haben wir es uns eingestanden, dass es war und dass es gut war. Dass eine Entscheidung notwendig ist, wie das Wort schon verrät, um das zu erhalten, was noch da ist, diesen ewigen Teil der Liebe, der halt nicht ausreicht, um miteinander, nicht einmal mehr um nebeneinander zu leben.

Und so standen wir heute gemeinsam vor der Richterin. Wir haben uns beide fesch gemacht, noch einmal das perfekte Paar, freundlich, friedlich, höflich, mit allen notwendigen Unterlagen in getrennten Taschen. Wir haben uns mit ihr erhoben, standing ovations für 20 gute Jahre. Er war ein guter Ehemann. Danke an ihn und alle, die die Zeit mit uns geteilt haben.
Es waren gute Jahre.

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Es kommen gute Jahre.

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24
Jul
2011

Ich hab getanzt heut nacht

Und dann endlich wieder tanzen – im Volksgarten, der Banane, die jetzt Säulenhalle heißt und immer Banane bleiben wird. Der Erstgeborene legt auf, die Wohnzimmerbelegschaft ist gekommen. Ich selbst bin mit Freundinnen unterwegs, tänzle und tanze zwischen den Welten. Die Musik eint, vertraute Songs, schöne Menschen, fliegende Blicke und immer wieder Sehnsucht nach einem, der nicht da ist. Und doch tanz ich mit ihm, für ihn.

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Irgendwann läuft dann doch Amy Winehouse – I’m no good. Ein paar Stunden vorher hab ich von ihrem Tod gelesen, auf Facebook. Er hat sich dort schneller verbreitet als das Attentat in Norwegen am Tag zuvor. Die öffentlich bekannte Tote, deren Verfall in den letzten Wochen und Monaten immer wieder in Tubenform durch die sozialen Netzwerke blitzte berührt mehr als die vielen Toten, ermordet von wirrem Fanatismus und diese wiederum berühren mehr als die verhungernden Kinder, deren Bilder schon wieder aus den Nachrichten verschwunden sind – alle fünf Sekunden stirbt eines von ihnen. Aber mit amy ist wohl was anderes gestorben oder geboren oder wiederbelebt: Live fast, die young und der uns vertraute Schmerz, der mit ihrer Stimme berührt. I don’t want to go to Rehab, mitgegrölt im Auto, Lautstärke auf Anschlag und Wildheit im normalen Leben – 27 eben, für immer. Aber dieser Schmerz, diese Seele liegen in so vielen Stimmen und Songs, zu denen ich noch tanze in dieser Nacht. Ein Lied noch und noch eines, bis die Füße schmerzen…und zwischen den Schatten der Säulen, an den kleinen Tischen im Garten taucht ein anderer Toter auf, ein Herz in die behaarte Brust geschoren, lachend, berauscht und übermütig. Auch er hat schnell gelebt, ist früh gegangen...

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Ich aber lebe schnell und intensiv und noch!
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21
Jul
2011

Seelenreiselogbuch in den Iden des Juli

Immer wieder bin ich erstaunt, wie klein und zart sie eigentlich ist, die Meisterin der stahlharten Liebe, denn ihre Kraft und Präsenz lassen sie immer viel größer erscheinen. Und auch ihr wahres Alter bleibt hinter den blitzenden, aufmerksamen Augen und dem breiten Lächeln verborgen. Ich mag ihr trockenes Lachen und ihre leicht raue Stimme, noch mehr aber mag ich die magischen Worte, die sie findet, nachdem sie die Lebensbilder konzentriert betrachtet hat. Und ihr Mädchengesicht. Niemand, den ich kenne, versteht die verletzten Kinder in den Menschen so sehr wie sie. Wie ein Puzzle setzt sie zerbrochene Seelen wieder zusammen, heilt ohne viel Aufsehens, verdichtete Zeit.Die Dankbarkeit ist das gesündeste Gefühl, lehrt sie und lässt es erleben. Erst wenn ich Dank für etwas empfinde, nehme ich es an und es steht mir zur Verfügung, sagt sie uns und wir nehmen diese Worte dankbar auf.

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Und mit einem Herzen voll Dankbarkeit fahre ich zur Mutter nur um dort wieder abzuprellen an Vorstellungen, denen ich wohl nicht gerecht werden kann. Doch ich sitz es aus und atme aus, spreche mit dem Vater, dort, wo ich immer bei ihm bin und finde Trost im Wissen, dass sich jemand nach mir sehnt. Und in der Dankbarkeit für die reichen Geschenke, die mir mein Leben macht, die Fähigkeit zu lieben, die Eltern, die mir das Leben geschenkt haben, es mich gelehrt haben, die Menschen, die mich begleiten, die mir begenen, mit mir lachen, weinen, kochen, essen trinken, sprechen, mich berühren mit Blicken, Worten, Lippen, Körpern. Und dass ich all das sehen, hören, erfahren, lernen kann und darf.

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Abawuschabawui…
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15
Jul
2011

Endlich wieder Sommer

Der Schmerz lässt sich in tausend Worte verfassen, das Glück hat tausend Bilder. Und viele Lächeln. Augen-Blicke.

Am Plattenspieler drehen sich Milt Jackson & John Coltrane. Es ist Freitagnachmittag, der zweite innerhalb weniger Tage. Der erste war ein besonderer, jetzt sind wir allein. Das Bier ist kühl. „Es ist Sommer“, sagt der Erstgeborene und öffnet das Fenster. Wie schön das Saxophon klingt. Die 100 Jahre gehen ihrer Vollendung zu. Es ist Sommer, wenn die Seelen herauskommen, um im Sonnenlicht zu tanzen

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Es ist ein Sommer-Glück, heiß und verschwitzt, flirrend und doch voll unendlicher Ruhe. Mal ist es leise, wie ein verwunschener Garten mit einem Baumhaus für die Kinder. Küchengespräche. Dann ist es ein Punkkonzert, Bier und Pogo an einem Platz, den ich aus einem anderen Leben kenne, vertraut und neu. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft treffen einander. Ach, wie liebe ich diese Stadt, wie wundervoll ist es hier zu lieben. Ich wandere durch mein Wien, wie durch mein Leben, entdecke Plätze neu und wieder und Menschen.

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Wieder sitze ich in der Schmiede, wo Werkzeuge fürs Leben und Lieben geschmiedet werden, als Tippse heilender Worte. Tränenströme betreiben die Mühlräder des Liebens und mitten in der Glückseligkeit berühren uralte Schmerzen. Und die Erkenntnis wie reich beschenkt ich bin vom Leben, so viel Glück und Liebe und Möglichkeiten. Die Dankbarkeit zählt zum Kostbarsten, erklärt die Meisterin. Draußen rauscht der Bach und die Pfaue schreien, drinnen wimmert die alte Sehnsucht.

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Und über allem liegt das Wissen, dass ich glücklich bin, weil ich all das erleben darf, Schmetterlinge nicht nur im Bauch.

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1123 mal erzählt

9
Mai
2011

Liebende Wahrnehmung

Mit „liebender Wahrnehmung durchs Leben zu gehen“, rät die kleine Meisterin der diamantenen Liebe den Kindern und den Großen. Ich durfte dabei sein, eingeladen von ihr, ihr mit anderen zur Seite zu stehen, zu begleiten. Das war mein Geschenk. Und all die anderen Geschenke im Spiel des Lebens, Meine und andere Tränen, Schmerz, der sich in lachende Kindergesichter transformiert, die Augen von Menschen, die ihr Glück sehen. Es ist nie zu spät für eine glückliche Kindheit.

Die Tage vorher, andere Menschen, ähnliche Sehnsüchte, Ängste, Schmerz. Ich geh voran, öffne meinen Bauchladen, versuche ihnen das eine oder andere mitzugeben. Und sie nehmen es, nicht dankbar, freudig, lustvoll, wie die Keramikerin sagt. Sie erinnern mich an meine Verantwortuzng und schenken mir ihr Vertrauen. Sie üben einander anzusehen in liebender Wahrnehmung.

Achtsamkeit, nenne ich es, bis die Meisterin mir, uns gestern die Formulierung schenkt. „Man kann nicht alle Menschen leben, aber man kann alle Menschen liebend wahrnehmen. Dann ist nur mehr dann Platz für Angst, wenn sie wirklich berechtigt ist.“ Und wieder wurden in der Schmiede Herzen geschmiedet in der Glut der Liebe. „Du bist authentisch“, sagt die junge Frau, die ihre Seele am Vortag so wundervoll geteilt hat, als wir uns umarmen und berührt mich tief und freut mich so.

Zwei Glücksklee habe ich in der Wiese gefunden; seit vielen, vielen Jahren die ersten; einen mit fünf Blättern für die Meisterin und einen mit vier Blättern für einen GlücksPiraten. „Man muss sie weiter schenken“, hat mich mein Vater gelehrt und endlich bin ich wieder ein Glücksklee. Ich hatte ganz vergessen, dass man den Glücksklee suchen muss mit liebender Wahrnehmung. Und dass man das Glück teilen und wagen muss. Stetig und verwegen.

So reicht beschenkt vom Leben. Danke.

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25
Apr
2011

Ostermontagsfrieden

Dort, wo mein Fahrrad ein wilder Rappe war und ich Drachen steigen ließ,
wo ich Waldtschick rauchte und Türken und Obst stahl, wo mein Piratenschiff vor Anker lag,
wo ich über die Wiesen rollte, Purzelbäume schlug und mich im Kreis drehte, bis die Welt mein Karussell war, wo ich meine beiden treuen Freunde belehrte, wo ich Vögel beobachtete und Blumen bestimmte, wo ich mir selbst Märchen erzählte, in der Wiese lag und träumte, wo ich später heimlich rauchend spazierte, voll verzweifelter Wut und Liebe zu irgendwem.
Dort ist der Park mit dem kleinen Teich und tut so, als wäre er schon immer da gewesen.

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Und ich sitze auf der kleinen Mauer und schaue ins Wasser. Dizzy Gillespie hat der Zufall für mich aufgelegt. Die Sonne wird im Teich zu einem Kristall, die Wolken erinnern an die Scherenschnittfilme meiner Kindheit, sie zeichnen mir unendlich schöne Bilder. Manchmal höre ich Vögel zwitschern. Die Goldfische schleichen träge knapp unter der Wasseroberfläche herum. Die Musik ist schön. Und langsam kann sich das traurige kleine Mädchen wieder im letzten Winkel meiner Seele schlafen legen. Die Tränen trocknen. Ein Flugzeug fliegt durch den kleinen Teich. Tropfen zeichnen konzentrische Kreise. Ein Erpel schwimmt vorbei. Glück steht auf meinem Ärmel. Ein friedlicher Ort. Ich schaue ins Wasser und alles ist gut.

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24
Apr
2011

Die Auferstehung und das Leben

„Frohe Ostern hat die Frau gsagt, he, die Frau hat mir frohe Ostern gwünscht“, ruft das kleine Mädchen durch den Park. Ich bin etwa 20 Meter von ihr entfernt, weit genug, um für sie weg zu sein. Eben noch habe ich mir neben ihr an dem kleinen Brunnen die Hände gewaschen, wir haben uns kurz angelächelt und in die Augen gesehen, schöne blaugrüne Augen. „Frohe Ostern“, habe ich gesagt, "Frohe Ostern", hat sie geantwortet.

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Drei Stunden bin ich durch meine Vergangenheit flaniert. Mit dem Bus wie früher in die Stadt, am Inn entlang - dort haben wir geraucht, dort Fotos gemacht - durch den Hofgarten, wo ein Pärchen einen blühenden Kirschbaum betrachtet und der Baum dankbar Blüten schneien lässt - und wir einst geraucht und geküsst haben, wo kleine Lieben begannen und verblühten - in die Altstadt. Im Dom, wo ich gefirmt wurde, entzünde ich eine Kerze für den Vater, wie er es mich gelehrt hat auf all den Reisen in den Kirchen, wo wir Kerzen für die Toten entzündeten; jetzt eben für ihn und die anderen, meine Toten.

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Touristin unter den Touristen spaziere ich über die modern umgestaltete Prachtstraße in das Kaffeehaus, in dem die junge Mock Turtle einst residierte, ein bisschen Lolita, ein bisschen verhurtes Gretchen, ein bisschen altkluges Geschöpf. Ich trinke ein Glas Wein auf der Terrasse, der Kellner kommt aus der Slowakei. Alles rundherum hat sich verändert, dort stand einst der Brunnen mit den Harfen. Fremd. Immer wieder schaue ich in Gesichter, versuche Vertrautes zu entdecken, Bekannte, Freunde von damals, die mich wieder erkennen könnten und mir beweisen, dass ich es war, die einst hier lebte.

Vorbei an der alten Schule, Osterferien, auch hier sieht alles anders aus und doch dort drüben habe ich mir am Auspuff der KTM des Schilehrer-Schulkollegen das Wadl verbrannt und kurz kann ich das verbrannte Fleisch riechen und höre mich gegen den Schmerz anlachen, Monate blieb die Narbe. Vor der Polizeidirektion werfe ich Ahorn-Hubschrauber in die Luft. Ich gehe durchs Villenviertel, das mich stets an den ersten Mann in meinem Leben erinnert. Am Vortag fuhr der Taxler an der Wohnung vorbei, wo ich zur Frau wurde. Kurz biege ich ab zum Haus in dem mein Freund, der Fotograf gelebt hat. Bei seinem Totenmahl war ich zuletzt dort. Sein Name steht noch immer an der Klingel, darunter der Name der liebenden Frau an seiner Seite. Ich überlege ob ich läuten soll, hebe sogar den Finger, später suche ich die Telefonnummer und nehme mir vor einen Brief zu schreiben.

Mit dem nächsten Bus fahre ich in meinen Heimatort, bis ganz hinauf zum Sanatorium und mache mich auf den Weg nach unten. Da hat der Komponist gewohnt, da der christliche Freund, dort war ich auf einem Grillfest. Und dann der letzte Weg, den ich an meines Vaters Arm gegangen bin. Ich lächle und die wenigen Menschen, die mir begegnen, antworten mit einem Lächeln, einem angedeuteten Gruß. Vorbei am Marterl, das die kleine Turtle wohl tausendmal gelesen hat zu jenem Platz, wo ich mit meinem Papa bin.

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Und da sitze ich und fühle Frieden und denke an Ostern. „Ich bin die Auferstehung und das Leben“, fällt mir ein. Ich nehme denselben Weg wie immer, ich gehe weiter, ich gehe die Schritte, die mein Vater nicht mehr gegangen ist, die meine Mutter nie mehr gehen wird. Am Straßenrand liegt eine leere Zigarettenschachtel, immer wieder Chesterfield, alls lei wegen die Chesterfield. Karsamstag.

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„Frohe Ostern“, wünscht euch die Frau.
1425 mal erzählt

21
Apr
2011

Zu ebener Erd und im vierten Stock

Es kehrt Leben ein im Treppenhaus von Wien zu ebener Erd und im vierten Stock. Unten, im Parterre, und in den prächtigen Kellergewölben sind zwei Lokale eingezogen. Das eine hat bereits eröffnet und bietet der Turtle schon jetzt Gelegenheit, sich vor dem Aufstieg in ihr Nest ganz oben noch ein wenig zu stärken. Schön sind die Räume geworden, die einst ein Kaffeehaus beherbergt haben für die Ärzte im AKH und die Juristen im Landesgericht.

Als wir eingezogen sind, war hier ein Autozubehörladen, später ein Altwarentandler. Jetzt stehen am frühen Abend Tische und Stühle auf der Gasse, und buntes, fröhliches, junges Personal serviert Espresso und Prosecco. Wirte sind zwei junge Männer, die nach vielen Jahren Internetbranche mit richtigen Menschen zu tun haben wollen. „Wir machen es gerne“, sagt der eine, als ich bei einem Glas Wein auf mein Taxi warte: „Und was man gerne macht, macht man gut.“ Ich nicke zur Bestätigung und schau ihm in die schönen blauen Augen. Schon vor einer Woche war die Nachbarschaft zur Eröffnung geladen, da war viel Wärme und Lachen und Herzlichkeit in den Räumen und wenig anonyme Großstadt. Wir werden uns wohl öfter treffen hier herunten, nicht immer bloß im Treppenhaus.

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Vom kleinen Schanigarten kann man auch die anderen Jungwirte im Haus sehen, die noch an ihrer Weinbar zimmern, auch sie fröhlich und sympathisch, bei der Eröffnung der Nachbarn haben sie auch vorbei geschaut. Stetig sind sie am Werken, heute wurden die Fenster geputzt. Man kennt sich schon, lächelt sich zu, wechselt ein paar Worte. Ich fühle mich daheim im Grätzel.

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Oben im vierten Stock ändern sich die Räume nur langsam, der eine oder andere Gegenstand zieht aus. Und doch ist irgendwie neues Leben eingezogen, die Zimmer wirken anders, so wie auch ich, wenn ich mich in einen der Spiegel sehe, mich mit anderen Augen betrachte, mit neuen.Und das geschieht auch mit den Räumen. 15 gemeinsame Jahre in ihnen haben genauso ihre Spuren hinterlassen wie diese 20 Jahre Partnerschaft in mir; Spuren, die ich weder tilgen kann, noch will. Der Queue ist derselbe, doch das Spiel spiele ich anders.

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Nebenan wird die Wohnung von Herrn Walter und seiner Püppi renoviert. Die Badewanne, in der er gestorben ist, steht am Gang. Preisboxer am Heumarkt sei er gewesen, erzählt mir der andere Nachbar beim Nachbarschaftsfest und sie, Püppi, gut verheiratet, vorher. Dramen hätten sich abgespielt. Das Hufeisen an der Türe hängt verkehrt, bemerke ich erst jetzt. Kein Wunder, dass das Glück rausgefallen ist. Die Frau mit dem schönen Namen wird auch ausziehen, der Philosoph hat seine Sachen schon gepackt, wir anderen rücken halt näher zusammen. Zu ebener Erd und in vier Stockwerken.

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1218 mal erzählt

17
Apr
2011

Die Jugend im goldenen Rahmen

Seit Jahren blickt sie auf mich herab von ihrem Platz an der Wand. Halb so alt wie ich heute, wenn überhaupt. Die Jugend im goldenen Rahmen. Gestern hat sie mir zugelächelt, da bin ich mir sicher.

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Mein Freund der Fotograf mochte nicht, wenn ich lächelte. Er selbst lächelte ja auch nie; er mochte die sinnlichen Blicke über vollen Lippen und das Androgyne in mir. Deswegen hatten wir diese Bilder auch in einem Herrenklo geschossen, Glencheck-Hose, Hosenträger und der Pünktchen-BH seiner Freundin. Ich hatte so was nicht, brauchte ich auch nicht wirklich.

Zwischen den Geschlechtern, rasierend vor dem Spiegel, lässig ans Pissoir gelehnt, stolz und verletzlich und ein wenig trotzig. Heute trage ich wieder dieselben Ringe, die anderen habe ich abgelegt, sie passen nicht mehr. Auch die Frisur ähnelt der des Mädchens auf dem Bild. Ein Leben mit Locken, keinen kleinen feinen, eher wilden, unzähmbaren.

Nein, ich wollte nicht Modell werden damals, hin und wieder ein paar Dirndlfotos, um die Kassa aufzubessern, nichts weiter. Prostitution sei das, meinte mein damaliger Freund, Eitelkeit, Äußerlichkeiten und das war dann Grund genug, die Zwischen-den-Geschlechtern-Bilder zu machen. Die haben wir nur für uns gemacht, der Fotograf und ich, wie noch eine Session, Jahre später; und diese Bilder haben so viel für mich getan seither. Sie sind mir Antidepressivum und Begegnung mit dem jüngeren Selbst.

Sie war schön, das Mädchen auf dem Bild. Sie spürte ihre Macht durch und ihren Hunger auf Liebe und Lust, Großes wollte sie vollbringen, Burgtheaterdirektorin oder ORF-Generalintendantin werden, der Mann an ihrer Seite würde nicht der Mann ihres Lebens sein, das wusste sie schon damals. Es würden andere kommen, auch das wusste sie. Dass es einen Mann ihre Lebens geben würde, konnte, wollte sie kaum glauben. Dass sie zehn Jahre später heiraten würde, hat sie sich nicht gedacht, dass eine Liebe zwanzig Jahre währen kann, auch nicht. Dass Ihr Freund, der Fotograf sich Jahre später erhängen würde, ahnte sie nicht.

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Sie war auf dem Sprung nach Wien, endlich erwachsen, Theaterwissenschaft und Publizistik, die erste Wohnung mit Klo am Gang, aber auch die schon im Achten; nur ein paar hundert Meter entfernt von dem Bett, in dem ich an diesem Samstagmittag frühstücke, als sie mir zulächelt. Von einer Wohnung mit Billardtisch hatte sie geträumt, von Erfolg, selbstbestimmtem Leben, einem jüngeren Liebhaber vielleicht, von der Bühne soundso immer.

Es ist ein glücklicher Samstag und ich begegne meiner Jugend im goldenen Rahmen. Nein, nie mehr wieder möchte ich so jung sein, aber die Träume, die Tatsache, dass alles offen ist und das Gefühl, alles zu wissen, über alles urteilen zu können, nutzen sich ab im Lauf der Jahre. An diesem Samstag habe ich das Gefühl vor ihrem Urteil bestehen zu können, ich hab den Eindruck, sie ist fast ein wenig stolz auf mich.

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Abends lesen (und tanzen) die toll3sten Weiber in Mistelbach, ein Lächeln begleitet mich durch Tag und Nacht, immer neue faszinierende Begegnungen, fast wie damals, als das junge Mädchen in die Hauptstadt aufgebrochen ist, fühlt es sich an, alles ist offen und ich weiß, dass ich nie genug weiß, um urteilen zu können.

Bevor ich einschlafe, lächle ich ihr noch einmal zu: Es ist viel passiert, dass du dir in deinen kühnsten Träumen nicht hättest vorstellen können, Wundervolles und Schreckliches. Was du damals nicht gewusst, nicht wirklich geahnt hast, ist, wie glücklich dein Leben im Endeffekt sein wird, ein Geschenk voll wunderbarer Menschen und Erlebnissen, so viel Liebe, so viel Spaß, so viel Gutes, so viel Lernen, Abenteuer. Die Schmerzen, das Leid, die Enttäuschungen und den Kummer hast du damals geahnt. Das Glück nicht. Insofern ist mein Leben glücklicherweise aus dem Rahmen gefallen…..
1450 mal erzählt

14
Apr
2011

Die p.t. Gäste

Eben sind sie abgereist. Die Wohnung ist leer ohne sie. Schon jetzt fehlt mir die sanfte schweizerische Sprache von Frau Frogg und dem Kulturflanuer. Ich höre uns noch lachen am Frühstückstisch, ich schmecke noch das „Hendl“ – „wieder ein neues österreichisches Wort gelernt, Poulet heißt das bei uns“ -, das die beiden für mich in meiner Küche zubereitet haben. Und den Zweigelt, den „Naziwein“, und den Veltliner.

Wir sind ein Jahrgang, Berufskolleginnen mit sehr verwandten Werten und Idealen, wilde, linke Herzen; eine ideale Kollegin, so wie das Wort „Kolleg‘“ in meiner Heimat für Freund, Kumpel steht. Wie ein junges Mädchen wirkt sie mit dem Struppelhaar, wenn sie morgens leise durch die Wohnung schlurft, wie ein Lausbub, wenn sie lacht, irgendwie wie George aus den fünf Freunde Büchern meiner Kindheit, erwachsen geworden, meistens. Und der Kulturflaneur, ein ruhiger Navigator, ein weises Lächeln scheint seinen Mund zu umspielen, das manchmal zum trocken verwunderten Lachen wird, z.B. in der Begegnung mit dem Wienerischen. „Die p.T. Gäste werden darauf hingewiesen“ liest der Herr Flaneur im Cafe Hummel halblaut mit großen Augen ein Schild an der Wand. „Pleno titulo“, erklärt der Ober: „mit vollem Titel, so dass sich alle Betitelten angesprochen fühlen.“ Und ich bin so stolz auf mein Wien, wo die Ober Latein sprechen.

Schnell werden wir eine gemütlich kleine Wohngemeinschaft auf Zeit und ich freu mich schon, wenn die beiden von ihren Streifzügen heim kommen und ergänze ihre Reiseführerinformationen mit Einheimischenwissen und Anekdoten. Manchmal flanieren wir auch gemeinsam und ich zeige und erkläre und weise hin. „Dort hat Oskar Werner gewohnt, da isst man gut, hier werden oft Filme gedreht, dort war einst ein Bordell.“ Irgendwann fotografiere ich ein Graffity mit meinem Handy. „So also“, lächelt die Fröschin.

In der Küche steht noch der große rote Topf, in dem ich den Tafelspitz, das weißer Scherzerl für die beiden zubereitet habe. Er begeister meine Gäste, die auch erfreut sind, dass sich eine Salatschleuder und eine Geflügelschere (und gar ein Käsehobel) in meinem Besitz befinden. Den Tafelspitz wollten sie ursprünglich im Rindfleischtempel essen. Selbst gekocht sei aber immer besser, freuen sie sich. Und ich freu mich aufs Kochen.

Ab dem Spätnachmittag war die Wohnung von wohligem Suppenduft erfüllt. Semmelkren gibt’s, selbstgebackene alte Semmeln wurden darin verwertet und bei Schnittlausauce, Apfelkren und Röstkerdäpfel helfen die beiden eifrig mit. Und dann tafelen wir, geben uns ganz dem Genuss hin, politisiereen, tauschten Berufserfahrungen aus und philosophiereen. Alte Freundinnen, ein guter Freund. Das hast du damals vielleicht gelesen; Oh, das war da; ach, der;vieles ist nicht mehr erklärungsbedürftig, vieles erklärt sich erst jetzt, die Stimme zu den Worten, die Blicke, die Körpersprache. Es wird spät und unsere Köpfe werden schwer, aber wir können kaum voneinander lass und machen am nächsten Morgen dort weiter, wo wir am Vorabend aufgehört haben. So vieles hätte ich den beiden Stadtwanderern noch so gerne gezeigt; es wird ein nächstes Mal geben.

„Schani trag den Garten aussi“, kichert der Kutlurflaneur zum Abschied.

Die p.t. Gäste können wieder kommen und statt eines Titels erhalten sie ein Prädikat – besonders wertvoll.
Schön, dass ihr da wart.

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1844 mal erzählt
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Mock Turtle

Sit down, both of you, and don't speak a word till I've finished

Who sits there?

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Im Bilde

2014-12-13-13-17-19

Soundtrack

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katiza - 22. Feb, 15:42
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Wenn ich schon geahnt...
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froggblog - 10. Sep, 11:46
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datja - 18. Jul, 18:34
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datja - 5. Jul, 14:19
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noemix - 5. Jul, 14:14

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