20
Mrz
2014

Da du hangest…

Heute war die Putzfrau da – die dritte, an die ich mich erinnere. Eine fröhlich blonde robuste Bosnierin. Im Keller tauschen wir uns flüsternd aus – „psychotisch, sadistisch, schizophren“, sagt sie, und dass ihre Mutter genauso sei, halt in Bosnien, sie war gerade bei mir. Als ich ein wenig lauter spreche, erschrecken wir beide. Dabei hört sie nicht mehr so gut – und doch glaube ich, dass sie alles hört. Sie komplementiert mich hinaus. Einkaufen soll ich gehen, ich bin im Weg. Und ich fliehe gerne. Unterwegs ruft sie mich an: Wo der Korb sei? Den habe ich in ihrem Auftrag zu Weinachten an den Nachbarn verschenkt. „Sie könne sich nicht erinnern, sie hat ihn doch Jahre aufgespart. Wir brauchen ihn nicht mehr, sage ich und trinke eine Schluck.

shot_1394876896992

Es ist Frühling am Teich und Kinder toben. Hier habe ich auch gespielt, hierher bin ich auch geflohen, als alles hier noch ganz anders aussah. Hierher ist auch der Vater geflohen. Als ich zurück komme, schrubbt die Putzfrau – Bedienerin hieß das in meiner Kindheit, Reinigungsfachkraft heißt es politisch korrekt – schrubbt Anna den Boden. Die Mutter schleicht kontrollierend um sie herum, das Gehen fällt ihr schwer und doch das Schleichen wirkt noch bedrohlicher. Gestern war sie beim Frisuer, sie ließ sich die Wimpern färben. Jetzt wirkt ihr Blick stärker. Manchmal zittere ich, wenn ich versuche, etwas für sie zu tun.

shot_13953078284371

Ich kann mich noch gut an Frau H. erinnern, die erste Bedienerin. Eine arme, kleine zähe Person, die manchmal über dem Ausguss im alten Keller die Röcke lüfte und ihr Wasser laufen ließ, während sie mir mir sprach. Ich habe viel Zeit mit ihr verbracht, ich war auch in dem winzigen Häuschen, wo sie mit ihren Kindern und dem trinkenden Mann lebte. Irgendwann kam sie nicht mehr. Als ich nachfrug, erklärte mir Mama, dass sie weg sei, weil ich immer so schlimm war und sie beim Putzen gestört hätte. Später erfuhr ich, dass sie getrunken habe, heimlich und manchmal fürchte ich, dass ich sie verraten habe damals ohne es zu wollen. Vor drei Jahren ist sie gestorben, im Bügelkeller hängt ihr Bild und ich schäme mich, wenn ich es betrachte. Auch weil ich sie aus den Augen verloren habe, weil ich mich nie mehr bei ihr gemeldet habe und auch nicht bei ihrer tochter, mit der ich aber doch wenigstens telefoniert habe.

shot_1395307810104

Es ist diese eigenartige Scham, die ich jenen gegenüber empfinde, die meine Mutter unterwegs verlassen hat, verlorene Freundinnen und Freunde. Da war das kinderlose Ehepaar, dem sie mich vererben wollte, viele Sonntage haben wir mit, bei ihnen verbracht, bei gemeinsamen Bergtouren und in dem schönen Haus mit Bächlein im Garten, Perserkater und Stapelplattenspieler. Wir haben Escalero gespielt, Würfelpoker und die Erwachsenen haben Schnaps getrunken und gelacht. Irgendwann war das vorbei. Manchmal habe ich die beiden in ihrem kleinen Schneidersalon besucht, sie haben getrunken, ich habe handrollierte Taschentücher für die Eltern gekauft, ein bisschen was aus meinem Leben erzählt und mich geschämt.

Und dann die Wanderfreunde, jahrelang wuchsen wir Kinder miteinander auf, gingen maulend miteinander auf Sonntagsausflug, trafen uns im Sommer an fixen Stammplätzen auf den ewig gleichen Badeseen und saßen abends mit den Eltern in Wirtshäusern, vertraute Onkeln und Tanten – und irgendwann verbannt aus meinem, unserem Leben. Der Lieblingsbruder fiel genauso dem Bannfluch anheim wie andere jahrelange WegbegleiterInnen. Nur den hartnäckigsten unter den Freundinnen, denen die am weitesten weg wohnen gelingt es per Telefon Kontakt zu halten. Beziehungsarbeit, die ich miterledige.

shot_1395307878347

Der Bannfluch trifft auch die Familie meines Vaters – schuld ist eine kränkende Bemerkung seines Bruders vor mehr als 20 Jahren. Längst ist der Bruder tot, der Vater ebenfalls und doch wage ich es nur heimlich meine Cousinen und deren Tochter, die letzte die den glücklichen Familiennamen trägt, zu besuchen. Auch mein Vater hat es nur heimlich gewagt. Manchmal verbietet sie mir „diese Weiber“ nach ihrem Tod ins Haus zu lassen, geschweige denn, ihnen etwas zu geben. Sie werde als Geist darüber wachen, droht sie im vollen Ernst. Sie glaubt an ihre Macht: Den Chirurgen, der den Herzschrittmacher nicht ordentlich angeschlossen und damit den Schlaganfall verursacht hat, hat sie auch verflucht. Ihn hat der Schlag getroffen.

shot_1395308168285

Das Kind in mir ist sich diese Macht bewusst. Die Schneekönigin war nicht umsonst eines meiner Lieblingsmärchen. Die Splitter des Teufelsspiegels machten die Menschen böse, sie konnten nichts dafür, die Liebe kann alles heilen. Das war nicht die Mutter, das musste jemand sein, der sich als die Mutter verkleidet hatte. Ich wollte all die Hässlichkeiten, die sie über die anderen, Verwandte, Freundinnen, Freund, meine Freundinnen, Freunde, alle Menschen, die ich mochte, sagte, nicht hören. Wenn ihre Worte mich nicht mehr verletzen konnten, richtete sie sie gegen die, die ich liebte. Richtet sie sie gegen die, die ich liebe. Sie trifft nicht mehr, ihre Macht schwindet wie ihr Leben.
559 mal erzählt
logo

Mock Turtle

Sit down, both of you, and don't speak a word till I've finished

Who sits there?

Du bist nicht angemeldet.

Im Bilde

shot_1302283740141

Soundtrack

Aktuelle Beiträge

Wenn ich schon geahnt...
dass ich an jenem Zuhause angekommen bin. Ich liebe...
katiza - 22. Feb, 15:42
Nach dem Text fürn Wolf...
Nach dem Text fürn Wolf musste ich schnell diesen nochmal...
viennacat - 14. Aug, 18:30
Danke für Worte die nur...
Danke für Worte die nur von Dir sein können ...
viennacat - 14. Aug, 18:27
Soooo schön und berührend....
Soooo schön und berührend. Danke!
testsiegerin - 14. Aug, 15:07
Pfiad di, Wolf
Bitte Nini, keine Lyrik. Das hast du mir geschrieben...
katiza - 14. Aug, 12:20

Es war einmal…

Gezählt

Meine Kommentare

Wenn ich schon geahnt...
dass ich an jenem Zuhause angekommen bin. Ich liebe...
katiza - 22. Feb, 15:42
Alle Kraft für ihn!
Alle Kraft für ihn!
froggblog - 10. Sep, 11:46
.
.
datja - 18. Jul, 18:34
Lieber Yogi, ein bisschen...
Lieber Yogi, ein bisschen frivol der Geburtstagsgruß...und...
datja - 5. Jul, 14:19
Hauptsach: Österreich...
Hauptsach: Österreich ist geil! Herr Nömix....
noemix - 5. Jul, 14:14

Meins

Creative Commons License
Dieser Inhalt ist unter einer Creative Commons-Lizenz lizenziert.

Augenblicke

www.flickr.com
Dies ist ein Flickr Modul mit Elementen aus dem Album Ausatmen. Ihr eigenes Modul können Sie hier erstellen.

Suche

 

Status

Online seit 6494 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 22. Feb, 15:42

Credits

kostenloser Counter




...und wartet...
*.txt
An- und Verkündigungen
Augenblicke
Aus dem Schatzkästchen der Mock Turtle
Bilanz
Cinematograph
Der Salon der Turtle
Freitagsfrüchte
Fundstücke
Homestory
In Reaktion
Journal November 2010
La Chanson
Lebens-Wert
Logbuch
... weitere
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren

kostenloser Counter