29
Dez
2010

Im Reich der Schneekönigin

Satan nennt mich die Mutter und hysterisch, schrei nicht, sagt sie und ich spreche doch leise. Du wirst schon sehen, sagt sie, wenn du mich nicht mehr hast. Das sagt sie schon lange, seit ich ein Kind bin. Ich gehe in den Keller und dusche kalt, der Boiler ist ausgefallen, aber das macht wenig. Es ist kalt in meiner Hölle, war immer schon kühl in diesem Haus, auch und vor allem atmosphärisch. An das Märchen von der Schneekönigin muss ich denken, das die kleine Turtle so geliebt hat, und an den Spiegel und die Scherben und wann sie die Mutter getroffen haben.

„Satan“ nimmt sie nicht zurück. Ich rufe sie täglich an, besuche sie alle vier Wochen, schicke dazwischen Blumen. „Auf der Straße tust du nett“ sagt sie: „Doch du bist so böse.“ Ich weiß, dass ich kein Satan bin, ich weiß, dass sie alt ist und krank und bitter. Und doch wünscht sich das kleine Mädchen in mir nichts sehnlicher, als dass sie das Wort zurück nimmt, sagt, dass es ungerecht war, dass es ihr leid tut, dass ich nicht böse bin. Das tut sie nicht.

„Ich weiß genau, was du hast“, sagt sie: „Zu wenig zu Weihnachten bekommen.“ Ein paar Pulswärmer, von der lieben Nachbarin gestrickt, hat sie mir geschenkt und ein Buch von Ildiko von Kürthy „Endlich“ – solche Bücher kaufe ich nicht einmal am Flughafen als Lesestoff für lange Reisen oder im Urlaub. Lustig habe sie es gemeint und weil es so viel mit mir zu tun habe, mit meiner Situation. Aber deswegen weine ich nicht, ich wundere mich.

Die Tränen fließen und es zerreißt mein Herz, weil es Satan tönt in meinem Kopf. Es ist so ein großes, verletzendes Wort von der Mutter an die Tochter gerichtet. Und doch nehme ich ihren Arm und zahle das Essen beim Thai und spreche gemeinsam mit ihr mit der netten Äthiopierin am Christkindlmarkt und begleite sie zum Friseur und suche und kaufe die Creme, die ausgegangen ist. Ich will kein Satan sein.

Später bin ich in den kleinen Park, wo ich mich dem Vater so nahe fühle. Der See ist zugefroren, es schneit und ist kalt und doch um so viel wärmer als im nahen Elternhaus. Grüßt mich da ein Herz aus frisch gefallenem Schnee auf dem dünnen Eis?

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Jossele - 29. Dez, 10:29

... Und zum Muttertag dann ein schönes Gedichterl ...
Leider kommt mir das sehr bekannt vor, das mit der Mutter. Bei uns waren es halt andere Worte, wütend hilflose Worte auch, sehr verletzend, und sehr wenig Verstehen war.
Ich habe nicht entsprochen.
Heute ist nur mehr Frost. Kein traurig verletzt sein mehr, kein Verstehen wollen, kein wütend sein.
Schade, aber irgendwann ist einfach eine Saite gerissen.

Ich wünsche dir das Finden anderer Wärme, anderswo, weil die gibt es!

schneck08 - 29. Dez, 10:38

Sie seinen ein Satan? Pah, dass ich nicht lache! Einen solchen Gast hätte der würgende Engel seinerzeit doch niemals eingelassen, liebe Katiza! Von Herzen grüßt und wünscht Ihr Schneck!

testsiegerin - 29. Dez, 10:39

Ich sitze hier völlig fassungslos und mir treibt es Tränen in die Augen. Nein, nicht wegen der Chilischote auf dem Brot. Ich bin ja selbst Tochter, und Mutter einer Tochter auch. Und für mich ist so ein Verhalten einer Mutter einfach unvorstellbar. Ja, so etwas liest man in schaurigen Büchern oder in Märchen, aber da sind es immer die Stiefmütter, so etwas sieht man in Filmen mit kaputten Menschen, aber so etwas darf doch einfach nicht wahr sein, denkt man erschüttert.

Du kannst brav sein, soviel du willst, du wirst ihr wahrscheinlich nie gut genug sein. Warum also nicht gleich richtig böse sein und die Meinung der Mutter bestätigen? Ich weiß schon, das geht nicht, weil du einfach ein liebenswerter Mensch bist, der niemanden verletzen will, schon gar nicht die eigene Mutter. Aber so verletzt du dich selbst, wenn du dir das gefallen lässt, weil etwas von dem "Satan" in dir hockenbleibt.

Wieder einmal merke ich, wie viel Glück ich im Leben hatte und habe. Ich wünschte mir, dazu bräuchte es nicht solche Erzählungen.

rinpotsche - 29. Dez, 13:12

was ist bloß in die mütter gefahren

books and more - 29. Dez, 13:14

Die ersten paar Sätze, liebe Katiza, dachte ich, das sei eine literarische Fiktion ...

*schüttelt fassungslos den Kopf*

- wobei... mit meiner eigenen Mutter ist es auch keine gute Geschichte, wahrlich nicht. Bleibt nur, sich ein Anderes, Eigenes zu suchen.

walküre - 29. Dez, 13:59

Frau Katiza, denken Sie immer daran, dass solche Worte mehr über die Person aussagen, die sie ausspricht, als über den Menschen, den sie treffen sollen. Und, bitte, bitte hören Sie auf, Entschuldigungen für das Verhalten ihrer Mutter zu suchen - solches kann nur bis zu einem gewissen Grad funktionieren, und das Grübeln über den Rest, den Sie niemals verstehen werden, bringt Sie um so viel Lebensqualität, dass es gar nicht zu sagen ist.

Ich möchte Ihnen an dieser Stelle aus ganzem Herzen einen Satz weitergeben, den ich in den vergangenen Monaten mehrfach von einem Menschen, den ich sehr schätze, gehört habe:
Sie müssen nichts reparieren, denn Sie haben nichts kaputtgemacht.

ConAlma - 29. Dez, 14:51

Das ist ein guter, richtiger Satz. Eimal am Tag laut aussprechen, dann fällt es vielleicht leichter, auch gegenüber der Mutter das Eigene zu tun, das Selbstgewählte tragen und nicht Erwartungen zu erfüllen versuchen, wo doch ohnehin immer alles nur falsch sein kann. Ein bisschen Richtiges im falschen Leben der kleinen Mockturtle.
walküre - 29. Dez, 15:49

edit zu meinem oberen Kommentar:

Mir geht diese Beschimpfung nicht aus dem Kopf, weil sie zum furchtbarsten an verbalen Übergriffen gehört, was mir jemals untergekommen ist. Ich kann mich erinnern, dass es in meinem etwas weiter gefassten familiären Umfeld zwei sehr ähnlich geartete Fälle gegeben hat, und deshalb frage ich Sie ganz offen, ob dieser Ausdruck sozusagen zum Repertoire Ihrer Mutter gehört oder ob er eine Novität darstellt. Wenn er neu im Programm ist, sollten Sie sich möglicherweise mit dem Gedanken vertraut machen, dass Ihre Mutter in Richtung geistiger Umnachtung, eventuell verbunden mit religiösem Wahn geht (war in dem einen Fall die weitere Folge) oder auch, dass Alkoholmissbrauch im Spiel sein könnte (das war der zweite Fall). Ich bin weder Neurologin noch Psychologin, und im Bereich der Geriatrie dilettiere ich bestenfalls, aber die Parallelen sind für mich im Zusammenhang mit meinen persönlichen Erfahrungen unübersehbar.
steppenhund - 29. Dez, 16:22

Wenn diese Verhaltensweise so symptomatisch ist und sich offensichtlich wiederholt, würde ich viel nachdenken.
Und mir dann folgende Replik zurechtlegen:
"Sag stimmt das, meinst Du wirklich, dass ich ein Satan bin?"
"Ja, Du bist ein Satan." (Wenn es nicht zurückgenommen wird, wird dies sicher bestätigt werden.)
Und jetzt kommt es:
"Du tust mir wirklich leid, Du musst ja etwas ganz Fürchterliches angestellt haben!"
- verständnisloses Staunen...
"ES IST DOCH DIE SCHLIMMSTE STRAFE, DIE GOTT EINEM MENSCHEN AUFERLEGEN KANN, WENN ER SIE EINEN SATAN GEBÄREN LÄSST."
Und im Nachsatz:
"WIrklich, vielleicht hast Du recht und ich bin ein Satan. Aber wirst Du mir einmal verraten, warum gerade Du so fürchterlich bestraft wurdest."
-
Das ist noch die harmlose Variante. Ich könnte mir noch ein paar andere Szenarien vorstellen. Sie alle basieren auf der Tatsache, dass mit so einer Beschimpfung jeglicher Kontrakt zwischen Mutter und Kind gebrochen wird. Die obige Variante legt nahe, dass es mit dem "Satan" vielleicht doch nicht so seine Richtigkeit haben kann.
nanou - 29. Dez, 16:46

Un glaub lich!
Irgendwie drängt sich mir der Gedanke auf, als ginge es Ihrer Mutter nur vordergründig darum, dass Sie ihr alles Recht machen. Diese massiven Dauervorwürfe an Sie, meine Güte! [Hier ähnliche Vorwürfe erhalten, bis es mir gereicht hat dieses Jahr...]
Viel Kraft!

la-mamma - 29. Dez, 21:12

du weißt ja eh genau, dass es nicht stimmt! und ich weiß auch genau, dass solche bösen worte trotzdem furchtbar wehtun können. fühl dich einmal heftigst gedrückt!

rosmarin - 30. Dez, 01:15

*lässt inniges drückerchen hier*
....
eine freundin von mir, deren vater sie für einen satan hielt, den er zudem misshandelte.... schreibt seit vierzig jahren auf jede postkarte "amor vincit omnia"....
das kann schon sein, aber manchmal ist es die liebe zu sich selbst, die siegt (auch wenn ich ihre geduld mit der mutter mit großem respekt betrachte, denn mir wäre das unmöglich).

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