29
Dez
2010

Mama mia

Also, das ist mir jetzt doch überaus unangenehm, dass sich das hier zu einem Jaul- und Jammerblog entwickelt, andererseits wird all das wohl auch meinem Wappentier, der Mock Turtle, gerecht. Wenn ich es recht bedenke, verhält es sich mit Alice wie mit so vielem in meinem Leben. Das Wissen darüber scheint schon sehr lange da zu sein. Und langsam lösen sich die Rätsel.

Wie mit der Schneekönigin und jenem schrecklichen Spiegel des Kobolds – er war der Teufel – und seinen Splittern, die so viele in meiner Sippe getroffen haben - die herrlichsten Landschaften sahen wie gekochter Spinat darin aus – die so viel Schmerz, Hass und Einsamkeit säten - und die besten Menschen wurden widerlich oder standen auf dem Kopf ohne Rumpf – sickerndes Gift, scherzhaft gemeint, „du hast keinen Humor“, hässlich - Die Gesichter wurden so verdreht, dass sie nicht zu erkennen waren, und hatte man eine Sommersprosse, so konnte man überzeugt sein, dass sie sich über Nase und Mund ausbreitete. Meine Mutter hat mir Andersens Märchen geschent, ein wunderschönes Buch, groß mit Aquarellen. Und dann wollte ich den kleinen Jungen retten, doch der Splitter sitzt zu tief. Wie im Herz der Mutter.

"Ich aber liebte Narziß, weil ich, wie er an meinen Ufern lag und auf mich niederblickte, im Spiegel seiner Augen stets meine eigene Schönheit gespiegelt schaute" – ein Satz, den ich als Teenager stets bei mir trug. Gilt nicht nur für Mutter und Mann – vor ihnen bestehen sondern auch für das Schatzkästchen der Mock Turtle, das alles hier.

Danke, liebe Menschen für eure Gedanken und Worte und, ja, Liebe, das Netz. Ihr wart meine Rettung an diesem Tag. Ich wollte meinen Koffer am Flughafen deponieren und dann durch die Stadt streunen. War nicht. Wenn du jetzt gehst, siehst du mich nie wieder. Davor hat das kleine Mädchen Angst. Wo es doch helfen soll, will, muss. Ich hatte doch nie eine Freundin. Sie ist eine kranke Frau. Sie ist meine Mutter. Sie ist ein missbrauchtes Kind. Sie will nur gebraucht werden. Unstillbare Sehnsucht nach Liebe, die ihr auch das einzige Kind nicht geben konnte, niemand je. Und ich?

Sie war auch eien wunderbare Mutter. Sie ist mit mir in den Alpenzoo marschiert und hat viel mit mir gesprochen. Wie mit einer Freundin. Sie hat Tonnen von Büchern für mich nach Hause geschleppt und mich ernst genommen. Sie hat Pizza für meine Schulfreunde gebacken und Rumkugeln zu den Theaterpremieren. Sie hat meinen Schulweg mit mir auf Kassette aufgenommen und meine erste Wohnung mit mir eingerichtet. Meine Geburt hat eine Narbe hinterlassen. Mein Umzug nach Wien auch. Sie hätte wohl gerne Enkel gehabt. Sie ist die einzige Mutter die ich habe.

Satan hat sie nie vorher gesagt, böse schon oft. Woher das Wort plötzlich kmmt, weiß ich nicht, religiöser Wahn und Alkoholismus sind auszuschließen. Ich weiß, dass ich kein Satan bin, nicht einmal ein –sbraten, weil eben nicht prätentiös genug, mehr ein Teil von jener Kraft, die stetes das Gute will und stetes das Böse schafft, auch so ein Geldtaschenzitat der Jung-Turtle., Meine Kindheitsfreundin ist übrigens ihrer Meinung, Herr Steppenhund – und ich habe ähnliches schon am Morgen probiert, bevor ich Ihren Kommentar las. Wofür machst du mich verantwortlich? Was mache ich Böses in deinem Leben? Ich bin mir sicher, dass sie glaubt bestraft zu werden, bestraft werden will. Ich war eine schlechte Mutter. Und ich. ich, ich. Kindergesichter blicken mich an aus dem Gesicht der alten Frau. Ich sehe die Onkel, Tanten, Cousinen, Cousins, die Kinder, die die Pakete weiter tragen. ich sehe längst verstorbene, während sie die alte Anklage erhebt. Die Splitter im System. Familientage. Winter.

Ich hab mich entschuldigt. Auf Knien, hab mir die alten Geschichten zur Rechtfertigung angehört und ihr Leben anerkannt, den Kopf in ihren Schoß gelegt und sie Mutter sein lassen. Der See war zugefroren, Fußspuren bewiesen, dass das Eis einene Menschen tragen konnte, allein. Der Mann hat mich am Flughafen abgeholt, keine sanfte Landung. Ankommst erst hier im Jaul- und Jammerblog. Danke, sehr.

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Im Reich der Schneekönigin

Satan nennt mich die Mutter und hysterisch, schrei nicht, sagt sie und ich spreche doch leise. Du wirst schon sehen, sagt sie, wenn du mich nicht mehr hast. Das sagt sie schon lange, seit ich ein Kind bin. Ich gehe in den Keller und dusche kalt, der Boiler ist ausgefallen, aber das macht wenig. Es ist kalt in meiner Hölle, war immer schon kühl in diesem Haus, auch und vor allem atmosphärisch. An das Märchen von der Schneekönigin muss ich denken, das die kleine Turtle so geliebt hat, und an den Spiegel und die Scherben und wann sie die Mutter getroffen haben.

„Satan“ nimmt sie nicht zurück. Ich rufe sie täglich an, besuche sie alle vier Wochen, schicke dazwischen Blumen. „Auf der Straße tust du nett“ sagt sie: „Doch du bist so böse.“ Ich weiß, dass ich kein Satan bin, ich weiß, dass sie alt ist und krank und bitter. Und doch wünscht sich das kleine Mädchen in mir nichts sehnlicher, als dass sie das Wort zurück nimmt, sagt, dass es ungerecht war, dass es ihr leid tut, dass ich nicht böse bin. Das tut sie nicht.

„Ich weiß genau, was du hast“, sagt sie: „Zu wenig zu Weihnachten bekommen.“ Ein paar Pulswärmer, von der lieben Nachbarin gestrickt, hat sie mir geschenkt und ein Buch von Ildiko von Kürthy „Endlich“ – solche Bücher kaufe ich nicht einmal am Flughafen als Lesestoff für lange Reisen oder im Urlaub. Lustig habe sie es gemeint und weil es so viel mit mir zu tun habe, mit meiner Situation. Aber deswegen weine ich nicht, ich wundere mich.

Die Tränen fließen und es zerreißt mein Herz, weil es Satan tönt in meinem Kopf. Es ist so ein großes, verletzendes Wort von der Mutter an die Tochter gerichtet. Und doch nehme ich ihren Arm und zahle das Essen beim Thai und spreche gemeinsam mit ihr mit der netten Äthiopierin am Christkindlmarkt und begleite sie zum Friseur und suche und kaufe die Creme, die ausgegangen ist. Ich will kein Satan sein.

Später bin ich in den kleinen Park, wo ich mich dem Vater so nahe fühle. Der See ist zugefroren, es schneit und ist kalt und doch um so viel wärmer als im nahen Elternhaus. Grüßt mich da ein Herz aus frisch gefallenem Schnee auf dem dünnen Eis?

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Mock Turtle

Sit down, both of you, and don't speak a word till I've finished

Who sits there?

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2015-06-02-19-09-59

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