7
Sep
2009

Sinnfrage

„Wozu lebe ich noch?“ fragt meine Mutter am Telefon. Sie fragt es nicht zum ersten Mal. Ich habe mein Handy zwischen Schulter und Ohr eingeklemmt, um die Hände frei zu haben. Ich bereite ein Festmahl vor für den Erstgeborenen, für Herrn A. aus B. und Teile der kostbaren, kleinen Informationsgesellschaft, die sich an echten und falschen Freitagen im Stadtsitz von Ersterem einfindet. An diesem falschen Freitag ist ein Auslandsspiel geplant. Bei uns.

Ich kann die Frage nicht beantworten. Das wissen wir beide. Hilflos und zaghaft sage ich: „Für mich? Ich weiß, das ist kein Grund der ausreicht…“ Hochmütig ist es ihr mich, die große Tochter, 500 km entfernt, als Lebenszweck anzubieten. „Weil ich dich liebe..“, ergänze ich ungeschickt. Sie weint. Ich rühre Teig für indonesische Frühlingsrollen.

“Was ist mit mir?“, fragt sie: „Was habe ich noch für mich?“ Einen Menschen würde sie sich wünschen, für den sie leben könnte. Aber woher nimmt man so einen Menschen? Nur mehr zwei Stunden dauert es, bis die Gäste kommen. Der Liebste ist noch unterwegs auf der Jagd nach den exotischen Zutaten, die zur Bali-Küche gehören. Ich schneide Gemüse. Die Mutter schluchzt.

Bald wird die Freundin des Cousins vor der Türe stehen. Sie besucht ein Seminar in der Großstadt und schläft dann bei uns. Psychologie, Traumatherapie. Ob sie heute schon kommen darf, hat sie gefragt, und wir haben ja gesagt, auch wenn ich nicht ganz sicher bin, ob sie sich in der doch recht eingeschworenen und wohl auch ein wenig seltsamen Gesellschaft wohl fühlt.

Dass sie kommt und mit kocht und Gäste da sein werden, erzähl ich der Mutter, um irgendetwas zu sagen, den Tränenfluss, die Klage über das versäumte Leben zu unterbrechen. „Wir hatten so etwas nie, der Vater und ich“, sagt sie: „Freunde.“ Das stimme so nicht, entgegne ich vorsichtig: „Damals, als ihr so alt wart wie wir jetzt…“

Ich kann mich erinnern an die Freunde, an Würfelpoker und das kinderlose Ehepaar, das eine der besten - wenn nicht die beste - Herrenschneiderei in der Stadt hatte. Sie waren so schöne Menschen, voll Lebenslust. Einen Perserkater hatten sie, einen Bungalow mit Bächlein im Garten und jenen faszinierenden Schallplattenspieler, der zehn Platten hintereinander abspielen konnte. Die Erwachsenen tranken Schnaps und Wein, viel gelacht wurde und sie mochten das kleine Mädchen. Irgendwann hatte ich sogar ein Testament der Mutter gefunden – beim verbotenen Stöbern – in dem stand, dass sie sich wünschte, dass die beiden mich im Falle ihres Todes adoptieren. Irgendwann haben wir sie dann nicht mehr getroffen. Ich bin später dann noch manchmal in ihr kleines Geschäft gegangen. Sie hatten beide glänzende Augen und es roch eigenartig. Längst ließ sich kaum mehr jemand dort Anzüge machen. Ich habe Taschentücher – handrolliert - für den Vater dort gekauft – zum Geburtstag - und ein wenig mit ihnen geplaudert. Sie mochten mich noch immer. Dann sind sie gestorben, erst er, dann sie. „Und R und G.?“, frag ich. „Die hatten wir zu der Zeit schon lange nicht mehr gesehen, die haben sich vor allem mit anderen Kinderlosen getroffen.“ Nur selten kreuzen sich unsere Erinnerungen.

Die Schwiegercousine läutet – ich darf auflegen, bin erlöst von den Fragen, auf die es keine Antworten gibt, zumindest keine, die ich geben könnte. Das Herz des Cousins hat seinen Rhythmus noch immer nicht wieder gefunden. Es ist wohl immer schon gestolpert und außer Takt geraten, vielleicht war das mit Schuld, damals als er gehen wollte, diese Stolperer des Herzens, Fehl-Schläge. „Er müsst öfter zu euch kommen“, sagt sie am Ende dieser Nacht gleich ein paar Mal zu mir: „Wegen dem Leben…“

Und dann ein Festmahl mit Menschen, die ich liebe. Große Tafel, acht Personen und exotische Genüsse. Es ist gelungen und hat geschmeckt und die Gespräche waren kostbar wie so oft. „Ich hab das von dir, die Gastfreundschaft“, sag ich der Mutter zum Trost manchmal. Doch eigentlich kann ich mich kaum daran erinnern, dass es ein großes Essen wie dieses gegeben hätte, mit Freunden, mit Familie, mit Wahlverwandten. Meist saßen wir zu dritt am Tisch, manchmal Cousinen und Cousins, manchmal, als ich größer war, gab es Partys mit Pizza. Festmahle mit gemeinsamen Kochen gab es nie.

Das habe ich nicht von ihr – keine Ahnung woher ich’s hab. Eines weiß ich – auch dazu leb ich, für solche Abende, für die Begegnung mit so vielen kostbaren Menschen und wegen dem Leben!

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