Sinnfrage
„Wozu lebe ich noch?“ fragt meine Mutter am Telefon. Sie fragt es nicht zum ersten Mal. Ich habe mein Handy zwischen Schulter und Ohr eingeklemmt, um die Hände frei zu haben. Ich bereite ein Festmahl vor für den Erstgeborenen, für Herrn A. aus B. und Teile der kostbaren, kleinen Informationsgesellschaft, die sich an echten und falschen Freitagen im Stadtsitz von Ersterem einfindet. An diesem falschen Freitag ist ein Auslandsspiel geplant. Bei uns.
Ich kann die Frage nicht beantworten. Das wissen wir beide. Hilflos und zaghaft sage ich: „Für mich? Ich weiß, das ist kein Grund der ausreicht…“ Hochmütig ist es ihr mich, die große Tochter, 500 km entfernt, als Lebenszweck anzubieten. „Weil ich dich liebe..“, ergänze ich ungeschickt. Sie weint. Ich rühre Teig für indonesische Frühlingsrollen.
“Was ist mit mir?“, fragt sie: „Was habe ich noch für mich?“ Einen Menschen würde sie sich wünschen, für den sie leben könnte. Aber woher nimmt man so einen Menschen? Nur mehr zwei Stunden dauert es, bis die Gäste kommen. Der Liebste ist noch unterwegs auf der Jagd nach den exotischen Zutaten, die zur Bali-Küche gehören. Ich schneide Gemüse. Die Mutter schluchzt.
Bald wird die Freundin des Cousins vor der Türe stehen. Sie besucht ein Seminar in der Großstadt und schläft dann bei uns. Psychologie, Traumatherapie. Ob sie heute schon kommen darf, hat sie gefragt, und wir haben ja gesagt, auch wenn ich nicht ganz sicher bin, ob sie sich in der doch recht eingeschworenen und wohl auch ein wenig seltsamen Gesellschaft wohl fühlt.
Dass sie kommt und mit kocht und Gäste da sein werden, erzähl ich der Mutter, um irgendetwas zu sagen, den Tränenfluss, die Klage über das versäumte Leben zu unterbrechen. „Wir hatten so etwas nie, der Vater und ich“, sagt sie: „Freunde.“ Das stimme so nicht, entgegne ich vorsichtig: „Damals, als ihr so alt wart wie wir jetzt…“
Ich kann mich erinnern an die Freunde, an Würfelpoker und das kinderlose Ehepaar, das eine der besten - wenn nicht die beste - Herrenschneiderei in der Stadt hatte. Sie waren so schöne Menschen, voll Lebenslust. Einen Perserkater hatten sie, einen Bungalow mit Bächlein im Garten und jenen faszinierenden Schallplattenspieler, der zehn Platten hintereinander abspielen konnte. Die Erwachsenen tranken Schnaps und Wein, viel gelacht wurde und sie mochten das kleine Mädchen. Irgendwann hatte ich sogar ein Testament der Mutter gefunden – beim verbotenen Stöbern – in dem stand, dass sie sich wünschte, dass die beiden mich im Falle ihres Todes adoptieren. Irgendwann haben wir sie dann nicht mehr getroffen. Ich bin später dann noch manchmal in ihr kleines Geschäft gegangen. Sie hatten beide glänzende Augen und es roch eigenartig. Längst ließ sich kaum mehr jemand dort Anzüge machen. Ich habe Taschentücher – handrolliert - für den Vater dort gekauft – zum Geburtstag - und ein wenig mit ihnen geplaudert. Sie mochten mich noch immer. Dann sind sie gestorben, erst er, dann sie. „Und R und G.?“, frag ich. „Die hatten wir zu der Zeit schon lange nicht mehr gesehen, die haben sich vor allem mit anderen Kinderlosen getroffen.“ Nur selten kreuzen sich unsere Erinnerungen.
Die Schwiegercousine läutet – ich darf auflegen, bin erlöst von den Fragen, auf die es keine Antworten gibt, zumindest keine, die ich geben könnte. Das Herz des Cousins hat seinen Rhythmus noch immer nicht wieder gefunden. Es ist wohl immer schon gestolpert und außer Takt geraten, vielleicht war das mit Schuld, damals als er gehen wollte, diese Stolperer des Herzens, Fehl-Schläge. „Er müsst öfter zu euch kommen“, sagt sie am Ende dieser Nacht gleich ein paar Mal zu mir: „Wegen dem Leben…“
Und dann ein Festmahl mit Menschen, die ich liebe. Große Tafel, acht Personen und exotische Genüsse. Es ist gelungen und hat geschmeckt und die Gespräche waren kostbar wie so oft. „Ich hab das von dir, die Gastfreundschaft“, sag ich der Mutter zum Trost manchmal. Doch eigentlich kann ich mich kaum daran erinnern, dass es ein großes Essen wie dieses gegeben hätte, mit Freunden, mit Familie, mit Wahlverwandten. Meist saßen wir zu dritt am Tisch, manchmal Cousinen und Cousins, manchmal, als ich größer war, gab es Partys mit Pizza. Festmahle mit gemeinsamen Kochen gab es nie.
Das habe ich nicht von ihr – keine Ahnung woher ich’s hab. Eines weiß ich – auch dazu leb ich, für solche Abende, für die Begegnung mit so vielen kostbaren Menschen und wegen dem Leben!
Ich kann die Frage nicht beantworten. Das wissen wir beide. Hilflos und zaghaft sage ich: „Für mich? Ich weiß, das ist kein Grund der ausreicht…“ Hochmütig ist es ihr mich, die große Tochter, 500 km entfernt, als Lebenszweck anzubieten. „Weil ich dich liebe..“, ergänze ich ungeschickt. Sie weint. Ich rühre Teig für indonesische Frühlingsrollen.
“Was ist mit mir?“, fragt sie: „Was habe ich noch für mich?“ Einen Menschen würde sie sich wünschen, für den sie leben könnte. Aber woher nimmt man so einen Menschen? Nur mehr zwei Stunden dauert es, bis die Gäste kommen. Der Liebste ist noch unterwegs auf der Jagd nach den exotischen Zutaten, die zur Bali-Küche gehören. Ich schneide Gemüse. Die Mutter schluchzt.
Bald wird die Freundin des Cousins vor der Türe stehen. Sie besucht ein Seminar in der Großstadt und schläft dann bei uns. Psychologie, Traumatherapie. Ob sie heute schon kommen darf, hat sie gefragt, und wir haben ja gesagt, auch wenn ich nicht ganz sicher bin, ob sie sich in der doch recht eingeschworenen und wohl auch ein wenig seltsamen Gesellschaft wohl fühlt.
Dass sie kommt und mit kocht und Gäste da sein werden, erzähl ich der Mutter, um irgendetwas zu sagen, den Tränenfluss, die Klage über das versäumte Leben zu unterbrechen. „Wir hatten so etwas nie, der Vater und ich“, sagt sie: „Freunde.“ Das stimme so nicht, entgegne ich vorsichtig: „Damals, als ihr so alt wart wie wir jetzt…“
Ich kann mich erinnern an die Freunde, an Würfelpoker und das kinderlose Ehepaar, das eine der besten - wenn nicht die beste - Herrenschneiderei in der Stadt hatte. Sie waren so schöne Menschen, voll Lebenslust. Einen Perserkater hatten sie, einen Bungalow mit Bächlein im Garten und jenen faszinierenden Schallplattenspieler, der zehn Platten hintereinander abspielen konnte. Die Erwachsenen tranken Schnaps und Wein, viel gelacht wurde und sie mochten das kleine Mädchen. Irgendwann hatte ich sogar ein Testament der Mutter gefunden – beim verbotenen Stöbern – in dem stand, dass sie sich wünschte, dass die beiden mich im Falle ihres Todes adoptieren. Irgendwann haben wir sie dann nicht mehr getroffen. Ich bin später dann noch manchmal in ihr kleines Geschäft gegangen. Sie hatten beide glänzende Augen und es roch eigenartig. Längst ließ sich kaum mehr jemand dort Anzüge machen. Ich habe Taschentücher – handrolliert - für den Vater dort gekauft – zum Geburtstag - und ein wenig mit ihnen geplaudert. Sie mochten mich noch immer. Dann sind sie gestorben, erst er, dann sie. „Und R und G.?“, frag ich. „Die hatten wir zu der Zeit schon lange nicht mehr gesehen, die haben sich vor allem mit anderen Kinderlosen getroffen.“ Nur selten kreuzen sich unsere Erinnerungen.
Die Schwiegercousine läutet – ich darf auflegen, bin erlöst von den Fragen, auf die es keine Antworten gibt, zumindest keine, die ich geben könnte. Das Herz des Cousins hat seinen Rhythmus noch immer nicht wieder gefunden. Es ist wohl immer schon gestolpert und außer Takt geraten, vielleicht war das mit Schuld, damals als er gehen wollte, diese Stolperer des Herzens, Fehl-Schläge. „Er müsst öfter zu euch kommen“, sagt sie am Ende dieser Nacht gleich ein paar Mal zu mir: „Wegen dem Leben…“
Und dann ein Festmahl mit Menschen, die ich liebe. Große Tafel, acht Personen und exotische Genüsse. Es ist gelungen und hat geschmeckt und die Gespräche waren kostbar wie so oft. „Ich hab das von dir, die Gastfreundschaft“, sag ich der Mutter zum Trost manchmal. Doch eigentlich kann ich mich kaum daran erinnern, dass es ein großes Essen wie dieses gegeben hätte, mit Freunden, mit Familie, mit Wahlverwandten. Meist saßen wir zu dritt am Tisch, manchmal Cousinen und Cousins, manchmal, als ich größer war, gab es Partys mit Pizza. Festmahle mit gemeinsamen Kochen gab es nie.
Das habe ich nicht von ihr – keine Ahnung woher ich’s hab. Eines weiß ich – auch dazu leb ich, für solche Abende, für die Begegnung mit so vielen kostbaren Menschen und wegen dem Leben!
katiza - 7. Sep, 13:10
10 Kommentare - Kommentar verfassen - 0 Trackbacks
670 mal erzählt
nanou - 7. Sep, 14:38
Hin- und hergerissen zwischen verschiedenen Emotionen wäre ich bei einem derartigen Telefongespräch. Das war nicht leicht für Sie.
Schön, dass sie gerne Gäste bekochen und bewirten. So stelle ich mir seit langem meine Zukunft vor. Viel Kraft für Sie
wünscht Nanou
Schön, dass sie gerne Gäste bekochen und bewirten. So stelle ich mir seit langem meine Zukunft vor. Viel Kraft für Sie
wünscht Nanou
katiza - 7. Sep, 17:07
Dieses Telefonat führen wir immer öfter - in der Nacht nach dem festmahl habe ich sogar davon geträumt. Es - und manchmal auch sie, die Mutter selbst - erinnert mich daran, dass es jetzt zu leben gilt, im Augenblick, nicht in einer unsicheren Vergangenheit, nicht in einer benso unsicheren Zukunft. Irgendwann, Nanou, hätte ich Sie gerne an meiner Tafel sitzen...
nanou - 7. Sep, 22:39
Oh ... das wäre schön.
Aurisa - 7. Sep, 15:07
Die vielleicht schwerste Frage im Leben... und eine, die einem niemand beantworten kann...
Darauf kann nur jeder Mensch für sich selbst eine Antwort finden...
Ich habe darauf auch keine wirklich befriedigende Antwort für mich gefunden...
Darauf kann nur jeder Mensch für sich selbst eine Antwort finden...
Ich habe darauf auch keine wirklich befriedigende Antwort für mich gefunden...
katiza - 7. Sep, 17:09
Genau das wage ich nicht, ihr zu sagen, dass nur sie die Antwort finden kann - ich lass es manchmal anklingen. Ich finde manchmal Antworten darauf, längst nicht immer - dann fühlt sich das Leben wie Glück an, liebe Klaudia.
ConAlma - 7. Sep, 18:34
Ich komme gerade von 3 Tagen Reise mit meiner Mutter zurück. Bei der Rückfahrt haben wir von Freunden gesprochen. Sie lebt sehr zurückgezogen; eine frühe Schulfreundin ist viel zu bald an Leukämie gestorben, eine andere, richtige Freundin hat sich in Depression und Alter geflüchtet, sie mag nicht mehr. Und von den Kontakten hier in der Kleinstadt ist auch kaum was geblieben, die wenigsten Menschen passen ihr - und so ist sie sehr allein. "Ja du, du bist ja so viel unterwegs, da ist es leicht, auch später noch Freunde zu gewinnen", das klang fast ein wenig vorwurfsvoll, für mein buntes, oder aber entschuldigend, für ihr vergleichsweise blasses Leben.
Und was ich immer wieder merke: dass auch sie immer weniger Sinn in ihrem Noch-Leben sieht, da und dort ein bissl schon auslässt (dabei ist sie genauso alt wie mein Geliebter!), zwar auf die Augen schaut und das Knie, aber auch ein "Nimmer-Mögen" zulässt, Sätze wie "allzu lang sollt's nimmer dauern" ausspricht.
Angebote zu Theater- oder Konzertbesuchen schlägt sie aus, späte Abende sind ihr zu mühsam, und die drei Tage haben sie sicher auch sehr gefordert. Aber vielleicht kann sie etwas von den Blicken, die ich ihr geschenkt habe, Blicken auf Landschaften, verwerten.
Und was ich immer wieder merke: dass auch sie immer weniger Sinn in ihrem Noch-Leben sieht, da und dort ein bissl schon auslässt (dabei ist sie genauso alt wie mein Geliebter!), zwar auf die Augen schaut und das Knie, aber auch ein "Nimmer-Mögen" zulässt, Sätze wie "allzu lang sollt's nimmer dauern" ausspricht.
Angebote zu Theater- oder Konzertbesuchen schlägt sie aus, späte Abende sind ihr zu mühsam, und die drei Tage haben sie sicher auch sehr gefordert. Aber vielleicht kann sie etwas von den Blicken, die ich ihr geschenkt habe, Blicken auf Landschaften, verwerten.
katiza - 8. Sep, 07:39
Liebe, ich hoffe so sehr, dass wir nicht so müde werden, dass es der Krieg ist, die schlimmern und schwierigen Zeiten, die dieser Generation so zu schaffen machen...ich hoffe so sehr, dass Freundschaft dann noch möglich ist und Lachen, dass ich das Schöne auch seh beim Zurückschauen und dass ich mich nicht nach dem Tod sehne, dass hoffe ich am meisten.
Für deine Mutter hoffe ich, dass die Blicke in ihr nachklingen...dass sie das Schöne auch gesehen hat.
Für deine Mutter hoffe ich, dass die Blicke in ihr nachklingen...dass sie das Schöne auch gesehen hat.
steppenhund - 9. Sep, 12:07
@ConAlma
Ich bedaure, das über deine Mutter zu hören. Ich habe sie als einen erfrischend lebendigen, älteren Menschen erlebt. Irgendwann gehen wir alle den Weg. Mein Vater, der mit Parkinson die letzten Jahren bis zum 90er sehr abgebaut hat, konnte aber den Eindruck vermitteln, dass er sich noch gefreut hat. An ganz einfachen Dingen wie Blumen im Garten, am Hund, der heute selbst schon sehr alt wirkt, gesund aber müde, und an der Pflege durch Frau Columbo, die hier eine sehr gute Hand hat.
ConAlma - 10. Sep, 07:10
Danke euch beiden. Ich glaub, es hat viel mit dem Alleinsein zu tun: nicht ständig in Auseinandersetzung mit anderen zu stehen, sich daran zu messen und dadurch auch weiterzugehen. Und die Freude, ja die Freude geht mir bei ihr ab. Viel Rückblick, wenig Gegenwart. Ich weiß nicht mal, ob sie sich über all diese Ausflüge mit den Kindern gefreut hat. Ich glaub sogar, sie hatte Angst davor.
@steppenhund: allfällige Computerprobleme löst nunmehr mein Sohn ;-)
@steppenhund: allfällige Computerprobleme löst nunmehr mein Sohn ;-)
ConAlma - 10. Sep, 07:24
Der Krieg.
Er kommt in den Erzählungen und Erklärungen des Geliebten als ständiger Begleiter vor, die Kinderzeiten damals und die daraus wachsenden Jugendtage prägend. Bei meiner Mutter, selber Jahrgang, kein Wort davon, kaum eines; nicht die Umstände der Zeit werden als verantwortliche angemerkt, sondern allein die Familie wird als wesentlicher Umstand erzählt.
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