15
Jun
2010

P.S. an Mimi

Mein liebes Godlkind,

dein Papa hat mich gefragt, ob ich deine Patin werden möchte und unter Tränen hab ich „Ja“ gesagt – er hat mir damit ein wunderbares Geschenk gemacht, uns, liebe Mimi, denn ich verspreche dir, den Job sehr ernst zu nehmen und humorvoll auszuüben. Falls notwendig und deine Eltern wünschen es, trete ich sogar in die Kirche wieder ein. Die Mutter deines Papas war meine Godl, ich freue mich, dass ich dir ihren Namen geben darf – so schließen sich die Kreise wieder.
Ich freu mich auf dich und alles, was kommt!


Mimi
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8
Jun
2010

Werkstätte

Und sind endlich doch zum Bildhauer gefahren, den Grabstein zu bestellen. Ein Sonntagsausflug mit Mutter und Mann. Heiß ist es und auf den Bergen liegt Schnee.

Ich sitz hinten im Sharan und genieße es, wenigstens für die Zeit der Autofahrt ein bisschen allein zu sein – außer Sichtweite. Mutter und Mann konzentrieren sich auf mich, nicht nur, weil ich Tochter und Frau, ihr Verbindungsglied bin, sondern auch, um korrigieren, Ordnungen herzustellen, wie es ihnen beiden dringendes Bedürfnis ist. Immer wieder zupfen sie an mir, richten Krägen und Taschenriemen, ziehen Jacken und Mäntel in Form, meine Hände picken und müssen gewaschen werden, fordert die Mutter, in den Mundwinkeln habe ich Rotwein oder Kaffee, signalisiert mir der Mann mit allzu bekannter Geste und da ein Fussel und dort ein Fädchen, meine Erinnerungen sind unpräzis, ich rede zu laut, zu lange, zum falschen Zeitpunkt, ich unterbreche, ich entschuldige mich zu oft, zu unterwürfig. Ich passe nicht – misfit!

Wie ein Ärgernis fühle ich mich, das die notwendige Ordnung dieser beiden für mich so wichtigen Menschen stets stört, schon immer gestört hat. Beide werden leicht zornig, ob der anderen Menschen und ihrer Fehler und Dummheiten, ich fürchte diese Wut, wiewohl ich nur Zaunzeugin bin. Vielleicht ist das der Grund, weswegen ich mich stetig entschuldige, für jedes Missverständnis, alles was die Stimmen der beiden lauter werden lässt, was Ärger in ihre Gesichter malt. Ich fühle mich beobachtet und beobachte doch selbst andauernd, um Spannungen rasch aufzulösen, um nur keine schlechte Stimmung aufkommen zu lassen, des Friedens Willen.

„Entschuldigung, dass ich auf der Welt bin“, schrecklich klang dieser Satz in den Ohren des kleinen Mädchens, das im Bett lag, Steineier, Traumsteine in den Händen, glatt und kühl, und voller Verzweiflung den Streit der Eltern dort draußen belauscht. Der Satz fiel oft und macht solche Angst, heißt er doch, dass man selbst vielleicht auch nicht erwünscht ist auf dieser Welt, deplatziert. Ich bekomme ihn kaum mehr aus dem Kopf in diesen Tagen. „Dein Vater hat sich auch ständig entschuldigt“, sagt die Mutter. Ich weiß. Und doch kann niemand dieses Gefühl der Schuld, des Störens von uns nehmen, ganz im Gegenteil, das stete Bitten um Verzeihung verstärkt den Ärger der Zornigen nur.

Der Weg ist gesäumt von Erinnerungen, Kindheitserinnerungen, aber auch solche, die wir drei in diesem Auto teilen. Grün leuchtet der Achensee, wir essen im selben Gasthaus wie das letzte Mal. Neu ist nur der Weg zum Bildhauer. Im Rofan ist er zuhause, zwischen gigantischen Bergen gießt er seine Gedanken in Form. Die Mutter erzählt wieder von der ersten zufälligen Begegnung mit dem Künstler, vor Jahren als sie nach dem Schlaganfall hier spazieren ging. Eine Büste hatte sie angelockt und wie es ihre Art ist, hatte sie an die Türe geklopft, und sich nach dem Schöpfer erkundigt. Die Frau des Bildhauers hat ihr aufgemacht, zwei Stunden war sie dann beim Künstler in der Werkstatt gestanden ins Gespräch vertieft. Zwei seiner Statuen haben die Eltern später gekauft, Mann und Frau stehen bei uns im Garten, Vater und Mutter symbolisierend – eine Familienaufstellung in Bronze. Ohne mich.

Nun soll der Bildhauer das Grab machen für den Vater, eigentlich für sie beide, wie die Mutter betont, die möchte, dass ihre Urne später einmal dazu gelegt wird. Ich könne die Statue ja dann irgendwo aufstellen, wenn ich das Grab aufließe, das besonders pflegeleicht sein müsse – winterharte Pflanzen – weil ich es ja eh nicht pflegen würde. „Du bist ja in Wien.“ So wie ich das Haus gleich verkaufen würde, abreißen lassen, wenn sie dann stürbe, bald.

Der Bildhauer freut sich, dass wir kommen. Gleich nach dem Begräbnis habe er das Grab entworfen, erzählt er, und schon gewusst, dass wir uns irgendwann melden würden. Ein Sterbebild des Vaters liegt in der Werkstätte, jede Menge Zeitungsausschnitte hängen an den Wänden oder liegen zwischen Gipsabgüssen und Styropormodellen, die meisten Cartoons oder Kurzmeldungen, heiter und ein wenig anzüglich. „Intimrasur im Auto – Unfall“ oder ein aktueller Janosch.

Sie muss als junge Frau noch schöner gewesen sein, die Französin mit den weißen Haaren und der charmanten Sprache, die Frau des Bildhauers, die er mit einem In-die-Hände-klatschen ruft, ganz Patriarch, wie er betont. „Mein Mann war auch ein Patriarch“, sagt die Mutter. Das stimmt nicht, korrigiere ich, das trägt mir einen strengen Blick ein. Die Frau schminkt sich noch schnell, während uns der Bildhauer Anekdoten erzählt, von Politikern und deren Gattinnen. Er ist stolz auf die prominente Klientel, die ihm auch zu einem Professorentitel verholfen hat. Heute ist er schmutzig, der Herr Professor, weil er Gussrahmen baut für eine Haifischfamilie. Ein Freund hilft die Holzgestelle mit Asche auszukleiden. Schließlich pflückt der Bildhauer noch ein paar Blumen für die Mutter, uns bittet er wieder zu kommen, über Nacht, damit wir auch ein wenig Wein trinken können. Dann geht er in die Werkstatt, Haie gießen, und seine Frau zupft weiter Unkraut im Garten.

Morgen hätte der Vater seinen 80sten Geburtstag gefeiert. Wie gut, dass er auf der Welt war.

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1
Jun
2010

Liebe Mimi,

ich freu mich auf dich. Du bist ein Wunschkind. Vielleicht warst du es nicht dort, wo du am 20. August 2009 auf die Welt kamst, aber 5.000 km entfernt wurdest du bereits damals heiß ersehnt. Vor ein paar Tagen hat mich dein Papa angerufen und mir erzählt, dass sie dich nun holen dürften. Dein Papa ist mein Lieblingscousin, er war für mich immer ein bisschen wie ein Bruder. Ich hatte ja keine Geschwister, so wie deine Schwester, Prinzessin Mausezahn bis jetzt Einzelkind war. Auch sie, ein echtes Wunschkind. Die freut sich auch schon auf dich – ich hoffe so, dass ihr Freundinnen werdet, Schwestern. Deine Mama tut alles, damit auch das klappt und so weiß deine große Schwester schon sehr viel über Afrika, den Kontinent, den deine Eltern sehr lieben und über deine Heimat, Äthiopien.

Das Land in dem deine Wiege steht nennen sie die Wiege der Menschheit. Wegen Lucy wohl, dem Skelett der Urfrau 3,2 Millionen Jahre alt. Und die Königin von Saba soll auch aus Äthiopien gekommen sein. Starke Frauen, also. Heute hättest du es als Frau in Äthiopien nicht so leicht.

Deine Heimat hat eine große Geschichte und eine faszinierende Kultur und gehört doch heute zu den ärmsten Ländern der Erde. Dazu haben auch wir in unserem reichen Land beigetragen. Deine Bauchmama hat es sicher sehr schwer in ihrem Leben. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie sehr arm ist, ist hoch, vielleicht ist sie beschnitten, grausam verstümmelt wie 90 Prozent der Mädchen und Frauen in Äthiopien. Vielleicht wollte sie nicht, dass du Dinge erleben musst, die sie erlebt hat. Sie wusste sicher, dass sie dich in eine bessere Zukunft gibt, dich davor schützt, gequält, missbraucht, ausgebeutet zu werden, zu hungern, krank zu werden, früh zu sterben. Deine andere Mama wird alles tun, um dich zu beschützen und dir ein schönes Leben zu ermöglichen.

Es wird trotzdem nicht leicht, kleine Mimi, in der neuen Bergwelt, in die du ziehst. Es wird nicht einfach in dieser Familie mit ihren Ängsten und Rassismen, bei den Menschen dort, die lieber Gipfel stürmen als Worte wechseln und die das Fremde nur im Zusammenhang mit der Einnahmequelle Tourismus begrüßen können. Fremdenverkehr. Wir freuen uns so, lächeln sie deinen Eltern entgegen und am Telefon tauschen sie dann düstere Befürchtungen aus. Ob das gut geht, fragen sie sich untereinander, die Antwort bereits vorwegnehmend in gekräuselten Lippen und verengten Augen. Diese Familie wird schon misstrauisch, wenn jemand aus der Unterstadt kommt, ganz zu schweigen vom Fremden. Und das Fremde beginnt vor der Haustür. Fremd sind schon die Wiener, so ganz anders als wir, das stolze und fleißige Bergvolk. Fremd und beängstigend: die amerikanische Frau des Wissenschaftler Cousins. Noch fremder: die türkische Freundin des schönsten Cousins. Die lassen uns mit ihr ja nicht einmal ins Kasino, befürchtet sein Vater und, wiewohl Freund exotischer Reisen in den Jemen oder nach Ghana, alpträumte er von fremden Sippen, die das Erbe übernehmen würden, im Garten seiner Villa in Zelten hausend. Das wird nicht leicht, mutmaßen sie, man wisse ja, wie die Leute so seien. Klein sind sie ja lieb, die Negerkinder, meinen die Frauen, die alle mit Negerpuppen aufgewachsen sind. Aber sie werden ja größer. Dass es zu schwarz sein könnte, fürchtet die eine, als sie einmal zwei kleine afrikanisch-stämmige Kinder im Schnee sieht. Gar so schwarz.

Deine Familie, Mama, Papa, Mausezahn, lässt sich davon nicht irritieren. Deine Mama mit dem schönsten Lächeln der Welt, setzt sich schon durch gegen jegliche spießige Verbohrtheit. Sie wird mit dir basteln und dein Leben wunderbar bunt und fröhlich gestalten. Und sie wird dafür sorgen, dass du immer Afrika und deine Bauchmama im Herzen hast. Dein Papa lebt mit einem alten Zorn tief in sich und kann doch - oder vielleicht auch deswegen so viel Liebe geben und gibt sie. Glaub mir – er ist ein wunderbarer Vater, ein großer Bub, er kann (ver)zaubern und er wird dich Schifahren lehren, dir Rockplatten vorspielen, er wird blöde Witze machen, dich in den Armen halten und dich auf Händen tragen. Und Prinzessin Mausezahn wird dich mitnehmen in ihre, eure Welt. Ins Restaurant aus abgesägten Baumstämmen in der letzten Ecke des Gartens. Sie wird dir Grassuppe kredenzen und dich bevormunden. Sie wird dich vielleicht manchmal dorthin zurück wünschen, woher du gekommen bist . aber das machen Geschwister so.

Oh ja, sie haben sich gefragt, ob sie dürfen, sollen, können – dich aus deiner Welt in ihre Welt, aus diesem Leben in ein anderes zu nehmen und vielleicht wirst du dich oder sie das später einmal auch fragen. Sie tun es voller Liebe und so wird es wohl gut gehen.

Heute fliegen die drei, dich abzuholen. Ich freu mich auf dich, meine neue Cousinnichte mit der besonderen Geschichte. Mein Herz und mein Zuhause werden auch immer für dich offen stehen und sobald du aufrecht vor einem Herd stehen kannst, werden wir gemeinsam Injera backen. Und dabei werde ich dir Black Music vorspielen, versprochen.
Du bist ein Wunschkind, Mimi, und ich wünsche dir ein wunderbares Leben.

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24
Mai
2010

Psychedelic Superstar

Tanzen in der Pratersauna, bis zur Erschöpfung und doch vom Erstgeborenen mit immer neuen, alten Lieblingsnummern angetrieben. Wie großartig sind diese Momenten, ich spüre meinen Körper, mein Blut, ich fühle mich leben, die Menschen sind schön, Augenblicke, Rhythmus, Schweiß und Kraft.

Und dann ein letzter Gin-Tonic draußen. Einer steht da und will den Erstgeborenen.
Wie lange wir uns kennen, möchte er wissen. „Hundreds of years”, schlage ich vor.
„I like your hair“, meint er und “Psychedelic Superstar.”
Und ich bin glücklich.

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21
Mai
2010

Maschinendichtung 2110

Nicht den heiligen Geist beschwöre ich vor Pfingsten - eher den Deus ex machina:

Huskie (6. und letzter Teil) Der Krampus

"Abends teile ich gerne ein Glas Pernod, dann Almodovars „Volver“, ein fast reiner Biertrinker, kaufte er Wein, dann französischen Landwein.
So nach und nach lernte sie die Neugier.
"Also deswegen bist du so anders?" Die Frage erschreckte sie: "Wie meinst du das, Tri?" "Warum hast du nachgeschaut?" "Ich wollte nicht wie ein Stallknecht", meinte ihre Mutter damals wenig ruhmreich gegen Fer(r)et eingetauscht
21. Mai, 17:44


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20
Mai
2010

Nächtelang Freitag

Und immer wieder antanzen gegen die Sehnsucht und den Schmerz. Soul eben. Deep, deep Soul. Der Erstgeborene ist der DJ. “Es gibt eine gewisse Qualität von Menschen, die man am liebsten in seinem Wohnzimmer haben möchte”, erklärt er am Sonntagnachmittag ebendort: „Die fordern nicht, die nehmen, was kommt.“ Zen oder die Kunst des Schallplattenhörens.

Herr Doppel T gehört dazu und die geerdete Tänzerin an seiner Seite, die bezaubernde, junge Frau P., anderntags und ihr Exfreund mit dem Bubengesicht und dem Männerkörper, Chico.

Von Inseln im Ozean ist am Sonntag die Rede und DJ-Legenden werden erzählt, von wundersamen Schallplattenkäufen und für immer verlorenen Raritäten – some like it hot. Singles seien besser zum Auflegen, erklärt Herr Doppel T, Langspielplatten würden verführen vom Ursprungsset abzukommen. „Auseinander“, faucht Herr Doppel T, wenn dann der Erstgeborene und ich die Köpfe zusammenstecken und die Stirnen aneinander reiben: „Jetzt tun sie das schon wieder.“ Irgendwann singt Vico Torriani über Pizza, irgendwann spielt Friedrich Gulda Debussy, irgendwann singt B.B. King „Help the poor“.

Zwei Tage später dann die jungen Menschen aus der Heimat des Erstgeborenen, jenem Tal, in dem ich vor 40 Jahren glückliches Kind war in den Sommern bei den Großeltern, in der Villa mit Opas geliebtem Garten, in der Alte-Damen-Konditorei mit Oma und als meines Großvaters kleine Helferin beim Angeln in der Lavant. Das schöne junge Mädchen mit den Rehaugen und der Puppenfigur könnte meine Tochter sein. Nach kleiner Schwester fühlt es sich an. Dem Liebeskummer ist sie davon gereist nach Asien, erzählt sie, der der ihn verursacht hat war in Lateinamerika und lächelt. Sie kann es kaum glauben, dass die von ihr abgelehnte Heimatstadt mir einst Paradies war. Wir mögen die gleiche Sängerin, wir tauschen die klugen Sätze weiser asiatischer Mönche, wir mögen uns. Magische Augenblicke an diesem Abend.

Später, viel später, nach vielen Flaschen roten Weins sind dann die Tränen wieder da. Kaum ein Tag vergeht ohne sie. Nicht fordern, nehmen, was kommt, heißt das Gesetz des DJ. Sand auf der Hand, eben. Help the poor.

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14
Mai
2010

Puppi

„Haxi schön“ steht am Wochenkalender unseres Nachbarn. Fast jeden Tag in diesem Jahr, fein säuberlich am Ende jeden Tages, fast jeden Tages. Der Kalender hängt über einem Spiegel in der winzigen Küche der Nachbarwohnung. Darunter steht eine Bank, weiß überzogen, ein einfacher weiß gestrichener Holztisch, gegenüber der Fernseher, ein altes Gerät. Eine Elektroplatte steht auf dem uralten Herd, Stoffbärchen da und dort, Plastikblumen, Kitsch, vor der Tür ein Gold verbrämtes Aquarium mit dem Namen des Nachbarn drauf, auch in Gold, darin Seltsames, eine Ritterburg, Steine, Blumen. Ich habe sowas aber auch schon als „Kunst“ gesehen. Für unsere Nachbarn ist es Teil ihres Lebens, wie die Micky-Mouse-Ohren, die wir von Eurodisney als Pressegeschenk mitgebracht, irgendwann entsorgt, am Beifahrersitz seines wohl gepflegten uralten Opels wiederentdeckt haben, dem Sitz seiner Frau, der Hanni, der Puppi.

Dass sie so hieß, die kleine, zarte, alte Dame mit dem rosa leuchtenden Mädchengesicht, habe ich erst vorgestern erfahren. Wie eine Puppe, ein süßes Wiener Mädl wirkte sie, nur älter geworden. „Die Gattin“ sagt Herr W., wenn er von ihr spricht. Vorgestern sagte er erstmals Hanni und Puppi und meine Frau. Die Gattin bin auch ich für ihn, wenn er mich grüßen läßt durch meinen Mann. Spricht er mit mir direkt, sagt er „Gnädige Frau“. Frau Katiza nannte er mich vorgestern, der Herr Walter, als wir zu dritt auf seiner Küchenbank in der blitzsauberen Küche geweint haben.

Ich ahnte es, als ich die Rettungswagen vor der Tür sah, aber ich dachte mir, so viele Rettungswagen für so wenig Frau. Erst vor ein paar Tagen hatten wir die Beiden getroffen. Sie war so tapfer, die kleine Frau an seinem Arm, stets lächelnd und doch schmerzensvoll. Wie meine Mutter, nur ärmer, weicher wohl. Sanfter und einfacher. Einfache Leut‘ klingt doch seltsam für diejenigen, die es meist nicht so einfach haben im Leben. 80 wäre sie geworden im Juli, alles war vorbereitet, sagte Herr Walter und blätterte in dem Wochenkalender, in dem das Leben der beiden Nachbarn fest gehalten ist. Krank war sie halt sehr, ein Herzschrittmacher und die Beine. Aber das wäre schon gegangen und er zeigt uns die Einträge: Haxi schön. Kasteln putzen. Die großen Pflichten, die kleinen Tagessiege. Wie bei meiner Mama.

Er ist ein fescher Mann, unser Herr Nachbar, heute wird er 71. Was für ein trauriger Geburstag. Wie ein Hausmeister wacht er über das Haus und die nähere Umgebung. Einmal hat er den jungen Wilden unter uns die Türe eingetreten, das war aber schon vor 12 Jahren und Black Sabbath ist ja wohl nicht jedermanns Sache. Einmal hat er den Vandalen gestellt, der den kirchlichen Schaukasten regelmäßig ruiniert hat. Da ist er vom vierten Stock hinunter gesprintet. Einmal hat er uns die Türe neu gestrichen, einfach so. Als uns ein rosaroter Cadillac zur Hochzeitsreise abgeholt hat, haben sie uns gewinkt, er und seine Frau, von ihrem kleinene Balkon aus. Eine Flasche Wein aus dem Burgenland haben sie uns geschenkt. Wenn ich ein Autofenster offen ließ oder den Hausschlüssel am Postkasterl vergaß, hat er ihn mit herauf genommen und gemahnt. Waren wir im Urlaub, hat er das Reklamematerial vor der Türe entsorgt. Ein seltsamer älterer Herr, der immer tadellos gepflegt mit Aktentasche aus dem Haus geht und am Wochenende sein Auto putzt. Im Sommer fahren sie Podersdorf, er und seine Hanni, sind sie gefahren: "In Podersdorf ist man allein niemand".

Seine Frau haben wir in den letzten Jahren immer seltener gesehen. Der Aufstieg in den vierten Stock war nach der Herzoperation schon sehr mühsam für sie. Manchmal habe ich sie getroffen zwischen den Stockwerken, erschöpft und außer Atem. Da haben wir dann ein Schwätzchen gehalten, ihre schönen blauen Augen haben gefunkelt vor Freude, sie hat mich angestrahlt und ihre kleine Hand war so warm in meiner. „Sie hat Sie geliebt, meine Katiza hat sie immer gesagt“, hat Herr Walter vorgestern erklärt, als wir gegen Mitternacht seine Wohnung verlassen haben.

36 Jahre waren sie zusammen, die Hanni und der Walter. Sie war die dritte wichtige Frau in seinem Leben nach der Trafikantin aus Hernals, die erstickt ist, und Augustine, die an Brustkrebs gestorben ist. Maler und Anstreicher war er, als ihn die Hanni für einen Auftrag engagiert hat, hier im Haus, in ihrer Wohnung und dann haben sie sich wohl verliebt. So alt wie ich war sie damals, er neun Jahre jünger. „Sie hat es nicht immer einfach mit mir gehabt.“ Er entschuldigt sich, dass er die Straßenschuhe anhat, hier in der Küche, das hätte sie gar nicht gerne gesehen. So viel Liebe spüre ich, in dieser Küche, in diesem Schmerz.

Schnitzeln hatte es gegeben zum Mittagessen, sie haben sich noch über die Amsel vor dem Fenster unterhalten, dann sei sie plötzlich von der Bank gekippt. „Walter“ hat sie noch gesagt in seinen Armen. Die Rettung sei so lange nicht gekommen. Er habe auch noch die Polizei gerufen in seiner Verzweiflung. Sie haben ihn aus der Küche geschickt. Dann ist einer gekommen und hat gesagt, dass sie nichts mehr tun können. Im Stock unter uns haben sie gesehen, wie der Sarg vorbei getragen wurde. Der Trafikant, der uns das Beileidbillet verkauft hat, wusste Bescheid, der weiß immer Bescheid. Der Herr W. werde sich wohl ansaufen, vermutete er.

Später, abends, haben wir an die Türe geklopft. Er hat uns dann auch noch die Wohung gezeigt. Erinnerungsstücke zweier Leben, die eines waren in all diesen Jahren. Auf einem Kasten Äpfel, fein säuberlich aufgereiht. In einem Raum hängt Wäsche, ein Nachthemd der Frau rutscht von der Leine. Herr W. befestigt es wieder und ich weiß, dass es noch lange hier hängen wird. Er hätte auch noch eine Waffe, meint er irgendwann und dass es so viel einfacher wäre, sie jetzt zu nutzen. "Ich bin ein Militarist", sagt er. Ich drücke seinen Arm. „Bitte nicht“, sag ich und „das hätte die Frau Hanni nie gewollt“. Dass es ein glücklicher Tod war, betone ich, hier am Mittagstisch in seinen Armen, keine Ärzte, den liebsten Menschen bei sich, keine Qual, keine Schmerzen mehr, aus. Das Weiterleben ist trotzdem schwer, das weiß ich schon. Dass wir auf ihn schauen, versprechen wir ihm und der Hanni.
„12 :14“ steht am Mittwoch, dem 12. Mai 2010 am Kalender „Puppi verstorben“.

wenk1
1128 mal erzählt

5
Mai
2010

Der Kuss

Und plötzlich steht da dieses Paar und küsst sich. Mitten am Tag. Mitten am Stadionparkplatz, öffentlich und doch verborgen. Ich sehe sie schon von weitem, sie sind leichter von der Seite aus zu sehen, aus der ich herbeihumple. Jeder Schritt tut weh. Irgendwann nächtens habe ich mir eine Zehe blau gehauen, die Zeigezehe links und so gehe ich unter Schmerzen meines Weges. Auf die Küssenden zu, an ihnen vorbei. Ich habe somit Zeit, sie zu beobachten, ohne sie anstarren zu müssen, auch wenn sie das nicht bemerkten würden, so versunken sind sie ineinander. Und selbst, wenn sie ihre Lippen zwischendurch voneinander lösen, nur um ein wenig zu Schnäbeln, kleine Schlucke von der Seele des, der anderen zu trinken, nehmen sie wohl nichts wahr, außer diese Lippen und ihre warmen, hungrigen Zungen, den Atem des, der Anderen und die Sehnsucht eins zu werden. Warum sie ausgerechnet hier küssen, am verlassenen Parkplatz, wundere ich mich, eine heimliche Affäre vielleicht, ein überraschendes Wiedertreffen - kein Rendezvous, nicht hier unter der U-Bahn, angesichts des Stadions, nein kein Rendezvous. Ich bin froh, dass sie mich nicht bemerken, meine neugierigen, neidigen Blicke. Will auch, rollt sich meine Zunge im eigenen Mund, und meine Lippen schnappen ins Nichts. Der Mann fasst nach, zieht die Frau noch näher an sich, zwischendurch ein Blick in die Augen und dann weiterküssen, niemals aufhören. Ich weiß genau wie sich das anfühlt. Darum dreh ich mich noch einmal nach den Beiden um, bevor ich die U-Bahn Station betrete. Sie haben nicht aufgehört zu küssen. Wir schon. Darum weine ich ein wenig. Oder auch bloß, weil mir die Zehe so weh tut.


BerlinGraffity
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Mock Turtle

Sit down, both of you, and don't speak a word till I've finished

Who sits there?

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Im Bilde

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Wenn ich schon geahnt...
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Wenn ich schon geahnt...
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katiza - 22. Feb, 15:42
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