11
Nov
2010

10. November 2010: Tag(ung)

So ist es nämlich: gestern schrieb ich noch, dass ich mich kaum an meine Träume erinnern kann, heute dämmerten mir in den frühen Morgenstunden Traumbilder vom geliebten Vater, verzweifelt über meine Trennung vom Mann. Er mochte ihn sehr. Die undeutlichen Bilder, die unklare, kurze Traumfrequenz verstörten mich während das wunderbare Wesen – die Lurchfee - die Wohnung auf Vordermann brachte. Ein Besuch der feschen Tant‘ des Mannes im Wohnbüro tat sein Übriges. Ich freute mich, sie zu sehen, wir lachten sprachen und doch soviel Unausgesprochenes im Raum.

Am Nachmittag durfte ich dann eine Veranstaltung für meinen langjährigen Arbeitgeber moderieren, einen Kongress. Den letzten vor vier Jahren hatte ich mit vorbereitet und begleitet, dass ich heute auf der Bühne stand und so begleitete, war mir tatsächlich Ehre und werte ich als Zeichen von Wertschätzung. Noch mehr Wertschätzung und Glück waren mir aber die Begegnungen in den Gängen und Buffets, die herzlichen Umarmungen und freundlichen Gespräche mit den Putzfrauen und Altenpflegerinnen und Schädlingsbekämpfern und SeminarteilgeberInnen und dem sonnigen Chauffeur und „meinem Vorsitzenden“ Manche ließen den Mann grüßen.

Ich moderiere gerne, stehe gerne auf der Bühne, mag den Blick ins Publikum. Ich bin ein Zirkuspferd, funktioniere gut in der Manege; das direkte Gespräch macht mir mehr Angst. Und irgendwie mag ich auch die rituellen Versammlungen der Organisation, für die ich arbeite, das Summen, das in der Luft liegt, die Wiedersehensfreude, das Gemauschel, die Scherzchen, das Geplänkel, den Stress im Pressebüro, Gulaschsuppe, Frankfurter und zum Schluss ein Seidl, auf das mich der oberösterreichische Kollege eingeladen hat -. um der alten Zeiten Willen.

Es war ein guter Tag, ich bin zufrieden. Nur Abends schleicht die Trauer durch die Räume. Abends und Nachts ist es am Schwersten, das Gehen auf Baumstämmen im Fluss.

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10
Nov
2010

9. November: Tag der Erfinder(Innen)

Erfunden habe ich gestern nichts Nicht einmal gefunden, eher verloren, wieder ein bisschen mehr.
Ich bin wie so oft kurz vor dem Weckerläuten erwacht, frierend, allein. An meine Träume erinnerte ich mich – wie meist – nicht. Computer hochfahren. Sitzen. Mittags kochte ich. Lachsfilet auf Fenchel-Karotten-Orangen gedünstet, dazu Safranreis. Das hatte ich schon gestern kochen wollen, für den Mann und mich. Für mich alleine kochen. Es ist nie ein Abschied, es sind immer viele.

Abends dann wieder Kampf-Kunst. Immer nach vorne gehen, immer auf den anderen zu, Turnhallengeruch und ein wenig balgen. Ich bin es nicht gewohnt, die Faust zu ballen, anzugreifen. Anschließend ging Ich wieder zu Fuß nach Hause, ohne Musik, ohne Telefonate. Im Vorraum eine Begegnung, traurige Blicke, ungeschickte Gespräche.

Es gäbe genug Gedenktage an einem 9. November, ich hab mich in der Überschrift für den Tag der Erfinder entschieden und ein Innen angefügt, weil dieser Tag auf den Geburtstag von Hedy Lamarr gelegt worden war und die schließlich – unübersehbar – eine Frau war. Vor Jahren habe ich über sie gelesen und geschrieben und die Geschichte der Wiener Bürgerstochter, die 1933 mit Nacktszenen für Aufregung sorgte und schließlich mit dem Komponisten George Antheil den Frequenzwechsel erfand, ohne den Mobiltelephonie nicht möglich wäre. Gestern wäre sie 96 geworden.


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8
Nov
2010

8. November: Weltputzfrauentag

Danke, Herr Nömix, für den Hinweis, den ich schon morgens las, immer wieder abschweifend von der Pflichtlektüre. „Tag der Lurchfee“ nannten Sie es. Wie Lurchfeen sahen meine Putzfrauen nur sehr selten aus, manchmal wie Koboldinnen oder älter gewordene Wiener Mädln. Ich habe auch gelernt sie Reinigungspersonal zu nennen, dienstlich.

Privat bin ich froh, dass ich sie dienstlich kennenlernen durfte, diese gewaltigen Frauen, voller Liebe und Kraft, mit den weichen Formen und dem harten Leben, die Hedis, Poldis, Jasnas, Rosas, Hildes, Annis, Bognas oder Katharinas. Keine von ihnen hatte davon geträumt, Putzfrau zu werden, es macht nicht sonderlich Spaß, den Dreck anderer Leute wegzuräumen, ewig gleiche Abläufe in Büros vor oder nach den Bürozeiten, in öffentlichen Gebäuden, unsichtbar, rund um die Uhr, in Wohnungen und Häusern, oft misstrauisch beobachtet, seltsam mit dern Leben der BewohnerInnen verwoben, Zeuginnen intimer Geheimnisse.
Putzen ist ein gutes Geschäft, nationale und multinationale Konzerne verdienen sauber daran, bezahlt wird das Saubermachen nicht gerade gut, ganz zu schweigen vom Rest. Wer ist schon stolz darauf Putzfrau zu sein?

Unsere erste Bedienerin hieß Katharina, für mich Frau H.. Sie war eine hagere kleine Frau mit großem Herzen. Ich hab sie sehr geliebt und bin oft nicht von ihrer Seite gewichen. Sie hatte einen Sohn und eine Tochter, der Mann trank wohl. Einmal war ich in ihrem Häuschen nicht weit von uns. Es waren arme Leute - "arm aber sauber" - deswegen musste sie putzen gehen. Wir waren reich, wir konnten uns eine Bedienerin leisten, auch wenn meine Mutter immer vor- mit- und nachputzte, nie zufrieden. Irgendwann war Frau H. dann weg, lange habe ich geglaubt ich wäre schuld daran, weil ich so viel geredet hätte und ihr lästig geworden war. Später erklärte die Mutter, dass sie getrunken hätte, Frau H., heimlich im Keller, vielleicht hatte ich sie verraten, frage ich mich noch heute. Sie schenkte mir immer etwas zum Namenstag, lange Jahre.

Dann kam Frau K. mit den drei Söhnen; Eine bodenständige, grade Frau mit von schweren Brüsten gebeugtem Rücken. Mit dem jüngsten Sohn haben wir in der Küche ihres Reihenhauses an der Bundesstraße Hostienbruch genascht, ich weiß noch, wie ich mich voll wohliger Schauer rund um den Gekreuzigten geknabbert habe. In den mittleren Sohn war ich verknallt. Er ist später beim Drachenfliegen abgestürzt. Alle was geworden, die Kinder, sagt die Mutter oft, alle haben ein Haus gebaut. Frau K. putzt längst nicht mehr bei ihr. Jetzt ist es Maria aus Bosnien mit dem goldenen Zopf, dem fröhlichen Lachen und den tüchtigen Töchtern, die das Gymnasium besuchen. Hat sie auch, die in meinem Alter ist, aber dann kam der Krieg und jetzt putzt sie noch immer, wenn auch nicht genau genug und leistet der schwierigen Frau wenigstens von Zeit zu Zeit Gesellschaft, hört sich ihre Belehrungen an und bringt ein Lachen ins Haus.

Schon lange habe ich selbst eine Putzfrau. Weil ich es mir leisten kann und will. Eine Freundin, die mir aushilft, nennt man das in den Kreisen, in denen ich dienstlich bin, weil dort Schwarzarbeit verpönt ist. Aber anundfürsich spricht man nicht darüber. Eine Art Freundin ist sie mittlerweile, das wunderbare Wesen, das Ordnung in mein Leben bringt, mit dem ich mehr als einmal in der Küche geweint habe, das so viel weiß und versteht, auch und gerade mein Chaos. Und Schwarzarbeit ist es auch nicht mehr. Sie ist eine schöne Frau mit viel Seele und Verstand.

Und die anderen, die ich in den Seminaren kennen gelernt habe, Diplomingenieurinnen in alten Heimaten, ehemalige Kellnerinnen oder auch nur Ehefrauen, Volksschauspielerinnen und Squaretänzerinnen, Mütter, Großmütter, Geliebte, Geschiedene, Frauen, voller Geschichten, geheimnissen, Fähigkeiten. Lurchfeen voll Weisheit und S(Z)auberkraft.

Und sonst brachte dieser Montag die Geschäfte wieder ins Laufen, neue Aufgaben erreichten mich, arbeiten für die "gute Seite" und erscheinen schaffbar, meinem Ego wird auch Bühne geboten, ich spüre wie die Kraft zurück kehrt. Ich strecke den Rücken durch. Allein sein üben, sauber.

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7
Nov
2010

7. November: Sun(ny Side Up)day

Allein sein üben. Morgens nach dem Erwachen ließ ich mich ins Netz fallen, streifte um die Blogs, suchte Unterhaltung und Gesellschaft auf facebook. Zu faul, feig, freudlos Freundinnen oder Freunde anzurufen. Wahrscheinlich wollte ich auch mit niemandem sprechen, darüber und sonst wohl auch nicht.

Allein sein üben. Begegnungen an der Kaffeemaschine, im Bad. Charlie Parker im Fernsehen und endlich aufstehen. Mich hübsch machen, der schwarze Rollkragenpulli, die Vaterjacke. Mir war nach Schallplattenmusik und so machte ich mich auf den Weg quer durch die Stadt, durch die Bobo-Grätzel, vorbei an Shiatsu- und Psychotherapeutenpraxen, alten und neuen Lokalen, Graffities. Geschäften und Geschichte ins Cafe Drechsler, wo John Megill Sunny Side Up verlängerte, immer wieder Sonntags, ich war zum ersten Mal dort, Zum ersten Mal seit langem nicht dienstlich allein in einem Kaffeehauss, ich hatte Jahre in Kaffeehäusern verbracht in meinem anderen Leben, allein..

Allein sein üben. Einen Ein-Personen-Fensterplatz finden, in Zeitungen blättern und die Menschen beobachten. Rotes Zwickl im Seidl und Kalbsleber, ein Foto fürs Blog. Blickkontakte, kleine Geschichten. Das Kaffeehaus der fabelhaften Amelie in Paris sei eine Touristenfalle, berichtete der junge Mann ums Eck, das Wien jetzt und hier gut sei, war man sich einig. Ich blätterte, trank ein zweites Bier. Es war schon dunkel, als ich nach Hause ging. Schritt für Schritt am Sperl vorbei und quer durchs Museumsquartier. Ich kaufte noch Kastanien und Kuchen für den Mann. Alte Gewohnheiten.

Allein sein üben. Sunny side up.

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6
Nov
2010

6. November: Martiniloben

Wir haben beschlossen, einen Ausflug zu machen, ins Burgenland, Martiniloben, Gansl-Essen, Sonne sitzen. Der Mann hat gefragt, ob ich möchte und ich hab ja gesagt, warum auch nicht. Ein Ausflug, vielleicht der letzte für lange Zeit. Wir sind unsicher und sitzen doch wie immer nebeneinander, nur ein wenig verkrampfter. Ich spiele Musik, die selbe Musik wie auf unseren Reisen, bei so vielen gemeinsamen Autofahrten, Soul, und jede Satz wirkst schmerzhaft wahr: Lonely i just wanted someone to love ain‘t no big thing blues stay away from me. Von Anfang an sind wir diese Strecke gefahren, in Richtung Osten, wo wir uns kennen gelernt haben, 20 Jahre. Sie haben die Autobahn ausgebaut, viel hat sich verändert…

(und man darf sagen sie kannten sich gut)

Die Sonne scheint durch die goldenen Bäume und Windräder drehen sich über der Ebene. Don Quijote fällt mir ein und kämpfen und träumen. Irgendwann haben wir aufgehört zu träumen. Wir singen mit, abwechselnd und gemeinsam. One way love i wanna be free how can I forget I should’ve listened. Dachte er auch die Texte mit?

Da weinte sie schliesslich. Und er stand dabei.

Die Dankbarkeit
war voll, doch wir fanden woanders Platz, aßen gutes Gansl, tranken guten Wein und plauderten. Überall ist Martiniloben, die Weinkeller luden zum Besuch, offene Kellergassen. Wir fuhren weiter; wozu noch Wein kosten, wenn nicht um zu kaufen, wozu noch kaufen?
Später dann saßen wir in der Mole am Wasser, tranken Sprizz und sahen der Sonne beim Untergehen zu. Er fotografierte mich. Alle fotografierten und wir lachten darüber. Noch bevor die Sonne im See versunken war, brachen wir auf. Es war kalt am Wasser.

Vom Fenster aus konnte man Schiffen winken.


Am Nachhauseweg versank die Sonne hinter der OMV, Metropolis und ein Flugzeug startete am rosenroten Himmel durch. Ich liebe diesen Anblick, damals vor zwanzig Jahren und seither immer heißt er heimkommen und mehr. Ich bedankte mich, als wir heimkamen.

Sie sassen allein, und sie sprachen kein Wort
und konnten es einfach nicht fassen.


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5. November: Ruhetag

Der Vortag hing mir noch in Knochen und Kopf und so verschwendete ich den Tag mit angewandter Prokrastination. Gegen Abend ging ich zur Post, spazierte durchs alte AKH, die Studierenden saßen in den Wiesen, die Kinder tollten mit ihren Rollern um die Hütten des Weihnachtsmarkts, der bald eröffnet wird.

Abends aßen wir Steak, auf den Punkt gebraten. „Du siehst anders aus“, sagte der Mann: „Wirkst plötzlich anders, befreit. Hängt es mit der Entscheidung zusammen?“

Ich bejahte. Das tat ihm weh und mir deshalb leid. Doch langsam lerne ich das Gehen auf Baumstämmen im Wasser, im Fluß bleiben, nicht stehenbleiben, nach vorne sehen. Hinsehen, hinhören.


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5
Nov
2010

4. November: Muttertag

Immer wieder geht die Sonne auf – vor allem in diesem „falschen Frühling“ in Wien, der mit warmen Temperaturen und strahlendem Sonnenschein verwirrt. Auch hier bläst der Föhn, aber irgendwie ist sein Stürmen besser zu ertragen als in der Kindheitsheimat. Und so gelang es mir am Donnerstag im Großen und Ganzen konsequent und effizient zu arbeiten. Zur Belohnung buk ich Brötchen und kochte mir Pasta mit Bio-Fenchel aus der Gemüsekiste, das half den inneren Frieden zu stabilisieren.

Abends dann endlich wieder Kampf-Kunst. Das hatte ich mein ganzes Leben noch nie gemacht, mich ganz allein zu einem Kurs anzumelden, Sport noch dazu, ohne Andockstelle, beglitend motivierende Freundin oder so, außerhalb meiner sozialen Nische – ich komme mir wie eine Klischee-Mitvierzigerin vor und manchmal fühlt sich mein Leben an wie eine Sitcom. Teilweise muss es auch so ausgesehen haben, wenn ich wieder in körperliche Legasthenie verfallen bin und rechts und links verwechselt habe. Und doch ist es so gut, tut es so gut, wenn der Schweiß fließt.

Energiegeladen ging ich im Anschluss zu Fuß nach Hause. Und dort war ich fast ein wenig frustriert darüber vor dem Fernseher zu landen, auch wenn Dr. House sich diesmal um eine Bloggerin kümmerte. Bis dann der Anruf des Erstgeborenen kam, ob ich nicht Lust hätte mit ihm und seiner Mutter ein Gläschen Wein zu trinken. Ich war gerührt und aufgeregt, zog mich schnell wieder an, schnappte ein Flasche Fabelhaft und machte mich auf den Weg.

Und so saßen wir am gelben Sofa, seine Welten verbindend, durch ihn verbunden und tranken mehr als ein Glas und lachten, die resche Kärntnerin und ich, sagten Gedichte auf, sie Busch, ich Kästner und verschworen uns gegen den Buben, der uns zwischen Freude und Skepsis beobachtete. Und irgendwann legte er die Hundert Jahre auf. Dem Wohnzimmer gab dieser andere Abend eine neue Dimension und ich empfand es als Geste großen Vertrauens und voller Liebe, dass der Freund bereit ist, auch diesen Teil des Lebens mit mir zu teilen. Es geht mir gut.

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4
Nov
2010

3. November: Weltmännertag

Gestern war Weltmännertag, habe ich eben gelesen - und als solcher feierte der 3. November bereits seinen 10. Geburtstag. Nachträglich alles Gute also, den Männern dieser Welt, auch ihm, für den es kein guter Tag war, gestern.
War es für mich auch nicht.

Mir war nach gar nichts zumute, als ich mich morgens müde aus dem Bett quälte. Keine Zeit zum Sitzen, keine Zeit zum Haarewaschen und schon beim Augenöffnen erschöpft. Kein Mut zu nichts. Hektischer Aufbruch in Richtung Redaktionssitzung und dort alle Mühe, die Contenance zu waren, zuzuhören, präsent zu sein. Nach der Sitzung kamen wieder Tränen hoch, ich floh aufs Klo, in mir plärrte das kleine Mädchen, sang die Mock Turtle absurde Arien, ich kämpfte darum die Fassung zu bewahren, schrieb ein Hilferuf-SMS an den Erstgeborenen, für das ich mich kurz darauf in einem Zweiten entschuldige. Ich fühlte mich deplaziert, überflüssig, hysterisch. Ein kurzes Gespräch mit der Kollegin, deren Mutter gerade wieder ins Krankenhaus musste, ließ mich noch mehr schrumpfen, meine Luxusprobleme. Noch zwei Sitzungen an diesem Tag, die dritte war die wichtigste und allerschwierigste….

Am Weg zurück, vorbei am Narrenturm zieht es mir – wie so oft in diesem Tagen – den Boden unter den Füßen weg, wie gehen auf Baumstämmen im Wasser fühlt es sich an. Und doch muss ich weiter den eingeschlagenen Weg gehen, Schritt für Schritt.
Gate, Gate, Paragate, Parasamgate, Bodhi, Svaha!

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3
Nov
2010

2. November: Allerseelen

Am Allerseelenmorgen erwachte ich in meinem eigenen Fegefeuer. Ich habe Geld verloren, viel Geld, geschenktes Geld, für das ich lange arbeiten muss und viele andere noch länger. Schlampig verwahrt, weg, gestohlen oder einfach verloren. Nach panischer Suche, Rückfrage bei der Mutter, die mir ja gesagt hat, hätte, dass ich aufpassen soll und wie und überhaupt. Ich schäme ich, fühle mich klein und hilfllos, ungeschickt und schlampig, wie so oft. Relativ planlos und emotional aufgewühlt, stürzte ich mich in die Arbeit. Ein Anruf erinnerte mich an einen verpassten Termin, auch nicht meine Art, ein hektischer Aufbruch war notwendig, ein unsicherer Start in ein Gespräch. Ich esse nicht, trinke zu viel Kaffee, atme zu wenig aus. Das schlechte Gefühl setzte sich am Nachmittag fort, Gesprächsfetzen der letzten Tage durchbrachen den Arbeitsfluss; wo hatte ich die Ledertasche mit dem Geld hingegeben, wann habe ich sie eingepackt, wo könnte sie sein? Ein weiterer Anruf erinnerte mich an eine weitere vergessene Aufgabe. Und noch mehr Scham und Panik. Nur die Vorfreude auf einen Abend am gelben Sofa hält mich aufrecht.

Der Erstgeboren empfing und zum ersten Mal seit langem, war ich nicht einmal dazugekommen zu kochen, zu backen. Und dann saßen wir da, der Mann der Pfadfinderführerin, Herr Doppel T, der Erstgeborene und ich bei Schilchersturm, alten, oft erzählten Geschichten und lange nicht gehörten Tapes. Endlich wieder Lachen, ein paar Tanzschritte, ein paar große Worte. Und doch immer wieder gegen die Mock Turtle ankämpfen, die so gerne ihr schluchzend, pathetisches Lied anstimmen möchte. Und gegen die Unsicherheit, das Gefühl zu laut zu sprechen, das Falsche zu sagen, unzulänglich zu sein. Und gegen die Angst davor, das Pensum nicht bewältigen zu können, das Falsche zu tun, zu verletzen, ungerecht zu sein. Alle Seelen in meiner Brust schrien durch einander an diesem Tag, nur mit ein wenig Soul liesen sie sich beschwichtigen. Allerseelensoul. Und irgendwann legte der Erstgeborene Konstantin Wecker auf. Das Liederbuch, die frühen Jahre, noch nicht so kristallin durchsetzt wie später. Ich hatte es wohl Jahrzehnte nicht gehört. Er spielte nur ein einziges Lied, trotz meines Betteln.

Dann flossen doch noch Tränen, die Mock Turtle zeigte ihren Kalbskopf, bevor sie sich viel zu spät in die Nacht verabschiedete.

Man ist so einsam, wenn man friert.


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Mock Turtle

Sit down, both of you, and don't speak a word till I've finished

Who sits there?

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