27
Apr
2014

„Das darf ich Euch nicht sagen und darf auch keinem Menschen mein Leid klagen“

Hallo, ist da jemand? Manchmal scheint es mir als würde ich mir verloren gehen in all den Tagen und Wochen und Monaten hier. Mein Sein – weil zumeist ungesehen – entgleitet mir zwischen der aufopfernden, Fremdsicht, und der unsichtbaren, Muttersicht, Tochter. Ungespiegelt ohne Echo verblasse ich. Social Media gibt mir ein bisschen Außenwelt, aber auch das vergeht – Gefällt mir, Daumen hoch, heißt noch lange nicht, du darfst weiter leben – und selbst das mit den Gladiatoren soll reiner Mythos sein, sagen diesselben Netzwerke, gefällt mir, egal. Was wird übrig bleiben von mir, wer wird übrig bleiben von den Meinen? Bin ich noch, werde ich wieder und wenn dann wann und wer? Während die Mutter stirbt, verliere ich mein Leben scheint mir, vielleicht sind es aber nur die bösen Spiegelsplitter, die sie mir vor so langer Zeit eingepflanzt hat, vielleicht fürchte ich nur deshalb, dass Freundschaft an ein offenes Haus und Speis und Trank gebunden ist und nicht an mich. Und wer ist das schon, dieses Ich: Nur der hübsche Rahmen wie bei jenem Lieblingsspiegel, der einst hier ums Eck, hinter einem Vorhang verborgen, hing und nun mein Schlafzimmer ziert, selten als Spiegel genutzt, nie einen Lippenstift nach-, aber dann und wann anderes gezogen, er fängt ein anderes außen ein – und wirft es zurück. Hier verhallt meine Seele meist unreflektiert, segelt gegen unsichtbare Wände, stolpert über Teppichfalten. „Jetzt red nicht immer so viel…“ und dieser Blick, in dem ich mich nicht wiederfinde…

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Verloren, ich fühl mich verloren, ich bin mir verloren gegangen und mein Leben ist mir verloren gegangen. Und auch die Menschen, eine Handvoll bleibt, blieb, der Rest ist Schweigen. Am Anfang gab es noch die eine oder andere virtuelle Umarmung, jetzt muss ein Like genügen unter den Foto, Mutter stirbt schon zu lange, es fehlen die Worte, Euch und mir. Die schreckliche Wahrheit ist: Der Tag, an dem ich meine Leben zurück bekomme, ist der Tag an dem Mama ihres verliert. Das brülle ich in dieses virtuelle Ofenrohr und der Sound des Tastendrucks hallt durch das stille Haus.

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Gestern Geburtstag, der letzte, das Etappenziel mit Friseurin und Gärtner, mit Putzfrau und Familie – keineR über 50. Habemus Tantam und ein Ständchen und der 1. Offizier an der Klarinette, am Bewirten und im Herzen der Familie. Seifenblasen und Kinderlachen und ein wenig Verotisieren erfüllen die Luft. Und Versprechen, die wohl nicht gehalten werden können und im Moment des Aussprechens sich doch erfüllen. Einmal im Leben die Hauptperson und dann stiehlt ihr das „gute Kind“ die Show – Doublebind, Doublebondage. „Wegen dir, Mama“, beteuere ich, doch sie scheut den Blick in den Rückspiegel.

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Heute früh dann öffnete die Sterbende ihre Augen und erklärt, dass wir essen gehen, zur Signora, deren Gasthaus uns durch die schwersten Zeiten begleitet hat. Tadellos gekleidet und aufrecht bricht sie zum Ausflug auf, la grande dame, Signorissima, die Piratenkönigin Mutter – nie wollte ich so sein und jetzt wünsch ich mir doch ein Quäntchen dieser Contenance und Grandezza – vielleicht gewürzt mit ein wenig mehr Liebe, einem weicheren Blick, Genuss, Exzess, und Milde. Wir sprechen wenig, meine besorgten Fragen, ihre knappen Befehle, ein Danke dann und wann – nur mein “Ich hab dich lieb, Mama“, verklingt fast jeden Abend ohne Antwort in der Stille…
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steppenhund - 28. Apr, 10:02

Ich habe in einer Theatergruppe eine Frau kennen gelernt -vor zweieinhalb Dekaden - die hat praktisch nicht gelebt. sie wohnte mit ihrer Mutter zusammen. als die Mutter starb, fing ihr Leben erst an. sie ist heute zwischen 60 und 70 und wirkt jünger als damals mit 40.
-
aber es ist vermutlich müßig, etwas zu schreiben, denn Daumen auf kann ich beim besten Willen nicht empfinden. allerdings kann ich mir die Gefühle gut vorstellen ...
mir fehlt halt das Mitleid mit deiner Mutter.

datja - 28. Apr, 11:46

ICH HAB DICH LIEB

man ist das,
was man aus dem macht,
was aus einem gemacht wurde.

rosmarin - 28. Apr, 14:52

eine Zeit des Sortierens.
eine Handvoll Gebliebener - ist immerhin eine Hand voll.
Grandezza haben Sie, liebes Piratenweib.
Und das Lieben, hätte Ihre Frau Mutter gut von Ihnen lernen können.
...
(das mag jetzt böse klingen, aber ich hoffe, es geht bald vorbei und Sie erobern sich ihr Leben zurück oder erschaffen es aus Asche neu)

katiza - 28. Apr, 22:26

Danke für all Eure Kommentare - ich will nicht unhöflich erscheinen und richte mich an jedem Einzelnen auf, aber antworten kann und will ich derzeit nicht ...trotzdem bitte weiter wahrnehmen s.o. Spiegel und so...

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