Journal November 2010

6
Nov
2010

6. November: Martiniloben

Wir haben beschlossen, einen Ausflug zu machen, ins Burgenland, Martiniloben, Gansl-Essen, Sonne sitzen. Der Mann hat gefragt, ob ich möchte und ich hab ja gesagt, warum auch nicht. Ein Ausflug, vielleicht der letzte für lange Zeit. Wir sind unsicher und sitzen doch wie immer nebeneinander, nur ein wenig verkrampfter. Ich spiele Musik, die selbe Musik wie auf unseren Reisen, bei so vielen gemeinsamen Autofahrten, Soul, und jede Satz wirkst schmerzhaft wahr: Lonely i just wanted someone to love ain‘t no big thing blues stay away from me. Von Anfang an sind wir diese Strecke gefahren, in Richtung Osten, wo wir uns kennen gelernt haben, 20 Jahre. Sie haben die Autobahn ausgebaut, viel hat sich verändert…

(und man darf sagen sie kannten sich gut)

Die Sonne scheint durch die goldenen Bäume und Windräder drehen sich über der Ebene. Don Quijote fällt mir ein und kämpfen und träumen. Irgendwann haben wir aufgehört zu träumen. Wir singen mit, abwechselnd und gemeinsam. One way love i wanna be free how can I forget I should’ve listened. Dachte er auch die Texte mit?

Da weinte sie schliesslich. Und er stand dabei.

Die Dankbarkeit
war voll, doch wir fanden woanders Platz, aßen gutes Gansl, tranken guten Wein und plauderten. Überall ist Martiniloben, die Weinkeller luden zum Besuch, offene Kellergassen. Wir fuhren weiter; wozu noch Wein kosten, wenn nicht um zu kaufen, wozu noch kaufen?
Später dann saßen wir in der Mole am Wasser, tranken Sprizz und sahen der Sonne beim Untergehen zu. Er fotografierte mich. Alle fotografierten und wir lachten darüber. Noch bevor die Sonne im See versunken war, brachen wir auf. Es war kalt am Wasser.

Vom Fenster aus konnte man Schiffen winken.


Am Nachhauseweg versank die Sonne hinter der OMV, Metropolis und ein Flugzeug startete am rosenroten Himmel durch. Ich liebe diesen Anblick, damals vor zwanzig Jahren und seither immer heißt er heimkommen und mehr. Ich bedankte mich, als wir heimkamen.

Sie sassen allein, und sie sprachen kein Wort
und konnten es einfach nicht fassen.


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5. November: Ruhetag

Der Vortag hing mir noch in Knochen und Kopf und so verschwendete ich den Tag mit angewandter Prokrastination. Gegen Abend ging ich zur Post, spazierte durchs alte AKH, die Studierenden saßen in den Wiesen, die Kinder tollten mit ihren Rollern um die Hütten des Weihnachtsmarkts, der bald eröffnet wird.

Abends aßen wir Steak, auf den Punkt gebraten. „Du siehst anders aus“, sagte der Mann: „Wirkst plötzlich anders, befreit. Hängt es mit der Entscheidung zusammen?“

Ich bejahte. Das tat ihm weh und mir deshalb leid. Doch langsam lerne ich das Gehen auf Baumstämmen im Wasser, im Fluß bleiben, nicht stehenbleiben, nach vorne sehen. Hinsehen, hinhören.


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5
Nov
2010

4. November: Muttertag

Immer wieder geht die Sonne auf – vor allem in diesem „falschen Frühling“ in Wien, der mit warmen Temperaturen und strahlendem Sonnenschein verwirrt. Auch hier bläst der Föhn, aber irgendwie ist sein Stürmen besser zu ertragen als in der Kindheitsheimat. Und so gelang es mir am Donnerstag im Großen und Ganzen konsequent und effizient zu arbeiten. Zur Belohnung buk ich Brötchen und kochte mir Pasta mit Bio-Fenchel aus der Gemüsekiste, das half den inneren Frieden zu stabilisieren.

Abends dann endlich wieder Kampf-Kunst. Das hatte ich mein ganzes Leben noch nie gemacht, mich ganz allein zu einem Kurs anzumelden, Sport noch dazu, ohne Andockstelle, beglitend motivierende Freundin oder so, außerhalb meiner sozialen Nische – ich komme mir wie eine Klischee-Mitvierzigerin vor und manchmal fühlt sich mein Leben an wie eine Sitcom. Teilweise muss es auch so ausgesehen haben, wenn ich wieder in körperliche Legasthenie verfallen bin und rechts und links verwechselt habe. Und doch ist es so gut, tut es so gut, wenn der Schweiß fließt.

Energiegeladen ging ich im Anschluss zu Fuß nach Hause. Und dort war ich fast ein wenig frustriert darüber vor dem Fernseher zu landen, auch wenn Dr. House sich diesmal um eine Bloggerin kümmerte. Bis dann der Anruf des Erstgeborenen kam, ob ich nicht Lust hätte mit ihm und seiner Mutter ein Gläschen Wein zu trinken. Ich war gerührt und aufgeregt, zog mich schnell wieder an, schnappte ein Flasche Fabelhaft und machte mich auf den Weg.

Und so saßen wir am gelben Sofa, seine Welten verbindend, durch ihn verbunden und tranken mehr als ein Glas und lachten, die resche Kärntnerin und ich, sagten Gedichte auf, sie Busch, ich Kästner und verschworen uns gegen den Buben, der uns zwischen Freude und Skepsis beobachtete. Und irgendwann legte er die Hundert Jahre auf. Dem Wohnzimmer gab dieser andere Abend eine neue Dimension und ich empfand es als Geste großen Vertrauens und voller Liebe, dass der Freund bereit ist, auch diesen Teil des Lebens mit mir zu teilen. Es geht mir gut.

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4
Nov
2010

3. November: Weltmännertag

Gestern war Weltmännertag, habe ich eben gelesen - und als solcher feierte der 3. November bereits seinen 10. Geburtstag. Nachträglich alles Gute also, den Männern dieser Welt, auch ihm, für den es kein guter Tag war, gestern.
War es für mich auch nicht.

Mir war nach gar nichts zumute, als ich mich morgens müde aus dem Bett quälte. Keine Zeit zum Sitzen, keine Zeit zum Haarewaschen und schon beim Augenöffnen erschöpft. Kein Mut zu nichts. Hektischer Aufbruch in Richtung Redaktionssitzung und dort alle Mühe, die Contenance zu waren, zuzuhören, präsent zu sein. Nach der Sitzung kamen wieder Tränen hoch, ich floh aufs Klo, in mir plärrte das kleine Mädchen, sang die Mock Turtle absurde Arien, ich kämpfte darum die Fassung zu bewahren, schrieb ein Hilferuf-SMS an den Erstgeborenen, für das ich mich kurz darauf in einem Zweiten entschuldige. Ich fühlte mich deplaziert, überflüssig, hysterisch. Ein kurzes Gespräch mit der Kollegin, deren Mutter gerade wieder ins Krankenhaus musste, ließ mich noch mehr schrumpfen, meine Luxusprobleme. Noch zwei Sitzungen an diesem Tag, die dritte war die wichtigste und allerschwierigste….

Am Weg zurück, vorbei am Narrenturm zieht es mir – wie so oft in diesem Tagen – den Boden unter den Füßen weg, wie gehen auf Baumstämmen im Wasser fühlt es sich an. Und doch muss ich weiter den eingeschlagenen Weg gehen, Schritt für Schritt.
Gate, Gate, Paragate, Parasamgate, Bodhi, Svaha!

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3
Nov
2010

2. November: Allerseelen

Am Allerseelenmorgen erwachte ich in meinem eigenen Fegefeuer. Ich habe Geld verloren, viel Geld, geschenktes Geld, für das ich lange arbeiten muss und viele andere noch länger. Schlampig verwahrt, weg, gestohlen oder einfach verloren. Nach panischer Suche, Rückfrage bei der Mutter, die mir ja gesagt hat, hätte, dass ich aufpassen soll und wie und überhaupt. Ich schäme ich, fühle mich klein und hilfllos, ungeschickt und schlampig, wie so oft. Relativ planlos und emotional aufgewühlt, stürzte ich mich in die Arbeit. Ein Anruf erinnerte mich an einen verpassten Termin, auch nicht meine Art, ein hektischer Aufbruch war notwendig, ein unsicherer Start in ein Gespräch. Ich esse nicht, trinke zu viel Kaffee, atme zu wenig aus. Das schlechte Gefühl setzte sich am Nachmittag fort, Gesprächsfetzen der letzten Tage durchbrachen den Arbeitsfluss; wo hatte ich die Ledertasche mit dem Geld hingegeben, wann habe ich sie eingepackt, wo könnte sie sein? Ein weiterer Anruf erinnerte mich an eine weitere vergessene Aufgabe. Und noch mehr Scham und Panik. Nur die Vorfreude auf einen Abend am gelben Sofa hält mich aufrecht.

Der Erstgeboren empfing und zum ersten Mal seit langem, war ich nicht einmal dazugekommen zu kochen, zu backen. Und dann saßen wir da, der Mann der Pfadfinderführerin, Herr Doppel T, der Erstgeborene und ich bei Schilchersturm, alten, oft erzählten Geschichten und lange nicht gehörten Tapes. Endlich wieder Lachen, ein paar Tanzschritte, ein paar große Worte. Und doch immer wieder gegen die Mock Turtle ankämpfen, die so gerne ihr schluchzend, pathetisches Lied anstimmen möchte. Und gegen die Unsicherheit, das Gefühl zu laut zu sprechen, das Falsche zu sagen, unzulänglich zu sein. Und gegen die Angst davor, das Pensum nicht bewältigen zu können, das Falsche zu tun, zu verletzen, ungerecht zu sein. Alle Seelen in meiner Brust schrien durch einander an diesem Tag, nur mit ein wenig Soul liesen sie sich beschwichtigen. Allerseelensoul. Und irgendwann legte der Erstgeborene Konstantin Wecker auf. Das Liederbuch, die frühen Jahre, noch nicht so kristallin durchsetzt wie später. Ich hatte es wohl Jahrzehnte nicht gehört. Er spielte nur ein einziges Lied, trotz meines Betteln.

Dann flossen doch noch Tränen, die Mock Turtle zeigte ihren Kalbskopf, bevor sie sich viel zu spät in die Nacht verabschiedete.

Man ist so einsam, wenn man friert.


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2
Nov
2010

1. November: Allerheiligen

Nachdem alte Gespenster pünktlich zu Halloween über mich hereingebrochen sind, kam am nächsten Tag wie stets die tränenreiche Versöhnung. Früh am Morgen klopfte die Mutter an meine Tür und entschuldigte sich, der Föhn, das Leben, die Krankheit, des Vaters Tod, seine Familie, die vielen Aufgaben, die Einsamkeit, all das wäre Schuld. Und ist es wohl auch.
Und so entschuldigte ich mich auch und wir vergaben uns. Bleibt doch nichts anderes.

Schützend habe ich mein Netbook all diese Tage auf dem Schoß, halte mich fest an dieser anderen Welt, in der ich derzeit am meisten Halt finde. Stets behalte ich das Netz im Auge bei diesem Drahtseilgang der Gefühle. Im Fernsehen laufen die Soaps, die ihren Nachmittag begleiten: „Verbotene Liebe“, „Marienhof“, „Dahoam is dahoam“. Sie drohnt in ihrem Sessel mit Fußschemelchen. Ich sitze auf der Couch, wie stets mit derselben Schottenkarodecke abgedeckt, die schönen neuen Kissen hinten aufgereiht. Die Decke verrutscht immer, die Polster fallen. Sie beobachtet mich. Hin und wieder streckt sie die Hand nach mir aus. Ganz weich ist sie. Sie erzählt wieder und wieder vom Ringen um Anerkennung und Wertschätzung. Und von der Angst, was mit all dem hier passiert, wenn sie nicht mehr ist, dem wofür sie soviel geopfert hat.

Beim Mittagessen sprechen wir dann von der Vaterfamilie, versöhnlicher ist sie jetzt und lobt ihren Schwiegervater, meinen Opa, den ich sehr geliebt habe. In Osek habe er die Großmutter kennen gelernt, erzählt sie, dass er ein Herr gewesen sei und, dass er sie anerkannt habe und geschätzt. Und dann reden wir wieder über Papa.

Allerheiligen wird für mich immer am Friedhof der Kleinstadt stattfinden. Als Kinder standen wir – Cousinen und Cousins – aufgefädelt wie die Orgelpfeifen am großelterlichen Grab. Manchmal fehlte eines von uns Kindern, weil es mit Vater oder Mutter am Grabe der Schwiegerfamilie war, oft waren wir komplett, spätestens, wenn wir uns nachher am Vorplatz trafen. Im Großen und Ganzen mochte ich Allerheiligen, Familienfeste begeisterten mich das Einzelkind soundso und dieses hatte noch den einen oder anderen Extrabonus.

So durfte ich als Zweitälteste später die Kerzen mitanzünden, bei einem Süßwarenstand vor dem Friedhof bekamen wir türkischen Honig und Maroni, manchmal brachte mein Onkel, der geizige Sparkassendirektor, Geschenke vom Weltspartag mit, irgendwann waren die Erwachsenen betrunken und lustig, man konnte geheimnisvolle Geschichten belauschen, Bierdeckelhäuser bauen, bekam Gasthausessen und oft tollten wir Kinder spät nachts mit Taschenlampen durch die Obstgärten.

Der Preis, den man zu zahlen hatte, waren kalte Füße in ungeliebten Schuhen, eine lange mühsame Zeremonie, die man unter keinenUmständen durch Lachkrämpfe unterbrechen durfte, Schimpf, weil es trotzdem oder deswegen passierte, das Bemühen, traurig zu sein, an die Toten zu denken und sich schämen, wenn man stattdessen, den Vögeln nachsah und Grabsteine las, aufs Klo müssen und nicht können, es nicht sagen könen, weil man vorher gehen hätte müssen, genervte Eltern, Tanten, Onkel, der enge gang zwischen feuchten Pelzmänteln eingepresst und schön anziehen müssen. Der Tag, an dem ich zwar ganz in schwarz, aber mit zweifärbigen Strümpfen – blau das linke Bein, grau das rechte, war das letzte Allerheiligen vor Vaters Tod, an das ich mich erinnere. Die Schande. Ich hatte Liebekummer, unendlichen Liebeskummer.

Ich ließ die Mutter bestimmen, was ich tragen solle. Es zählt ja doch bloß für sie. Ich mag die Kleidung, die sie aus dem Mitgebrachten auswählt und ich mag den Stolz, den sie zeigt. Vaters Grab liegt ganz nah, bei dem der Großeltern, dort stehen Mutter Bruder, der mittlerweile epnsionierte Sparkssendirektor und die – jüngere - Schwester, Mutter des Lieblingscousins. Wie immer verschmälern sich die Lippen der beiden Schwestern, sobald sie einander sehen. Sie mustert mich – „Des hat ihr gfallen“, wird die Mutter später zufrieden zur Kenntnis bringen. Am Nebengrab, alte Freunde der Eltern, auch sie unterwegs verloren, die Kinder, mit denen ich einst gespielt habe, die Tochter mit der Wiesen gallopiert bin von Schicksalssalsschlägen gebeutelt. Die Rosen auf Papas Grab, sein Lachen auf dem Bild, der Boden, der sich senkt, der Föhn, die Berge.

Später dann im Gasthaus das übliche Kräftemessen unter den Geschwistern, mit der Schwägerin, die den Bruder vertritt, der nicht gekommen ist. Wie schon als Kind versuche ich auszugleichen und abzulenken und brause dann im falschen Moment auf und bekomme all die Messer ab, die sie gegeneinander gerichtet hatten. Mein Vater fehlt. Ruhig , freundlich humorvoll mit tiefer Stimme hat er bei diesen oft so boshaften Allerheiligen-Gesprächen für sanften Ausgleich gesorgt. Er mochte Allerheiligen.

Ich bin glücklich als mein Flieger abhebt, nach Hause. Und dann schlage ich hier mit voller Wucht wieder am Boden auf.

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Mock Turtle

Sit down, both of you, and don't speak a word till I've finished

Who sits there?

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Im Bilde

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