25
Jul
2010

Adieu, Herr Walter

„Wenn so was passiert, dann immer im vierten Stock“, meinen die Feuerwehr- und Rettungsmänner als sie bei uns oben ankommen. Wir lachen, der Gatte, die ehemalige Fahrschulbesitzerin und ihr Enkerl Maurice. Sieben, acht Jahre ist er, ein hübsches Lausbubengesicht, eine zu große Uhr am Handgelenk, Brasiliendress. Vor einer Stunde sind stand er mit ebenso neugierigen Augen hinter der Großmutter, die bei uns angeläutet hatte. Man kennt sich schon lange, vom Verschnaufen beim Stiegen steigen, Eier ausleihen, auf die Hausverwaltung schimpfen und lachen und auch weinen schon. Ich war gerade beim Frühstück machen, Brot schneiden, musste mir schnell ein Kleid überwerfen, den Gatten warnen, der im Bett mit angerichtetem Brunch wartete. Lazy Sunday eben, nicht easy, auch ein paar Tränen, wie’s halt so ist manchmal an einem regnerischen Sonntagmorgen.

Und da waren die Beiden. Die Frau mit dem schönen Namen entschuldigte sich: „Ich hab den Walter schon eine Woche nicht gesehen.“ „Die ganze Woche“ hält sie in Händen und ein Bezirksblatt. Beweisstücke, die sie ihm mittwochs vor die Tür gelegt hatte. Und dass er sie immer anrufe, wenn er am Licht erkenne, dass sie – einen Stock unter ihm – auf der Toilette wäre. Den Hof habe er ihr gemacht, lässt sie durchscheinen. Schon früher hatte er bei ihr übernachtet, wenn ihn Püppi vor die Türe gesetzt hatte. Und angerufen habe sie auch regelmäßig und ihm gesagt, dass er anrufen soll, falls er ins Burgenland fährt.

Das Licht brennt hinter der Türe. Als ich am Mittwoch spät heimgekommen bin, hab ich es brennen gesehen. „Der W ist noch wach“, hab ich zum Gatten gesagt. Wird wohl saufen, hat er geantwortet. Seit Püppis Tod haben wir ihn nicht mehr nüchtern gesehen. Unsere Essenslieferungen haben wir eingestellt, weil er sich jedes Mal bemüßigt fühlte, sie mit einer Flasche Wein zu bezahlen. „Den soll er selbst trinken“, haben wir uns gesagt: „Er kann ihn brauchen.“ Auch das Fenster stand seit Tagen offen. Wir klopften und klingelten noch einmal, der Gatte und ich. Dann hab ich die Polizei angerufen. „Der Trottel, wenn der jetzt nur besoffen in der Gegend herum liegt“, sagte die Fahrschulbesitzerin. Wir sahen uns in die Augen. Wahrscheinlich glaubte das nicht einmal Maurice.

„Überall steht Wien drauf“, bemerkt der Bub angesichts der acht Uniformierten die sich an der Türe des Nachbarn zu schaffen machen. Als allererstes haben sie das Aquarium weggeräumt, den obskuren Türschmuck der Ws. Ich fühle mich bemüßigt dem Kind etwas über Berufsrettung und -feuerwehr zu erklären, um es, mich abzulenken vondem hinter dieser Türe. „Lebte er allein?“ will der hübsche Rettungsmann wissen. „Die Frau ist vor sechs Wochen gestorben“, antworte ich. „Vielleicht hat er sich erhängt“, mutmaßt der Retter mit illustrierender Geste: „Dann müssen wir ihn runter schneiden.“ Barfuß am Gang frage ich mich, ob er mit mir flirtet.

Ein dicker Polizist kommt nun die Treppen herauf geschnauft. „Immer im vierten Stock“, keucht er oben angekommen. Die anderen lachen. Wir auch. „Dabei müssen wir des täglich gehen“, sagt die Fahrschulbesitzerin. Maurice schaut. Die Türe ist noch immer nicht offen, als eine Polizistin folgt. „Immer im vierten Stock passiert so was.“ Alle lachen und ich frage mich, was so was ist, sein könnte. Den Revolver hätten wir wohl gehört. „Das müsste er hören“, sagt die Nachbarin aus dem dritten Stock, als der Türstock kracht. Ich nicke. „War‘s doch gut“, dass Sie angerufen haben“, ergänzt sie. Angst und Trauer liegen in der Luft. Das Kind beobachtet. Ob er einen Hund hatte, will einer wissen. „Der hätt sich schon längst gerührt“, erklärt die Polizistin. Als die Türe offen ist, lässt sie sich von ihrem Kollegen Tigerbalsam geben und streicht ihn unter die Nase. „Schaut‘s auch im Bad, sagt die Fahrschulbesitzerin: „Da hat er jetzt geschlafen.“ „Wir schauen überall“, antwortet ihr ein Feuerwehrmann, der neben der Bassena lehnen bleibt.

Im Bad haben sie ihn gefunden. Kein schöner Anblick, sagt die Polizistin, als sie meine Personalien aufnimmt. Im Rausch verstorben wahrscheinlich. Ich will nicht fragen, keine Einzelheiten. Die Frau mit dem schönen Namen und ihr Enkerl gehen wieder nach unten. Ich brauch kein Frühstück mehr. Ich werde heute noch auf Herrn Walter trinken. Sein Lächeln wird mir fehlen und sein „Gnädige Frau.“ Die Scherze, die er mir hinter vorgehaltener rechter Hand erzählt hat in der Linken die braune Aktentasche, deren Inhalt mir für immer ein Rätsel bleiben wird. Bald wird sein Auto weg sein, das Aquarium, der Holzblumenstrauß, der Tischkalender, die Bärchen, die Mickeymouse-Ohren..

Ich bin nie dazu gekommen, ihn zu fragen, wo seine Püppi begraben ist. Dort wird wohl er auch liegen. Vielleicht frage ich die ehemalige Fahrschulbesitzerin mit dem schönen Namen. Vielleicht. Jetzt trink ich ein Glas Wein, auf den Herrn Walter und seine Püppi, Nachbarn im vierten Stock

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