23
Jul
2010

Zu Kreuze kriechen

Da kehre ich nun also zurück in den Schoß der Mutter Kirche. Vor mehr als zehn Jahren bin ich ausgetreten, Anlass war dafür keiner mehr nötig, Gründe gab es mehr als genug. Eher war es vielleicht verwunderlich, warum ich so lange bei diesem Verein geblieben war. Der Glaube war mir schon 20 Jahre vorher abhanden gekommen.

Dabei wäre die kleine Turtle ein dankbares Schäfchen gewesen. Die halbjüdische Großmutter hatte mich das Beten gelehrt, die Bibel las ich mit Begeisterung und in den masochistisch angehauchten Fantasien meiner Kindheit erschien mir Märtyrerin ein erstrebenswertes Berufsziel. Ja, das konnte ich mir gut vorstellen: Für meinen Glauben leiden, für meinen Glauben sterben. Der Herr Pfarrer, ein hagerer, verbissener Mann, der für den Religionsunterricht in der Volksschule zuständig war, verstärkte meine SchuldundSühneLeidensGlaubensannäherung noch durch Schreckensvisionen vom Fegefeuer und strenge Strafen wie Eckenstehen, Schranzhocke und Scheitelknien. Selten musste ein Mädchen so Buße tun,die kleine Turtle hat es geschafft. Was sie nicht geschafft hat, war Ministrantin zu werden, das blieb ihr damals Anfangs der 1970er in Tirol versagt. Der Kirche nahm sie das ein wenig übel und bewegte sich den ersten Schritt weg vom Glauben.

Mit dem Gymnasium, Bergen von Büchern und der Pubertät folgten weitere Schritte, jeder schneller und größer als der vorige und irgendwann zwischen Böll und Sartre hörte die Turtle auf, an Gott zu glauben. Den Religionsunterricht beim kleinen Prof im weißen Mäntelchen, das sonst nur den Biologie, Physik und Chemie unterrichtenden Kollegen vorbehalten war, besuchte ich weiter. Dort lernten wir vor allem über den Kirchenausbau samt Lichtorgel unseres Professors und über die Höhlen von Qumran. Um den Lageort letzterer zu illustrieren mussten immer wieder Landkarten aus dem Geographiekammerl geholt werden. Stets wurde ein Bub dafür ausgewählt den kleinen nach viel zu viel Rasierwasser duftenden Mann im weißen Mäntelchen zu begleiten. Jahre später hörte ich, die Buben, die Ministranten und das Kammerl seien ihm zum Verhängnis geworden. Es überraschte mich kaum.

Während der Studienjahre übernahmen die Eltern die Kirchensteuer, damit ich ein christliches Begräbnis bekäme, erklärte die Mutter. Der Vater sagte nichts und zahlte. Erst jetzt nach seinem Tod erkenne ich langsam, dass er wohl sein sehr gläubiger Mensch gewesen ist. Auf unseren Reisen und Ausflügen konnte er an keiner Kirche vorbeigehen, ohne sie zu betreten, eine Kerze anzuzünden und sich auf ein paar Minuten in die hölzernen Sitzreihen zu quetschen – versunken sah er aus, wohl in ein Gebet. Ich sehe ihn auch einen Laib Brot anschneiden und vorher mit dem Messer das Kreuzzeichen an die Unterseite malen und ich spüre noch immer jenes Kreuz, das er mir so oft mit dem Daumen zärtlich zum Abschied auf die Stirn gemalt hat. Unser letzter gemeinsamer Spaziergang durch das fremd gewordene Heimatdorf führte uns erstmals gemeinsam – bei meiner Erstkommunion war er wie oft verhindert - in die Dorfkirche und schließlich auch zum Kugeltoni, einem Bild des heiligen Antonius, 1809 durchlöchert von den Kugeln der Franzosen, in einer kleinen Kapelle.

Mir aber blieben Gott und Kirche fern. Geheiratet haben wir dann aber doch auch kirchlich. „Die haben Jahrhunderte Erfahrung und bieten daher die beste Show“, rechtfertigte ich die Inkonsequenz – und erst das Hohe Lied der Liebe. Getraut hat uns ein lebenslustiger Abt, der vor Eintritt ins Kloster als der schnellste Saustecher Niederösterreichs war und uns zum Eheunterricht ein feines Weinchen kredenzte.Fünf Jahre später bin ich dann endlich ausgetreten. Ohne Anlass, mit vielen Gründen.

Und doch, auch wenn mir Gott und Kirche fern sind, habe ich dem Neffen letztes Jahr gar eine Bibel weil er sich für Gott interessiert und weil ich das Buch mag und es untrennbar mit unserer Kultur verbunden ist. Ich hab gefragt vorher, ob ich das darf. Und ich hab nachgeschaut nachher, er hat darin gelesen, ein wenig zumindest.

Und jetzt Mimi und die große Ehre ihre Taufpatin sein zu dürfen, als Ausgetretene geht das aber nicht und im heil’gen Land schon gar nicht. Und so beschloss ich das Comeback. Mit offenen Armen wurde ich aufgenommen im Haus gegenüber von einem Priester, der dieselbe Hautfarbe hat wie mein Patenkind. Morgens wenn ich meditiere schau ich immer auf das Kirchendach. „Glaube, Hoffnung und Liebe“ hat Schubert zur Glockenweihe dieser Kirche geschrieben. Der schwarze Pfarrer hat eine kleine Zeremonie mit mir abgehalten, zwei Pfarrsekretärinnen standen mir als Zeuginnen zur Seite – in meinem Freundeskreis hätte ich niemanden gefunden, der noch dabei ist.

Zu viert standen wir in der Antoniuskapelle und das half ein wenig. Beim Glaubensbekenntnis stieg aber der alte Widerspruch in mir auf, vor langer Zeit hatte ich aufgehört es bei den seltenen Gottesdiensten mitzumurmeln, jetzt musste ich laut und deutlich vom Blatt lesen. Und so log ich, log für Mimi, log beim Vater Unser und bei der Kommunion. Und ließ mich doch ein wenig von der Vetrautheit der Worte auffangen – wie auch wir vergeben unsern Schuldi gern. Geld wollten sie keines, ich hab gespendet und im Kreuzgang mit Fürbitten-Tafeln noch eine Kerze für Papa angezündet. Über mir hängt Jesus: Gloria.

2010-07-21_11-06-14_151_Wien
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Mock Turtle

Sit down, both of you, and don't speak a word till I've finished

Who sits there?

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