30
Apr
2010

Ankommen

Das Jahrhundertptojekt hat mich im Auto nach Tirol und wieder zurück geleitet. Borcherts „Draußen vor der Tür“ hat mich in jene Zeit katapultiert, als ich „Traurige Geranien“ las und Böll und Grass. 15, 16 Jahre alt und von Büchern besessen, geleitet. Böll ließ mich verstehen, dass man den Krieg überleben kann. „Gruppenbild mit Dame“ und „Ansichten eines Clowns“. Das habe ich ihm geschrieben und er hat mir eine Buch geschickt oder sein Verlag oder Agent oder so. Mit einer Karte „Mit herzlichen Grüßen Heinrich Böll“. Das hat mich stolz gemacht. Ich habe meine Anne Frank gelesen und die Geschwister Scholl um ihr zum Märtyrertum beneidet. In Mauthausen habe ich einen Schulkollegen geohrfeigt, weil er schlechte Witze gemacht hat. Ich hatte das Zeugs zur Widerstandskämpferin. Das alles geht mir durch den Kopf, wenn ich Beckmann höre, der dort geboren ist, wo jetzt Fremde wohnen. Und die Knef, die sich wundert, dass ein Land, das zu Ausschwitz geschwiegen hat, wegen ein paar Sekunden nackter Sünderin auf die Barrikaden steigt.

Und dann die 1960iger der Mutter vorgespielt im Auto beim Sonntagsausflug zum runden Geburtstag – ganz begeistert war sie von der gepflegten Sprache, der schönen Musik, der Erinnerung und hat mitgewippt bei „Wir wollen niemals auseinander gehen“ – der Vater habe das Lied sehr gemocht, verrät sie mir zwischendurch - und mitgesungen bei „Marina“ und mitgeweint beim Hans Albers‘ Begräbnis und Helmut Käutner: „Hanne! Hör mal, Hanne, die Hansi sagt mir, du hast dich schlafen gelegt. Na bitte, das ist doch ganz natürlich. Wer so viel gearbeitet hat wie du, der wird doch auch mal müde sein dürfen. Außerdem, man muß sich doch ausruhen, wenn man eine so weite Reise vorhat wie du! Eine so weite Reise in die große Freiheit. In die einzige Freiheit vielleicht, die es wirklich gibt.“ Ganz nah war sie mir da.

Der Erstgeborene freut sich, als ich ihm das erzähle, endlich wieder zuhause angekommen, am gelben Sofa. Geborgen fühle ich mich hier und zugehörig. Salat aus Spargel und grünen Erdbeeren habe ich mitgebracht und Brot gebacken, Freitag soll es sein an diesem Mittwoch, der uns beiden allein gehört. Schallplatten hören und tauschen und reden und lachen und trinken. Debussy und Gulda, Schubert „die Unvollendete“ und Helen Shapiro „Queen for Tonight“, so fühl ich mich, wie eine Königin. Nur manchmal für Augenblicke wäre ich gerne ein Prinz.
Unsere Abende enden am Fußboden. Irgendwann gleite ich vom gelben Sofa auf den Teppich, zu seinen Füßen nehme ich so gerne Platz, all die Leben schon. Und er kommt zu mir, bringt sich auf Augenhöhe. Da sitzen wir dann, der Erstgeborene und ich und trinken ein letztes Glas vom roten Wein.

Und ich bin wieder zuhause angekommen.

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28
Apr
2010

Der König und ich

Mein Kinderzimmer war niemals Kinderzimmer und auch nicht mein. Wenn ich zuhause bin, wo ich zuhause war, schlafe ich nicht mehr dort. Ich schlafe im Elternschlafzimmer, das zuletzt das Schlafzimmer meines Vaters war. Auch nicht seines, auch wenn in den Kästen noch immer seine Hemden hängen und in den Regalen seine Bücher stehen. In zwei Schubladen findet sich Persönliches. Nichts hat sich verändert, seit er nicht mehr ist. Nur wenig Spuren dort, dass er da war.

Auch in meinem Kinderzimmer hat sich kaum etwas geändert, seit ich vor mehr als 20 Jahren weg gezogen bin. In den Regalen stehen meine Kinderbücher, an den Wänden hängen noch immer die alten Poster: Klimt und Toulouse-Lautrec. Puppen sitzen herum, mit denen ich nie gespielt habe. Die altrosa Tagesdecke liegt auf dem schmalen Bett. Ich weiß nicht mehr wirklich, ob ich mir die Poster ausgesucht habe. Die Decke wollte ich nie. Ich mochte rosa nicht. Stets musste sie glatt gestrichen werden, wenn ich aufstand und das Zimmer verließ, fast wie um die Spuren des Lebendigen zu verwischen. Alles in diesem Haus wirkt unbelebt, frei von Spuren.

An einer Wand hängt König Harald. Schon als ich ein kleines Mädchen war, war er in seinem weinroten Rahmen mit der goldenen Krone mein Mitbewohner. Lange wusste ich nicht, wer hier mit stillem Lächeln über mich wachte. Er sah meinem Kinderarzt ähnlich und so vermutete ich eine Zeit lang, es sei dieser auf dem Bild und er stünde dort, um böse Krankheiten und Unbill abzuwehren.

Fremd ist mir das Zimmer, manchmal stehe ich in der Türe und suche die Spuren des kleinen Mädchens, das hier aufgewachsen ist. Ein kleines Schaden in der hölzernen Betturmrahmung zeugt noch von ersten Schreibversuchen, ein winziges Bild vom Tödlein erinnert an eine große Liebe, in einer Schublade finden sich zwei, drei Fotos und ein wenig Krimskrams, dort unter dem Schreibtisch verkroch das kleine Mädchen sich, wenn der Kummer mächtig war und biss sich in den Handrücken bis der körperliche Schmerz den seelischen besiegt hatte. Beim Fenster hinaus rauchte der Teenager Chesterfield. Erinnerungen ja, aber kaum Spuren.

Manchmal erscheint mir nur mehr der fremde König vertraut.

KoenigHarald
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19
Apr
2010

Zerfall

Erst war es sein Computer, dann der eine Monitor, zwischendurch die Avokadopflanze und schließlich meine Festplatte, die den Geist aufgab und mich fast zwang mit Netbook, Monitor und Tatstatur zu übersiedeln. Der Laptop hörte nur Tage später au,f verlässlich seinen Dienst zu tun und dann ist da noch das Licht im Backrohr, das nicht mehr leuchtet. Selbst die Narzissen – geschenkt im Bemühen – begannen bereits kurz nachdem sie in einer Vase auf meinem Schreibtisch Platz gefunden hatten, zu verblühen.

Es ist ein großes Enden hier drinnen und draußen ist Frühling.

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13
Apr
2010

Und ich?

Im Foyer des Planetariums tanzen eine blonde Elfe und ihr Faun zu Brasil, während sie auf ihre Garderobe warten. Junge Menschen, höchstens Anfang 20 und beide klein und zart gewachsen, sie in einer blauen Tunika, schönes, langes, blondes Haar, er mit modischen Bärtchen. Es wirkt, als wäre die Musik für die beiden geschrieben und ihre Bewegungen versprechen einander noch viel für diese Osternacht. Es ist ein magischer Moment, den ich da betrachten darf, einen Cocktail in der Hand, an der Wand hinter dem DJ-Pult lehnend. Neben mir der Gatte. Der Erstgeborene ist längst wieder im Getümmel verschwunden. Der Faun lässt sich das Plattencover zeigen, vielleicht wird es „ihr“ Lied. Und dann versagt mein Kreislauf.

Tage später beim Erstgeborenen roll ich mich behaglich auf meinem Musenpodest zusammen. Wieder und wieder wird das Jahrhundertprojekt verändert. Eartha Kitt mit „C`est si bon“ kommt dazu – „Keine Ahnung, wo das her kommt, aber es muss rein“, erklärt der Erstgeborene.

Bilder tauchen auf von einer kleinen Bühne vor 25 Jahren. Woody Allens "Gott, ein Drama" und "C`est si bon“ von Spike Jones ist Pausenfüller, von uns im Playback hüftschwingend und fingerschnippend vorgetragen…

“Oh ja“, sag ich: “Es muss.“ Stolz zeigt mir der Erstgeborene einen Tonbandabschließer. Es ist Freitag.

Und ich?
Zu viel vom zu wenig!

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1246 mal erzählt

1
Apr
2010

Welcome to the wonderland

Das Wetter war, glaube ich, ähnlich, gestern vor 20 Jahren, als ich im Auto unterwegs in mein heutiges Leben war, regnerisch trüb. Ich war unterwegs nach Bratislava, um dort Privatradio zu machen. In Österreich war das damals nicht möglich, wegen der Monopolstellung des ORF und so mussten wir in die Stadt hinter dem eisernen Vorhang, der erst kurz zuvor hochgegangen war, ausweichen. Wir: ein Häufchen Irre, handverlesen.

Ich hatte bereits Radioerfahrung, beim Monopolisten im Regionalfunk, manchmal sogar ein Beitrag österreichweit und war dabei als Seitenblickerin Fuß zu fassen und kellneriert habe ich auch noch, als mir die Anzeige in die Hände gefallen ist, mit der GR ein Team für einen neuen Radiosender suchte. GR, dessen Brummton im „Wecker“ mich für die Schule geweckt hat. Mr. Hard Rock, der mir so manches „Scheibchen“ nahe gebracht hat. Und Radio, das geliebte Medium, das durch die Ohren in den Kopf dringt und zärtlich Bilder aus dem Gehirn massiert. Ganz wild und neu und nicht öffentlich rechtlich, wie ich es kannte, mit Tontechnikern in weißen Mäntelchen und gefährlichen Intrigen.

Ich hatte es geschafft, drei Castingrunden überstanden, inklusive Kampftrinken und saß an diesem Samstagmorgen in meinem weißen R4 und hörte die vertraute Stimme auf 101,8 Megaherz. Zugegeben der Opener war ein wenig peinlich…aber es folgten die wohl schönsten Jahre meines Lebens. Sex&Drugs&Rock’n Roll – was waren wir für eine einzigartige Mannschaft, die im noch ostblockgrauen Bratislava arbeitete, lebte und liebte.

Der Altvater GR, der so manchen Rausch dirket auf der Redaktionscouch ausgeschlafen hat, der uns erwählt und zusammengeschweißt hat, „Moderatoren bekommen Schweigegeld. Ihr seid Wurstsemmelverkäufer, nicht mehr. Zeit ansagen.“ Der große weiße Vogel, seine tierverrückte Assistentin, blond und lang beinig , von ihm verehrt, heiter und gütig, die Wüstenspringmäuse, die Perserkatze. Fatzka. Der Kopf des schönen Herrn G. auf meinem Schoß. Herr Locke und die Liebe. Pete, the animal, und Rudi Rüpel, beide mit Austropopvergangenheit. Der Wurmige mit seinen Frauen und später der Schurl als Chef und der Stadelmann. Hermine mit so viel Seele und das kehlige Lachen von Doris, Püppchen schien sie mir und ist so eine tolle Frau geworden. Marieli und Herr F. Und Pippi. Und Miss As Küsse. Und Axel, der fein gebildete und Sträußel, unsere Techniker der schlaue Jan, die aufgeweckte Vera und Roman, der Ruhige… und …und… und…Frühschichten und Schneechaos, Vyprazany syr und Becherovka, Ronnie Urini und Ballroom Blitz und die Sweet selbst, lieve in Bratislava am 1. Mai 1990 - alte Männer in engen Hosen...und ..und…und heiße Küsse und tanzen am Tisch, sich unter den selbigen trinken, Huren und Pabstbesuch…Leben im Hotel, in Wohnungen in Häusern und manchmal in Wien. Meist dazwischen. Der Liebste seit damals an meiner Seite, und auch den Erstgeborenen habe ich dort wieder gefunden, im Wonderland.

Und Radio machen, Radio machen, Radio machen: chaotisch, improvisiert, erfindungs- und einfallsreich, mit Lachkrämpfen und Spontanübersetzunegen, Beitragsübermittlung aus der Telefonzelle und heruntergebrochene Tonbänder, ganz nah bei den HörerInnen, auch wenn wir im Bauch der umgekehrten Pyramide, das ferne Wien nur ahnen konnten. Wir fühlten uns ein wenig wie PiratInnen und die Leute mochten uns. Wir bekamen Fan-Post und gute Quoten, auch denn es der ORF nicht wahr haben wollte.

Später dann gings auf und ab, mit der Bezahlung, mit den slowakischen Regierungen, mit dem Sender. Als wir in Mörtels Einkaufszentrum übersiedelten, war ich nicht mehr dabei.

Viele der Menschen von damals sind mir geblieben, sie und die Erinnerungen an "Mein privates Radio!"

Skandal
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26
Mrz
2010

Bucheckern

„Buchecker", antwortete ich sofort, als mich die Metallbildhauerin aufforderte ein Symbol für mich in der Natur zu finden und ich beschrieb ihr den kleinen Fingerhut, innen samtweich außen rau, fast stachelig. Nahrung könne daraus werden, wenn die weise Frau das kleine Mädchen lehre, die Bucheckern einzusammeln und zu mahlen, versicherte ich ihr, mehr ahnend als wissend.

Als ich wenige Tage später in der Schmiede der Meisterin der stahlharten Liebe zur Seite stehen durfte, fand ich viele Bucheckern am Boden. Sie half mir, doch es fühlte sich wie Zermahlen werden an. Nicht nur eine Schmiede gibt es dort, auch Mühlen, neben einer wohnt sie gar, auch sie betrieben von heilsamen Tränenströmen.

Abends dann ein gutes Essen, gekocht von einem, der Wohlgemutheit auf seine Fahnen heftet.

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777 mal erzählt

25
Mrz
2010

Eine Bitte:

Ihrsolltelachen
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24
Mrz
2010

treffpunkt TANZ im pfarrsaal

Heute schon was vor?

Tanzim-Pfarrhaus
1121 mal erzählt
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Mock Turtle

Sit down, both of you, and don't speak a word till I've finished

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