Aus dem Schatzkästchen der Mock Turtle

18
Jul
2007

Cara Mia (1)

Es war trocken, heiß und ihre Füße taten ihr weh. Die Riemen der neuen Sandalen scheuerten an ihren schweißigen Fußballen. Die Schuhe bestanden lediglich aus zwei schmalen Lederbändchen und einer flachen Sohle und hatten sie zwei Stunden vorher ein Vermögen gekostet. Siena. Während sie sich zum Brunnen schleppte, verfluchte sie die Idee, die Schuhe sofort anzuziehen.

Später wollte sie denken, dass im selben Moment, in dem der kühle Wasserstrahl ihren wunden Ballen traf, ihre Augen in Caras Augen tauchten. Caras kühle Wasseraugen.

Sie war nicht lesbisch. Sie hatte zwei, drei mal mit Freundinnen rum gemacht - aber das war in ihrer Sturm-und-Drang-Phase. Zu viel Martini und Harold Robbins. Und Hunger auf Alles. Sie hatte aber auch nichts gegen Sex mit Frauen, der Gedanke gefiel ihr. Meistens, wenn sich die Gelegenheit ergeben hätte, war ihr die Treue dazwischen gekommen. So oft hatte sich die Gelegenheit aber nicht ergeben.

Immer wieder hatte sie sich in Frauen verliebt. Meistens in die Frauen, in deren Männer sie bereits verliebt war - Dreiecksträume. Oder in Fremde mit Blicken wie Cara. So auch in Cara. "Schmerzhaft schön", sagten die atollgrünen Augen zu ihren Schuhen. In Wahrheit sagte es ein knallroter riesiger Mund in einem Porzellangesicht.

Cara war schön und sah wie eine Koboldfee aus - eine Koboldfeenkönigin. Sie betrachtete sie von unten, die Hand an ihrem Knöchel. Caras wilde blonde Haare verschmolzen mit der Sonne hinter ihrem Kopf. Sie streckte ihren Rücken durch bis sie mit der anderen Frau auf Augenhöhe war. Die beiden hatten den Blick nicht voneinander gelassen, breit lächelnd beide. Die Löwinnen zeigten Zähne, während sie Maß aneinander nahmen.

Dann merkte sie, dass sie noch immer mit einem Fuß im Brunnen stand. Im Lachen verbeugte sie sich wieder vor der Anderen. "Ja" war die überflüssige Antwort. Cara zog ihr wortlos die Schuhe aus und half ihr aus dem Brunnen. "Kaffee?"

"Ich würde dich gerne fotografieren", sagte Cara, kaum hatten sie sich vor dem kleinen Espresso niedergelassen. "Nackt" fügte sie lächelnd hinzu, noch bevor Lisa antworten konnte. Überhaupt war sie bisher kaum zu Wort gekommen. Die Koboldfeenkönigin hatte zielstrebig das winzige Lokal in der Seitengasse angestrebt und am Weg dorthin kein einziges Mal zu sprechen aufgehört. Sie schien die halbe Stadt zu kennen und grüßte in alle Richtungen während sie Lisa ihre Lebensgeschichte in Kurzform erzählte. Ihrer österreichischen Mutter hatte sie zu verdanken, dass sie fließend Deutsch sprach, aufgewachsen war sie in Mailand und am Comer See. Ihr Vater war Italiener und hatte Geld. Sie selbst lebte als freie Künstlerin in der Nähe von Siena.

"Schau nicht so entsetzt – ich brauche dich", Caras Augen blitzten: "Ich hab da so eine Idee." Lisa lachte verlegen. Sie fühlte sich zutiefst verunsichert und wusste nicht, was sie sagen sollte. "Espresso, prego", stieß sie schließlich hervor. "Schon besser", Caras Zähne standen leicht schief, Koboldfeenkönigin. In Lisas Kopf spielte sich ganz großer Bahnhof ab. Sie spürte wie ihr Zittern nahte. Sie war am Wort. Sie war Moderatorin. Sie hatte eine eigene Radiosendung, sie hatte Fans, moderierte Großveranstaltungen und war nie um eine Antwort verlegen und doch verschlug es ihr in Caras Gegenwart die Sprache.

"Du zitterst"
, Cara betrachtete sie neugierig und sie spürte wie ihr Zittern zum Beben wurde. Das war ihr seit Jahren nicht mehr passiert. Sie war sich so sicher gewesen, dass sie dieses kleine zitternde Mädchen endlich hinter sich gelassen hatte und plötzlich war die alte Hilflosigkeit wieder gekehrt. Cara berührte Lisas Hand. "Keine Angst." Der Kellner brachte den Kaffee. (Fortsetzung folgt)

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655 mal erzählt

4
Jul
2007

Aus der Zeit – Happy End

Filme mit Happy End mag ich am liebsten. Klar mag ich auch die traurigen oder die, die einen grübelnd zurück lassen. Aber am schönsten ist es, wenn alles gut ausgeht. Auch nach dem Abspann vor dem Kino. Wo die Knopfkönigin mit ihrem "knight in shining armour" sitzt. Wie aufregend klingt der Ritter in schimmernder Rüstung im Vergleich zu unserem simplen Märchenprinzen. Die Drachen hat die Königin letztendlich selbst besiegt und dann hat Rapunzel ihr Haar herunter gelassen. Jetzt sitzt er hier, der Ritter mit dem Cafe in Californien. Dabei trinkt sie doch gar keinen Kaffee, Fee, die Königin, Felicitas, die Glückliche, die so lange unglücklich war. Lieber trinkt sie einen guten Rotwein und ihr Ritter mit dem weißen Haarhelm trinkt Bier. Bewundernd schaut er sie an, während sie noch einmal die Geschichte vom Knopfkönig erzählt. Von der verliebten 16-jährigen und der trotzigen jungen Frau, die alle Warnungen der Mutter in den Wind geschlagen hat. "Dabei hat sie so recht gehabt." Ihren Ritter jetzt hat sie wegen Niemandem und gegen Niemanden. Endlich. Der Panther ist befreit. Es gibt keine tausend Stäbe und keine Knöpfe mehr. Das Leben huscht nicht mehr am Fenster vorbei. Es ist hier am Spittelberg in einer lauen Sommernacht, nach dem Film, vor dem Kino. Die Augen glänzen, ein süßes Wiener Mädl, die Button-Queen. Der Ritter lächelt.

"Aus der Zeit" läuft noch bis 12. Juli im Filmhaus am Spittelberg
668 mal erzählt

2
Jul
2007

Märchen von den sechs Sesseln

Und es begab sich einmal, dass sich in einem Gasthaus am großen Wald, eine gar wundersame Gesellschaft zusammen fand. Drei liebreizende Damen und drei gebildete Herren – oder auch umgekehrt. Sie kannten sich kaum und kannten sich gut. Sie hatten viel voneinander gelesen und kaum voneinander gehört. Am runden Tisch saß und tafelte dieses seltsame Sechseck als Tafelrunde. Ein Abendmahl und nicht das letzte. Ein Anfang.

Sie teilten Speis und Trank und fütterten sich. Mit Worten, Gedanken, Musik, Film und Leben. Und je mehr sie gaben, desto mehr bekamen sie. Sie winkten das Glück an ihren Tisch. Und auch wenn der eine oder die andere immer wieder hinaus musste in die unruhige Nacht, die das Gasthaus so nah an den finst'ren Wäldern und der großen Stadt umfing, so war doch klar, dass es dort einen Tisch mit sechs Sesseln gibt. Dass es überall so einen Tisch gibt.

Und es begab sich, dass ein halbes Sechseck sich bei Wein in Wien vergnügte, immer sich nach der anderen Hälfte sehnend. So ein Dreieck rollt ja nicht so rund. Ein Dreiecksdrittel war vorher beim Fest des Fürsts der Armen gewesen. Der hatte einst für die Geknechteten und Entrechteten gekämpft, bis er den Pakt mit den Piraten einging. Bei der großen Tombola dort gewann das Dreiecksdrittel sechs Sessel, während es bereits als Sechseckhälfte in Wien Wein trank.

Jetzt gibt es im Herzen der Stadt, gegenüber der Kirche, einen viereckigen Tisch, der auf eine sechseckige Tafelrunde wartet. Und sechs Sessel, die einem Schicksal als Besprechungs-, Arbeitskreis- oder gar Kontrollkomissionssessel entgangen sind.

Und die Moral von der Geschicht: Man muss das Glück nur an den Tisch winken.

Jetzt mit Bild aus der Mischmaschine

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1497 mal erzählt

29
Jun
2007

Sternstunden und der Franz

Ein Stern hat mir die Geschichte vom Franz erzählt. Ein trauriger, trunkener Stern, der am Verlöschen war. Außen schon erkaltetes Metall und innen voller Glut.

Ich höre seine Stimme, sein trockenes Lachen, den keuchenden Husten des starken Rauchers. Von einem jungen Hirten aus Vorarlberg, erzählt er, der zur Waffen-SS geht. 1945 flieht er heim, zurück nach Feldkirch, versteckt sich vor den französischen Besatzern, der Hirtenbub, grade 20, in den Wäldern, und wird doch gefasst. Zweimal hat versucht er aus dem Gefangenenlager zu fliehen, dann kommt er ins Gefängnis. Krank sei er geworden, schlechte Kartoffeln, die erste Vision: Engel und Teufel. Und der Stern blickt nach oben, die Hobby in der Hand, den Gspritztn am Tisch und ich sehe es auch. Dann kommt er ins Irrenhaus, der Franz. Elektroschocks und noch mehr Engel und Teufel. Er verlässt seinen Körper und die wunderschönen Erzengel helfen ihm dabei. Der Stern lacht. Franzens schöne Erzengel. Hirte und SS-Mann. Irgendwann ist er dann zurück, der Franz. Im Bahnwärterhäuschen haust er, ein Sonderling, und schnitzt. Das hat er dort gelernt. Aber er schnitzt nicht, er befreit nur, was da ist. Eines Nachts - und der Stern malt eine Winternacht in die Kantine – eines Nachts geht er durch den Wald. Zu einer Kirche. Und er hört seinen Namen. Franz, Franz, ruft die Kirche. Und in der Kirche, die wundersam erleuchtet ist, des Nachts, sieht er ein Fresco, das er noch nie gesehen hat, so schön. Und der Franz spricht mit dem Pfarrer über das Bild, will es befreien, um Gott zu preisen und die Engel. Aber der Pfarrer sieht nur einen Wasserfleck. Der Franz redet und schildert. Und der Pfarrer sagt Ja. Und als der Franz dann kommt, hat der Pfarrer den Wasserfleck übermalen lassen. Der Stern trinkt noch an Gspritztn.

Der Franz, den ich kennen lernen durfte, Franz Huemer, hat mir diese Geschichte nicht erzählt. Er hat mir die vielen Bilder im Turiner Leichentuch gezeigt. Aus dem Stern - der Zeitung - hatte er es ausgeschnitten und die Bilder hervor geholt. Manchmal rufen ihn Wurzeln am Weg und dann muss er die Figuren herausholen. Feengesichter und Zauberer, Engel und Teufel in Haus und Garten. Und meine Freunde: der Stern und der Teufel. Das Mädchen mit den großen Augen. Mein Mann. Der Franz. Und Himmel und Hölle in ihren Manifestationen und Spiegelungen. Ganz leise und trocken höre ich in weiter Ferne einen Stern lachen. Und dankend grüße ich zurück. Wenn ich ihm grad noch an Gspritztn holen könnte.


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Vom Franz zur Hochzeit
1634 mal erzählt

27
Jun
2007

Aus der Zeit

Noch immer stehe ich unter dem Eindruck des Films "Aus der Zeit". Alte Menschen waren darin zu sehen, Menschen in ihren Siebzigern, Achtzigern. Es fällt mir schwer "alte Menschen" zu schreiben. Es liest sich so verboten, diskriminierend. Sind meine Eltern alte Menschen? Ältere ArbeitnehmerInnen schreibe ich in Aussendungen. Ältere ArbeitnehmerInnen sind in meinem Alter, weiß ich, weil ich Multiplikatorin bin. 40 plus, 45 plus allerhöchstens ist die ältere ArbeitnehmerIn. Und schwer vermittelbar – beruflich und privat. Die Damen im Film waren keine ArbeitnehmerInnen. Chefinnen waren sie, verheiratet mit dem Geschäft. In guten wie in schlechten Zeiten. Bis dass der Tod uns scheidet.

"Zuerst bringen die Nazis dein Vater um, dann heiratest den Knopfkönig", sagt die traurige Königin. Jetzt ist er ein lebendiges Gemüse. Alzheimer. Wie Rilkes Panther läuft sie hinter der Budel hin und her. Ihre Stäbe sind Knöpfe. Das verpasste Leben dauert sie und wohl auch, dass die Mutter recht hatte mit der Warnung vor dem schönen Mann. Sie muss einmal ein süßes Knopfprinzesschen gewesen sein, in das sich der König damals verliebte. Jetzt trägt sie Brokat. Noch immer blond. Sie hat den Laden geschmissen. Sie spreizt die gepflegten Finger. Aufrechte Haltung. Der König hat vier Sprachen parliert und sprechen hat sie müssen. Ein Lehnstuhl, ein altes Radio. Eine Geschäftsfrau, die Privatier sein will. Nicht Panther im Käfig. Und immer wieder der Blick durchs Fenster. Dort wo das Leben vorbei huscht an der Königin. Wie es halt den Königinnen oft so ergeht.

Die kleine Frontsoldatin macht's für ihren Mann. Nicht in Pension, immer im Dienst, die Uniformmütze auf, über die Nähmaschine gebeugt. Schöne Falten, gute Augen, ein verspielter Mund zum weißen Haar. Das Gröbste an der zerrissenen Lederjacke hat sie noch gestern gemacht, sonst hätte sie nicht schlafen können. Es geht um die Jacke nicht um sie, um perfekte Reparaturen und um sein Geschäft. Schon als kleiner Bub. Ledergeruch. Ob er sie je über die abgetragene Schwelle getragen hat, hinein ins einzige Zuhause in Wien? Immer im Dienst, nicht in Pension, weil August das nicht aushalten würde. August, der Krebs, den seine Ahnen zum Weitermachen zwingen. Im Dienst der Vorfahren.

"Herzerl, schau obe auf mi, hast mi allan lass'n", weint der Pepi. Herzerl, die Mama, seine Frau war 54 Jahre mit ihm verheiratet. Gemeinsam haben sie das Linoleum verlegt und vielleicht auch die Casanova-Kassette aus. Charmant ist er der Herr Pepi und hat immer Stollwerk, des mögens die Kunden, und Spanish Leder Seife. Jetzt ist er bei der Mama, hat Harald Friedl erzählt.


"Aufs Altwerden brauchst di nit freuen"
, sagt meine Mutter und meint dann meist Schmerzen. Wohl aber auch den unendlichen Schmerz der Königin, an der das Leben vor dem Fenster vorbei gehuscht ist. Die versäumten Gelegenheiten, das verpasste Leben, das immer nur beim Fenster hereingeschaut hat. Nur selten zugeschlagen, oft betrogen. Trinkgeld fürs Enkerl, für die Kinder, für die Familie. Keine Dankbarkeit und so viel Enttäuschung. Dabei sind sie doch Königinnen. Und keiner will es sehen. Als Aschenputtel hat Mann sie verkleidet und dann war es plötzlich zu spät. Sie hatten den Ball verpasst. Die Wäsche, die Küche, die Arbeit. Japanischer Kleinwagen statt Kürbiskutsche. Crocs statt Silberschuh. Und sie lebten glücklich bis an ihr Ende. Eben nicht. Zwar bis an ihr Ende aber alles andere als glücklich. Irgendwer hat ihr Leben gestohlen.

Und was ist mit den Sommertagen? Dem guten Glas Wein? Dem Lächeln eines geliebten Menschen? Was ist mit den besiegten Drachen und den dummen Prinzen? Dem Linoleum. Rock'n Roll in der Fleischerei und auf der Terasse. Spintisieren in der Werkstätte. Den vielen großen und kleinen Abenteuern? Vielleicht vergisst man all die Feste der Liebe tatsächlich, vielleicht schaut man auch bloß nicht mehr hin. Un-Achtsam. Und dann entgleitet das Leben. Entschwindet nach draußen vors Fenster. Rapunzel muss bloß sein Haar herunter lassen.

"Aus der Zeit" wird noch bis 5. Juli um jeweils 18 Uhr im Filmhaus am Spittelberg gespielt.
1074 mal erzählt

18
Jun
2007

Siamkater (5)

Sie waren ins Schlafzimmer geflohen und hatten den Kater ausgesperrt. Nachdem sie ihm so geschickt und elegant wie möglich ein Kondom übergezogen hatte – Julie war von Sinnen aber nicht wahnsinnig – überließ sie Özgür die Führung. Sie genoss sein Fordern. Sie ordnete sich ganz den harten Küssen und dem Drängen seiner Hüften unter. Er war geschickt und drang schnell in sie ein. Anfangs tat es fast ein wenig weh, aber schon wich der Schmerz der Lust. Sein Körper war fest, seine Muskeln aufregend und endlich verdrängte sein Geruch den Gestank des Rasierwassers. Kurz überlegte sie, ob es daran lag, dass sie schon längere Zeit keinen Sex gehabt hatte oder ob es mit Özgür zusammen hing, dass ihr der Liebesakt so neu erschien. Sie war die langen Vorspiele ihrer aufgeklärten Freunde gewohnt und das war purer Sex. Es war Akt, Rhythmus, Kampf und unendliche Lust. Dann überlegte sie nicht mehr. Dann gab sie sich nur mehr hin, teilte Akt, Rhythmus, Kampf und unendliche Lust.
Sie erwachte spät und allein. Nur langsam kehrte die Erinnerung an die Nacht wieder. Die Schlafzimmertür war offen und auch ein Fenster im Wohnzimmer. Der neue Ventilator lief. Sie streckte sich und spürte plötzlich das leichte Ziehen in ihren Beinen. Es war so lange Jahre her, dass sie einen Muskelkater vom Sex gehabt hatte. Sie musste grinsen und schnupperte an den Laken. Alles roch nach Sex und sie war zufrieden – befriedigt. Als sie endlich aufstand, stellte sie fest, dass Özgür die Wohnung durch das Fenster verlassen haben musste. Der Schlüssel steckte innen. Und noch etwas fiel ihr auf, während sie sich einen Kaffee aufstellte: Bhumipol war verschwunden. Sie durchsuchte die ganze Wohnung, aber alles war sie fand war ein übel riechende Würstchen in ihren Lieblingsschuhen. Sie rief ihn sogar, obwohl sie das als vollkommene zwecklos erachtete, denn auf seinen Namen hatte er nie gehört.
Özgür tauchte nicht mehr auf der Baustelle auf – sie wollte dort auch niemanden nach ihm fragen. Auch der Kater blieb verschwunden, obwohl sie einige Plakate aufgehängt hatte – mehr weil man das so machte, als aus Sehnsucht. Es war Zeit für sie endlich wieder einmal auf Urlaub zu fahren. Sie wusste nur noch nicht, ob nach Antalya oder nach Thailand.
749 mal erzählt

17
Jun
2007

Siamkater (4)

Natürlich war Julie klar, dass sie kein Rendezvous hatte, sondern auf die Lieferung eines Ventilators wartete. Trotzdem war sie kurz nach 18 Uhr auf alles vorbereitet. Sie hatte sich an den wichtigen Stellen noch einmal rasiert und schöne Wäsche an. Darüber trug Sarong und Hemd. Den guten Sarong zwar, aber Özgür kannte ja ihre Alltagskleidung und alles andere hätte seltsam gewirkt. Für alle Fälle hatte sie ein Kondom in der Nachtischlade und ein Zitronenhuhn im Backrohr – vielleicht wollte er ja doch zum Essen bleiben. Sie hatte schon länger keinen Mann gehabt. Sie war nervös. Der Kater spürte das, strich durch die Wohnung. Kurz vor halb sieben rechnete sie nicht mehr damit, dass er kam. Sie übergoss gerade das Huhn als es läutete. Er stand vor der Tür, neben sich einen Standventilator. Das schwarze T-Shirt passte ihm gut und Julie überlegte, ob er sich für sie angezogen hatte, oder ob an diesem Freitagabend noch mit Freunden in irgendeine Disko wollte. "Hallo", sagte sie und da war wieder dieses selbstbewusste Grinsen. "Der Ventilator", erklärte er. Er wirkte anders als am Baugerüst vor ihrem Fenster: kleiner und frisch gewaschen. Sie roch ein Rasierwasser, als er die Wohnung betrat und wollte ihn trotzdem noch.
Er saß am Küchentisch und nagte am Hühnerbein. Irgendwie hungrig, gierig und doch ganz konzentriert. Er war zum Essen geblieben, er würde weiter bleiben. Als sie den Teller abräumen wollte, griff er nach ihrem Handgelenk. "Du, komm her", seine Stimme klang heiser. Er zog sie auf seinen Schoß. Der Kuss schmeckte nach Zitronenhuhn, nach hungrig, gierig und doch ganz konzentriert. Er drückte ihren Busen fest, fast schmerzhaft. Sie glitt auf den Küchenboden zwischen seine Beine. Er beobachtete sie. Sie streifte das T-Shirt hoch, auf der Suche nach dem Hosenknopf. Sie freute sich über die feine dunkle Linie aus Haaren, die von seinem Nabel aus den Weg weiter nach unten wies. Er beobachtete sie, sie betrachtete ihn und schloss die Augen, als sie ihn endlich in den Mund nahm. Özgür stöhnte leise. Glatte zarte, harte Haut, mit der ihre Lippen und ihre Zunge das Spiel aufnahmen. Plötzlich durchfuhr sie Schmerz. Bhumipol hatte seine Krallen in ihre Zehen versenkt. (Fortsetzung folgt)
748 mal erzählt

12
Jun
2007

Siamkater (3)

Eine Schweißperle machte sich von der kleinen Grube ihrer Kehle auf den Weg zwischen ihre Brüste. Julie war heiß. Nicht nur weil sie seit Tagen kein Fenster mehr öffnen konnte, ohne im Staub zu ersticken. Und das während sie stundenlang am Computer saß und die erotischen Geständnisse einer Studentin der französischen Elite-Uni ENA im Catherine-Millet-Stil übersetzte. Und dann natürlich Özgür. So hieß der junge Mann, der immer wieder durch das Fenster grüßte. Mittlerweile hatte sie einen Morgenmantel im Schlafzimmer und sich daran gewöhnt, ihren Kaffee mit ihm zu teilen. Nachmittags servierte sie ihm manchmal Zitronenlimonade. Gerade 17 war er und seine Muskeln kamen vom Taekwondo-Training. Das hatte er ihr im offenen Fenster in seiner türkisch-österreichischen Sprachmischung stolz erzählt. "Ein Bub", dachte sie und betrachtete hungrig seinen Männerkörper. Wenn er wie jetzt freundlich beim Fenster herein sah, fühlte sie sich immer ein wenig ertappt. Sie lächelte zurück und konzentrierte sich wieder auf den Text voller Schenkel und Schwänze. Bhumipol hatte sich für die Zeit der Renovierungsarbeiten in den Vorraum zurückgezogen. Darüber war sie erleichtert, denn seine Gewohnheit, sie fast regungslos bei der Arbeit zu beobachten, hatte ihren Hass auf ihn nur genährt. Er schien sich mit den Arbeiten abgefunden zu haben, denn seit drei Tagen benutzte er wieder ausschließlich sein Katzenklo.
Flucht in ein Schwimmbad war nicht drinnen. Das Manuskript musste fertig werden. Irgendwo war doch noch ein Ventilator, erinnerte sie sich. Draußen im Vorraum suchte sie ihn und fand ihn ganz oben in einem der Kästen. Sie presste drei Zitronen aus, füllte das Glas mit Wasser auf, gab Eiswürfel dazu und suchte Özgür, der gerade vor ihrem Schlafzimmerfenster beschäftigt war. Breit grinsend sagte er zu, als sie ihn um Hilfe bat.
Als sie ihm die Leiter hielt, fiel ihr sein fester Hintern auf. Sie roch seinen Schweiß und sah die kleinen Perlen auf seinen Achselhaaren. Er sprach mit ihr, aber sie nahm seine Worte nicht wirklich war. Sie lächelte zu ihm hinauf. Bhumipol strich durch den Vorraum und beobachtete die Szene. Julie griff nach dem Ventilator. Der Geruch seines Schweißes war scharf aber nicht unangenehm. Sie wollte mehr davon, mit ihrer Nase in seine Achseln eintauchen. Eine leichte Drehung hätte gereicht und sie hätten sich umarmt. Sie fragte sich, ob er all das genauso wahr nahm wie sie. Kurz blickte sie auf seine Hose, dann war sie wieder verstrickt in ihrer eigenen Begierde. Der Kater würgte hinter ihr plötzlich sein Luxusmahl hervor. Özgür rümpfte die Nase, dieses Grinsen. "Komisches Viech", sagt er und machte sich daran den Ventilator im Wohnzimmer aufzustellen und einzuschalten. Vergeblich. Jetzt wusste Julie wieder, wieso er dort oben im Kasten verstaut war. Er war kaputt und Christian, der Sparsame, wollte ihn damals nicht weg werfen. "Mein Schwager verkauft", erklärte der Bursche: "20 Euro, für dich, weil du Freundin. Ich bringe." Sie nahm das Angebot an. Sie hatte keine Ahnung, ob das günstig oder teuer war. Sie wusste nicht einmal, ob sie einen neuen Ventilator wollte. Sie wollte Özgür und dass der Moment möglichst lange andauert. Sie wollte Abkühlung. "Sechs", sagte er und nachdem sie sich kurz in die Augen sahen zur Erklärung: "Ich komme." Dann ging er wieder an die Arbeit. Julie wischte die Katzenkotze auf und nahm eine kalte Dusche. (Fortsetzung folgt)
798 mal erzählt

11
Jun
2007

Siamkater (2)

08:20 zeigte der digitale Wecker an. Julie bedauerte, dass sie sich gestern von Karin noch zu einem Besuch des gemeinsamen Stammlokals überreden hatte lassen. Es war spät geworden und sie hatte - wieder einmal - zu viel getrunken. Und daran war nicht einmal die Freundin schuld, sondern ganz allein sie selbst. Jetzt spürte sie jedenfalls ihre Blase. Sie wälzte sich aus dem Bett und machte sich auf in Richtung Klo - die Augen noch immer fast geschlossen Vielleicht würde sie ja weiter schlafen können und das Kopfweh würde aufhören und der Tag schneller vorbei gehen. Erst am Klo wurde ihr bewusst, dass da jemand gewesen war. Vor einem der Fenster im Wohnzimmer. Das Gerüst natürlich. Und sie nackt, wie auch anders. Als sie im Vorraum nach etwas zum Überwerfen suchte, um wieder zurück ins Bett zu fliehen, stolperte sie in eines von Bhumipols feuchten Vermächtnissen. Der beißende Geruch von Katzenurin machte alles nur noch schlimmer. Und am schlimmsten war, dass sie nun wach war.
Unter der Dusche war sie dankbar dafür, dass Badezimmer und Küche im hinteren Teil der Wohnung lagen - verschont von Baugerüsten und Fassadenrenovierung. Das heiße Wasser wusch Kater, Ärger und Peinlichkeit von ihr ab. Sie fischte sich ihre Arbeitskleidung - Sarong und T-Shirt - aus dem Schrank, wischte den Boden auf und stellte in der Küche einen Espresso auf. Sie wartete bis der Kaffee in der italienischen Kanne hoch gestiegen war. Sie mochte dieses Schauspiel für alle Sinne: Das röchelnde Geräusch, das den baldigen Genuss versprach, den Duft, der sich langsam ausbreitete und schließlich den dunkelbraunen, heißen Saft, den sie in ihre Tasse goss. Während sie auf all das wartete, bereitete sie dem Siamkater sein Frühstück vor - das edle, teure Katzenfutter natürlich, das schöne Frauen in romantischen Werbespots ihren felinen Freunden kredenzten. Vielleicht war es das Bedürfnis wenigstens ein wenig an diesem Katzen-und-Frauen-Mythos teil zu haben, vielleicht aber auch das schlechte Gewissen, das sie auf Grund ihres - ja - Hasses auf das unschuldige Tier plagte, das sie veranlasste zu eben jenem sauteurem Katzenfutter zu greifen. Bhumipol kam sofort angelaufen - nur in diesen raren Momenten schnurrte er wie andere Katzen auch. Ein Schnurren, das nicht ihr galt, sondern nur dem exquisitem Futter: Lachs, Kaninchen, Kalb und Ente. Sie sorgte für regelmäßige Abwechslung - schließlich war sie Genießerin und diesbezüglich sollte es der Kater nicht schlechter haben als sie selbst.
Die dampfende Kaffeetasse in beiden Händen ging sie ins Wohnzimmer. Erst jetzt erinnerte sie sich wieder an den morgendlichen Schock. Ein muskulöser junger Mann im ärmellosen, weißen Leibchen grinste ihr frech entgegen. Die üppigen braun gebrannten Oberarme waren mit Tribal-Tattoos geschmückt, die braunen Haare hatten knallrote Spitzen, die Augen waren fast schwarz und volle Lippen gaben eine Reihe blenden weißer Zähne frei. Ein Träger der blauen Montur hing über seine linke Schulter. "Coca Cola Light"-Mann - genau so würde sie ihn Karin schildern. Sie spürte, wie sie errötete in Erinnerung an den Anblick, den sie ihm vor nicht ganz einer Stunde geboten haben musste. Kurz trafen sich die Blicke und die Zeit blieb stehen - wie immer, wenn sich zwei Menschen voll Begierde in die Augen schauen. Espressobraun schoss es ihr durch den Kopf und um die unangebrachte Magie zu brechen, drehte sie sich um und warf den Computer an. Sie spürte noch immer seinen Blick. Flucht war unmöglich - zumindest in den nächsten Wochen - und so wandte sie sich wieder ihm zu und hob fragend die Tasse. Sein Grinsen wurde noch eine Spur breiter - er nahm ihre Einladung zum Kaffee wohl an. Also kehrte sie um, goss eine zweite Tasse ein, stellte sie mit Milch, Zucker und einem Glas Wasser auf ein Tablett - sie hatte während ihres Studiums kellneriert - und servierte. Im Hintergrund fauchte der Kater. (Fortsetzung folgt)
790 mal erzählt

7
Jun
2007

Siamkater (1)

"Scheiße!", fluchte Julie – genau die hatte Bhumipol im Vorraum hinterlassen. Und während sie in die Küche abbog, um einen Fetzen zum Aufwischen des stinkenden Protestsignals zu holen, folgten ihr seine blauen Augen. Als sie wiederkam, hatte er es sich auf dem Korbstuhl in der Ecke gemütlich gemacht und beobachtete sie beim Saubermachen. Julie spürte den Zorn in sich aufsteigen. Sie konnte gar nicht mehr sagen, wie oft sie auf allen Vieren den Dreck des Katers weg geputzt hatte. Angefangen hatten die übel riechenden Unmutsignale direkt nach Christians Auszug. Immerhin war er es, der vor drei Jahren mit der Hand voll Siamkatze vor der Türe gestanden ist. Dabei wollte sie gar keine Haustiere. Sie wollte auch keine Kinder. Niemanden zum Versorgen und Erziehen. Christian auch nicht. Bis er dann zu Sonja gezogen ist. Heute haben sie zwei Kinder und weil Sonja eine Katzenallergie hat, blieb Julie schließlich Bhumipol. Anfangs war ihr das recht – eine letzte Erinnerung an diese große Liebe. Der Siamkater reagierte auf die Trennung auf seine Art. Drei Wochen lang verging kein Tage, ohne dass sie die Spuren seines Protests entsorgte. Vielleicht lag es daran, vielleicht an den kühlblauen Augen, an der edlen Rasse oder schlicht am Charakter des Tieres – Julie mochte ihn nicht. Und sie war sich ziemlich sicher, dass auch er sie nicht leiden konnte. Und trotzdem behielt sie ihn. Warum wusste sie selbst nicht mehr. Und so strafte er sie, wann immer sie eine Nacht weg blieb und er protestierte, wann immer jemand bei ihr übernachtete. Die wenigen Männer, die seit Christians Auszug in Julies leben getreten waren, hatten kaum Verständnis für die Allüren des Katers. Aber wer hat schon Verständnis für Katzendreck im Schuh und Erbrochenes auf grauem Kaschmir?Julie und Bhumipol teilten ihr Schicksal, wie eines jener alten Ehepaare, die nie auch nur ein wenig gemeinsames Glück erfahren hatten, an dem sie sich festhalten konnten.
Die Ursache für Bhumipols Ärger war - wie sie mutmaßte - das Baugerüst, das die vorderen Räume ihrer Wohnung fast völlig verdunkelte. Die Fassade des Wohnhauses wurde restauriert und dabei sollten auch gleich die Fenster ausgetauscht werden. Und auch Julie war nicht gerade entzückt von den wochenlangen Bauarbeiten, die Schmutz und Lärmbelästigung mit sich brachten. Schließlich arbeitete sie als Übersetzerin von Zuhause aus und all das würde ihre Arbeit ziemlich beeinträchtigen. Sie fuhr den Computer hoch und spazierte unterdessen die Fensterfront ab. Weil sie im vierten Stock wohnte, hatte sie nie Vorhänge gebraucht. Einzig im Schlafzimmer hatte Christian - der Langschläfer - damals ein Rollo montiert, um nicht vor der Zeit von der Sonne geweckt zu werden. In allen anderen Räumen war nie Sichtschutz notwendig gewesen. Der Computer begrüßte sie mit vertrautem Geräusch. (Fortsetzung folgt.)
1246 mal erzählt
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Mock Turtle

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