Lebens-Wert

7
Jul
2008

Glück ist,

wenn einem ein Schmetterling zufliegt

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und Kinder sich darüber freuen

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und abends unterm Riesenrad

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tanzen

tanzen

tanzen

bis lange nach Mitternacht....
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30
Jun
2008

Urlaubszeit: Zeitreisen

"Wir haben dich gleich erkannt", rufen sie mir entgegen und ich weiß gar nicht, ob ich mich darüber freuen, ärgern oder wundern soll. Sie sind das kleine Grüppchen von Menschen, das vor meiner ehemaligen Schule wartet, um ein Maturajubiläum zu zelebrieren. "Ich bin's, die Mock Turtle". schmettere ich ihnen entgegen, als ich in Göttliches gekleidet mit Sonnenbrille getarnt und mit Fotoapparat bewaffnet auf sie zugehe.

Ich hab mich nicht gleich erkannt. Auch später kaum. "Glaube, Liebe, Hoffnung" im Schulhof", sagt der Deutschprofessor. "Sind alle was worden", antworte ich. Und dann schau ich mich um – in den Augen der Professoren und MitschülerInnen, in den Gängen der Schule und finde nur wenige Spuren von mir. Vielleicht liegt es daran, dass ich hier wohl gelebt aber kaum geliebt habe. Fremd bin ich mir, sind sie mir. Ich greife zur Kamera und setze sie zwischen mich und diese Welt. Das ganz lange Objektiv, das mich zwingt Distanz zu wahren und doch immer in die Tiefe geht.

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Klick Klick Klick – so hole ich sie her zu mir und fange sie ein. Auf den Bildern finde ich die Gesichter der Heranwachsenden wieder. Mich sehe ich nicht – ich bin das Auge und muss so kaum Ohr sein, mein Mund muss nur sparsam Auskunft geben, selten Vermutetes bestätigen. Ich erzähle nichts vom Erstgeborenen, nichts vom großzügigen Freund, den Lebensmenschen, wenig von Arbeit, nichts vom Leben. Ja, ich bin noch immer glücklich verheiratet. Nein, ich hab keine Kinder. Ja, das wollte ich immer so.

Klick Klick Klick. Viele fehlen und die mir am nächsten sind, sind unscharf. Die Schulfreundin mit der ich einst den ersten Joint geraucht hatte am Grab von Jim Morrison in Paris. Heute hat sie vier Kinder und eine Karriere. Eine tolle Frau ist sie geworden - groß und gerade war sie schon immer - und doch möcht ich ihr Leben nicht leben.

Die andere Freundin aus der Ärztefamilie ist in jene Wohnung zurückgezogen, in der wir einst unsere Maturareise geplant hatten. Im Turmzimmer, unter uns das Musikzimmer, daneben das Wohnzimmer mit Regalen voller edlem Glas. Vaters Sammlung. "Als meine Familie zerfallen ist", sagt sie und für einen Augenblick ist mir, als wären die Regale mit all den kostbaren Fläschchen und Gläsern zu einem bunten Scherbehaufen zerbrochen. Ich erinnere mich an Neidgefühle, weil sie gemeinsam Hausmusik machten, gemeinsam ins Theater und ins Programmkino gingen, während bei uns Zuhause mein Kinderglück schon zersplittert war.

Und dann hatte ihr Vater eine Freundin, die Schwester bekam Magersucht, die Mutter besuchte ein Trommelseminar und sie kam mit Hundehalsband zum Maturaball. Jetzt hat sie zwei Kinder mit dem Schauspielerfreund und die alte Wohnung ihrer Eltern. "Ich sehe deine Eltern manchmal. Sie sehen so nett miteinander aus trotz allem", erklärt sie mir lächelnd. "Wie zwei Rottweiler, die sich ineinander verbissen haben und jetzt nicht mehr loskommen voneinander" würde ich ihr gerne sagen, aber der Deutschprofessor sitzt daneben und so sag ich nichts. Sie versteht trotzdem: "Es sieht zumindest so aus." Dann gehe ich. Die Eltern warten voll Sehnsucht.

Am nächsten Morgen verbeißen sich die Kampfhunde ineinander. Das alte Ritual, die alten Vorwürfe, ich kann den Text mitsprechen, wie bei einem Film, den man schon fast zu oft gesehen hat, tue es in Gedanken auch, das macht es leichter. Dann spaziere ich mit dem Vater durch den Heimatort. Noch mehr Zeitreise. Dort wo früher mein Fahrrad ein feuriger Rappe war und ich selbst Piratenkönigin, wo ich Maiskolben stahl und Waldtschick qualmte, wo ich später heimlich rauchte und unheimlich weinte, ist jetzt ein kleiner Park mit Ententeich und Gewürzgarten. Die Pestkapelle, die einst fast verborgen wohlig-gruselige Schauer bei mir auslöste liegt adrett herausgeputzt an einem kleinen Wegchen. Das Kartoffelfeld, auf dem ich mich einst mit dem General der Buben geprügelt hat – obwohl oder weil ich ihn insgeheim liebte – ist einer Wohnsiedlung gewichen. Vielleicht lebt er ja jetzt dort.
Es ist das erste mal, dass ich mit meinem Vater durch den Heimatdorf gehe. Das erste Mal seit meiner Erstkommunion war ich mit ihm in der alten Kirche, in der ich damals den Wunsch gefasst hatte, Märtyrerin zu werden. Dann ein Aperol-Spritz im neuen Forum. Ist der Mann dort drüben mit den beiden Kindern vielleicht der kleine Franzl von einst? Oder lächelt er nur weil ich lächle?

Volksschule1

"Du riechst nach deinem Elternhaus", sagte der Liebste, als ich endlich wieder im vierten Stock ankomme. Der Zug voll Fans hatte Verspätung gehabt. Deutsche Autos in unserer Gasse. Ein letztes Mal jubelt die Fanzone in Hörweite.

Spanien ist Europameister. Ole!
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21
Jun
2008

Schwanengesänge und Siegeshymnen

Ich habe mich getäuscht – Ende Januar habe ich nicht zum letzten Mal das Alban Berg Quartett gesehen sondern gestern. Geladen – wie könnte es anders sein - vom gebenden Freund, an meiner Seite die rohseidene Freundin, an seiner eine weitere wunderbare Frau aus dem Harem der Verwöhnten. Erst vor kurzem habe ich sie kennen gelernt und mit ihr die Frauenwelt bestehend aus Töchtern und Freundin, die den Freund derzeit auffängt, wenn er stolpert. Fallen lassen kann er sich nicht, aber alte Ängste erweckt von neuen Gespenstern trüben seinen Blick. Ereignisse wiederholen sich, ähnlich aber nicht gleich. Wie stets gibt er – nur lacht er weniger dabei, seine Augen blitzen seltener stolz und schelmisch und scheinen öfter von Tränen zu glänzen.

Irgendwie passend dazu das Wiener Abschiedskonzert des Alban Berg Quartetts. Während sich draußen die Fans von Kroatien und der Türkei in ihren mannigfaltigen Verkleidungen aufs Spiel einstimmten, stimmten sich drinnen andere Fans in anderen Verkleidungen auf ein anderes Spiel ein. Bei ersteren war es unklar, wer gehen würde, bei letzteren waren alle bereit, Abschied zu nehmen.

Gespielt wurde Schubert: Das Klavierquintett A-Dur D 667 "Forellenquintett" machte den Anfang. Begleitet von Alois Posch am Kontrabass und Elisabeth Leonskaja am Klavier. Ach, wie klang es nach Sommer. Wenn ich die Augen schloss, sah ich blühende Wiesen und tatsächlich ein Bächlein. Bilder einer fröhlichen Landpartie im Freundeskreis tauchen vor meinem inneren Auge auf. Wohl gemalt von Kuppelwieser, der aus demselben Ort wie der Liebste kommt, dort wo auch wir unsere Landpartien feiern und dem Schubert-Film "Mit meinen heißen Tränen", der mein Bild des Komponisten entscheidend geprägt hat – muss ich Musik doch sehen, mit Bildern und Geschichten begreifen, um mich ihr zu nähern. Da waren auch Bilder vom letzten Sommer, die die Streicher und das munter plätschernde Klavier hinter meine geschlossenen Augenlider zauberten: Fuschl, Plainlinde, die wunderbaren Freundinnen, der Geiger, der gebende Freund und sein schelmisches Lachen, ganz Bub, wiewohl der Älteste von uns, und schließlich der Liebste und ich. All das hörte ich gestern Abend und mehr, denn wenn ich die Augen öffnete, ließ die Rohseidene mit einem Blick Sonnen aufgehen.

Ganz anders nach der Pause: Da spielte das ABQ, begleitet von Heinrich Schiff am Violincello das Streichquintett C-Dur D 956. Ein banges Herz klopfte, verhaltener Atem, viel Angst hörte ich und Ringen, Unsicherheit und Schmerz. Melodien wie Erinnerungen, nie ganz ohne Bitterkeit, der Blick nach hinten gerichtet auf das Gewitter, das den schönen Sommertag zerstörte statt auf die Sonne, die Enttäuschung durch den Freund statt auf die Liebe. So klang es mir und auch der Seidenen schnürte es die Kehle zu. Und doch war die Musik voll unendlicher Schönheit, wie in jedem Abschied, in jedem Schmerz ja Schönheit liegt, manchmal nimmt man sie – wie auch die Liebe – in solchen Momenten eher wahr als im Glück, vertraut ihr mehr. Im Ernsthaften nimmt man ernst. Plötzlich fiel mir Oscar Wildes Märchen von der Nachtigall und der Rose ein. "Du sollst deine rote Rose haben. Ich will sie beim Mondlicht bilden aus Liedern und färben mit meinem eigenen Herzblut." Und ich sah die Rose im Straßengraben und den Studenten mit seinem Buch. Aber dann schenkte mir die Musik doch noch ein letztes Lächeln mit Tränen in den Augen. Ganz ähnlich wie die Stimmung beim Schlussapplaus. Standing Ovations berührt und voll Abschiedsschmerz, die nicht enden wollten. Als es dem verbleibenden Publikum gelang, die Musiker des ABQ – und die Geigerin – ein letztes Mal auf die Bühne zu klatschen, wurden verschwörerische lächelnde Blicke getauscht. Ein Stück Glück im Abschied.

Die Türkei hat gewonnen und das Singen und Hupen dauerte die ganze Nacht an. Auf dem Heimweg stimmte auch der gebende Freund in das Hupkonzert ein. Und ich sah endlich wieder sein Bubengesicht.

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16
Jun
2008

Nachrichten vom Rand der Fanzone

Das schöne am heutigen Tag ist, dass mit dem morgigen - egal wie das Spiel endet - das Zauberwort Cordoba wieder für einige Zeit aus dem Blätterwald verschwindet.

Und gestern?

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Gestern lachte der Halbmond über der Josefstadt am Rand der Fanzone.....
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8
Jun
2008

WEWG

Wir sind vor der Fanzone in die Wochenend-Wohngemeinschaft geflohen. So wurde der Freitag dennoch eine Art Freitag, wenn auch anderer Prägung. Fast hätten wir die Euro vergessen können, dort draußen am Lande, wo ich mich ausgeschlafen hab, um am Morgen dann Zähne putzend durch den gewaltigen Garten lustzuwandeln. Die andern schlafen noch. Sogar der Hund. Die Vögel zwitschern. Später dann körperliche Arbeit. Es gilt Schutt wegzuschaffen und so schaufeln wir zehn Säcke voll und bringen apokalyptische Unruhe in die Welt der Asseln, Spinnen und Ameisen – ach ja, die Weinbergschnecken haben wir gerettet. In Nachbars Garten haben sie es besser. Am Nachmittag dann Ausflug in einen verwunschenen Park, ein altes Swimmingpool, bunte Betonplatten und ein entführter Jasminstrauch. Ein Notenschlüssel über allem.

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Gemeinsam arbeiten, gemeinsam trinken und lachen, gemeinsam kochen. Seit Jahren wohnen wir bei in solchen Wochenend-Wohngemeinschaften, tauchen ein in eine Herde aus Wahlverwandten, Kindern, Hunden. Lange Jahre war das Loft Homebase des Glücks – fast schon fester Wohnsitz zum Feste feiern, Fenster putzen, Boden schrubben, ausmalen, kochen. Irgendwann in den Schlafsack gehüllt einschlafen auf einer zweifelhaften Matratze, irgendwo das letzte Bier, während irgendeine Band bis zum Morgengrauen jammt, dann aufwachen, als Erste, viel zu früh und daher leise über Bierleichen steigen und erst die Hunde raus lassen. Draußen in der Morgensonne die erste Zigarette rauchen, eine Flasche Mineral ist ja noch übrig geblieben, später Kaffee. Am Nachmittag dann fahren wir dann zum Baggersee, im Wasser tollen und sauber werden.

Heute rauch' ich nicht mehr und in der Wochenendwohngemeinschaft dieses Lebens bereitet man uns ein Lager, echte Bettwäsche, auch wenn wir die Schlafsäcke dabei haben. Abends kann es schon vorkommen, dass wir gemeinsam fernsehen. Ich putze wieder Fenster, hab ich schon immer gerne getan, auch damals im Loft. Daheim in der Stadt macht das der gute Geist gegen Bezahlung, hier verwende ich Seite um Seite der am Morgen gestohlenen Zeitungen um die schmutzigen Scheiben sauber zu reiben. Dazwischen schnappe ich Schlagzeilen auf, die mir beim üppigen Frühstück entgangen sind. Paul Weller hat eine neue Platte. Aus dem Haupthaus klingt Jazz. Das Herrenunterhemd, das ich trage, riecht nach Schweiß, nach Arbeit. Auf einer Decke im Garten thront die Elfenprinzessin – heute in der Rolle einer Zirkusdirektorin umgeben von Stofftieren.

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Manchmal pausiere ich, um Rotwein zu trinken – St. Laurent Reserve 2005, vom Josef Dachauer in der alten Mühle in Tattendorf. Gestern gekauft, als wir den Jasmin entführt haben, heute dekantiert in der Karaffe. Und dann noch ein wenig Pizza selbst gebacken und gemeinsam belegt, die Fenster glänzen in der Abendsonne. Saubere Arbeit.

Daheim ist Fanzone – halb so schlimm…
1016 mal erzählt

25
Mai
2008

Schmerzensschrei(b)e

Ich bin eine der letzten großen Tragödinnen, habe ich gerne von mir behauptet. Aus Sehnsucht hab ich mein Süppchen gekocht. Wie lange habe ich geglaubt, dass Kunst nur aus dem Kummer komme, dass Seelenschmerz das Schreiben nähre. Das war mir Trost und Freude, wenn ich in meinen Tränen gebadet habe.

Unter denen, die ich verehrte, deren Worte ich aufsog, deren Schallplatten mich begleiteten, deren Filme mich verzauberten, waren keine glücklichen Menschen. Ich verschlang ihre Biographien, um mir die Bruder- und Schwesternschaft des Leids immer wieder zu bestätigen. Und wenn ich einsam war, erst wenn ich richtig einsam war, war ich nicht mehr einsam, weil ich zu ihnen gehörte. Ich litt und glaubte Literatur zu erzeugen, in der Petrischale meiner Pein wuchsen Gedichte.

Nur nicht glücklich werden, nur nicht zufrieden, denn das hieße die Seiten wechseln, war ich überzeugt. Wie liebte ich das Leiden. In der Gier nach dieser Droge nahm ich Menschen und benutzte sie als Waffe gegen mich – ich ritzte mich mit ihnen, so wie ich mich in die Hand biss, angeblich um vom Herzensschmerz abzulenken, eigentlich, um noch mehr zu spüren, ein sichtbares Mal, dass mich immer daran erinnert und doch wieder verblasst. So wie die anderen Schmerzensquellen.

Es ist nicht einfach, man muss das Leid am köcheln halten, um es abzuschöpfen – und selbst dann ist es oft wie bei der Rindssuppe nur schmutziger Schaum oder es kocht über und riecht komisch.

Und fast unmerklich bin ich glücklich geworden. Immer schwieriger wurde es in den letzten Jahren, meine kleinen Dramen zu inszenieren. Zufriedenheit hat mich wohlig eingehüllt. Die großen Gefühle sind dem großen Gefühl gewichen. Kaum mehr Gewitter. Dafür nähren viel öfter Schäfchenwolken die Fantasie. Tränen vor dem Fernseher und manchmal vor Rührung. Hin und wieder ein Aufflackern einer Tragödie, wie wenn ich ein altes Buch lese, ein Märchen, ein Mythos, eine Sage, mit einem Kern von Wahrheit.

Es ist Essenz, die Suppe, manchmal würz ich ein wenig nach, gerne teile ich.
Glück, Liebe und Zufriedenheit.

Inspiriert von Frau Frogg

Gut-drauf
642 mal erzählt

16
Mai
2008

Eiskaffee mit der Kindheit

Sie war die beste Freundin meiner Kindheit – eine Mädchenfreundschaft wie diese hab ich wohl nie mehr erlebt. Sie wohnte neben uns in der Arbeitersiedlung. Es gibt Fotos, auf denen wir Händchen haltend lachend als Dreijährige durch unseren Garten tollen. Und andere später, auf denen wir ernst schauen.

Sie hatte lange blonde Haare, einen dicken Zopf, der sogar über ihren Popo hinunter hing. Die Haare waren sehr schwer, hat sie mir einmal erzählt, vor allem, wenn sie sie wusch und das war auch sehr mühsam. Sie durfte sie nicht schneiden lassen. Wegen ihres Vaters. Der war streng und manchmal kam auch der Teppichpragger zum Einsatz. Meine Mutter hat eher mit der Hand zugeschlagen. Und sich nachher entschuldigt.

All das fällt mir ein, als ich mich mit der Freundin treffe. Zwanzig Jahre haben wir uns nicht gesehen. Und haben uns lange vorher schon verloren. Wir haben verschiedene Volksschulen besucht und schließlich kam ich ins Gymnasium und sie in die Hauptschule. Dabei war sie gleich intelligent wie ich, die Fleißigere, die Ordentlichere und sie konnte wunderbar zeichnen. Aber ich war eben das Bürgerkind, das aufs Gymnasium musste. Ich habe sie unterwegs verloren, aus Unachtsamkeit, wie viele Menschen und Dinge auch.

Sie hat den Kontakt gesucht und so freu ich mich auf das Treffen in der Stadt, in der ich jetzt schon mein halbes Leben verbracht habe. Unterwegs zur Eisdiele kommt mir immer wieder das kleine blonde Mädchen in den Sinn. Es wäre dumm, danach Ausschau zu halten nach all der Zeit. Und doch suche ich - dort angekommen - einen Blondschopf. Und dann blick ich plötzlich in andere suchende Augen. Da ist sie. Die Augen erkenne ich sofort. Wir sind sehr aufgeregt, alle beide. Ihr Mann ist dabei.

Während sie spricht kommt langsam das kleine blonde Mädchen wieder hervor. Es ist der Klang der Worte, auch wenn es die Stimme einer Frau ist, die Augen, die so oft, wenn sie etwas gesagt hat, Kontakt suchen, wie um sich das Verstehen bestätigen zu lassen. Das war früher auch so. Die Hände, die sie therapeutisch nützt. Shiatsu hat sie gelernt – wie mein Mann. Das freut mich. Sie auch, seh ich, denn sie lächelt. Winzige Indizien der Vertrautheit. Manchmal erahnen wir zwischen den Worten die Kindergeheimnisse von einst.

Und plötzlich weiß ich wieder, dass sie die einzige Vertraute war in meinem Kleinmädchenschmerz, dass sie viel gewusst hat und immer da war. Habe ich mich zuerst nur an ihre Ängste und ihr Kinderleid erinnert, weiß ich jetzt, dass sie auch meines mitgetragen hat. Dass jede den Schmerz der anderen spürte. Es tut mir so leid, dass ich sie verloren hab.
Ich bin so froh, dass sie mich wieder gefunden hat.

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1046 mal erzählt

5
Mai
2008

Dahoam

Auffällig: je näher ich meiner Bergheimat komme, desto kleiner werde ich.

Da denk ich dann wieder den alte Gedanken: Dass die Menschen deshalb so gläubig dort sind oder zumindest scheinen, weil ihnen nur der Blick nach oben bleibt, dorthin, wo der Herrgott wohnen soll.

Und dann bricht er heraus zwischen Felsen, ein Bergbach voll Tränen. Nur am Treibgut kann ich erkennen, wo diesmal Unwetter nieder gegangen sind. Die Oberfläche glitzert in der Sonne wie tausend Kristalle. Das Wasser ist kühl und klar. Der Untergrund ist nur in kurzen Augenblicken zu erkennen. Und auch wenn sich der Lauf tief in die Felsen gegraben hat, auch wenn einst Raues fast schon gefährlich glatt erscheint, der Bach lässt sich nicht regulieren, lässt sich in kein Bett zwängen.

Vielleicht weiß ich, woher er kommt, wohin er fließt, kann ich nur ahnen.
Und so sitze ich am Ufer und versuch erst gar nicht, mich im klaren Wasser zu spiegeln.

Zurück in der Stadt geben mir die grauen Mauern Sicherheit, in den Schaufenstern und im regennassen Asphalt erkenne ich mein Gesicht. In der Straßenbahn sehe ich Gott in den Augen der Menschen.

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512 mal erzählt

24
Apr
2008

Sound of Versöhnung

34 Jahre lang sind sich Karl Ratzer und Harri Stojka konsequent aus dem Wege gegangen. Ihre Tonträger sind höchstens da oder dort in den Plattenregalen ihrer Fans aneinander gelehnt, aber ansonsten – glaubt man den Chronisten – herrschte Eiszeit zwischen den Roma-Cousins. Ihre Väter hatten das KZ überlebt, die Söhne verstanden es das ererbte Talent zu nutzen. Karl Ratzer holte den 13-jährigen Harri Stojka als Bassisten in die legendäre Band „Gipsy Love“ mit Kurt Hauenstein, Peter Wolf und Jano Stojka.1972 ging Ratzer dann nach Amerika, wo er mit Chet Baker, Bob Mintzer oder Chaka Khan Musik machte. 1974 stand er bei einer Österreichtour das letzte Mal mit dem jüngeren Cousin auf einer Bühne. Und dann gestern im übervollen Porgy&Bess.

 

Weinrot gewandet und irgendwie mächtig trat Ratzer als Erster auf – begleitet von seiner Band Scars (Tommy Hojsa: piano, keyboards, Edi Mayr: bass, Lenny Dickson: drums). Zigarette, Getränk, murmelnd und grantelnd, nur klar zu verstehen, wenn er spielte und sang. Und wie er spielte und sang. Erst nach zwei, drei Nummern kam Stojka auf die Bühne, schmäler und freundlicher, ins Publikum lächelnd, glücklich über die von ihm herbei gesehnte Versöhnung. "Die Wahl der Waffen" sei unfair, meinte in der Pause der Freund und Jazzgitarrist, der uns zu diesem Abend entführt hatte. Stojka sei kaum zu hören gewesen, erklärte er mir, die ich Musik vor allem sehe. Und ich sah Ratzer Zeichen geben, mit kleinen Gesten seine Band dirigieren und sah Stojka sich freundlich unterordnen, den Großen gewähren lassen. Auch wenn der ihn sogar einmal kurz mit seinen Vebeugungen, der Freundlichkeit dem Publikum gegenüber, die Ratzer so gar nicht zu liegen scheint, parodierte. Dazwischen Töne, unendlich schnelle Gitarrenläufe, Leidenschaft, Jazz. Im Zweiten Teil schienen sich die beiden Cousins einander doch wieder mehr angenähert zu haben und so ließ dann und wann der eine dem anderen rauchend den Vortritt. Am Schluss dann die Liebeserklärung. "Es gibt zwei große Gitarristen für mich", erklärte Harri Stojka, selbst einer der wichtigsten Jazzmusiker dieses Landes: "Django Reinhardt und Karl Ratzer." Und er verneigte sich. Der Große lächelte.

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1266 mal erzählt

4
Mrz
2008

Maskenspiel

Der gebende Freund hat uns zu einer Redoute in ein Restaurant mit Tradition geladen: Die rohseidene Freundin, den Liebsten und mich, verkleidet mit Smoking und Abendkleid und venezianischen Masken. Für Tanzmusik war auch gesorgt und am Keyboard der New Orleans Dixieland Band saß einer, der die singende Freundin, die prickelt wie Rose-Champagner, vor einem halben Jahr sexuell belästigt hatte, ein armes Würstchen im Kostüm des Musikers.

Ein wenig machte der Abend auf 70er und 80er des letzten Jahrhunderts und so war es nur logische Konsequenz, dass wir dann in der Eden landeten. Dort zu beobachten: Mensch gewordene Klingeltöne, verkleidet als Band aus Manila, die Belegschaft eines Mädchenpolterabends, mit Krönchen und Zauberstab in plumpe Elfen verwandelt, zu Lados "Just A Gigolo"ekstatisch tanzend, ein unbekanntes Paar in der Rolle der Dancing Stars, vielleicht Michaela Z. seriös mit Brille und ein blauer, jetzt oranger, Herr H. in der Maske des Peter W. – ganz ohne Leibwächter.

Entlarvt.

Maske
903 mal erzählt
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Mock Turtle

Sit down, both of you, and don't speak a word till I've finished

Who sits there?

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Im Bilde

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Gruß nach drüben
Der Vater - der großartige Walter Deutsch ist am 13....
katiza - 18. Feb, 16:53
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dass ich an jenem Zuhause angekommen bin. Ich liebe...
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Gruß nach drüben
Der Vater - der großartige Walter Deutsch ist am 13....
katiza - 18. Feb, 16:53
Wenn ich schon geahnt...
dass ich an jenem Zuhause angekommen bin. Ich liebe...
katiza - 22. Feb, 15:42
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