8
Aug
2015

Oh Neun

Als die Mock Turtle vor neun Jahren aus ihrem Schildkrötenei in der Schreibtischschublade geschlüpft ist, Alice „could not help thinking there must be more to come, so she sat still and said nothing.“

Und da kam noch mehr. Die ganz große Innenschau. Kein Stein blieb auf dem anderen, meine Welt hat sich gedreht. Damals war ich Anfang 40, seit zehn Jahren glücklich verheiratet, zufrieden im Beruf, der sich auch ein wenig wie Berufung anfühlte. Schon Jahre auf der Suche nach mir, begleitet von Meisterinnen und Meistern.

shot_1438104207042

Ja, es waren die ersten Wintertage für die Eltern. Und auch sonst wurde es kühler. Doch ich hatte jetzt das Netz und konnte mich an den Widerspiegelungen meiner heißen Geschichten erfreuen. Und nach und nach immer mehr Begegnungen über Worte und Kommentare hinaus. Mein Blog hat mir Menschen geschenkt: jene, die mich in diese Welt geleitet hat – die wundervolle ConAlma, Chefin, Mädel, Begleiterin nah und fern zugleich und Führerin auch in andere Welten, wie die des Weines und der Musik, Toll3ste, Poetische, mit Worten, Farben, Gedanken Malende, weise RatgeberInnen, in Elfenhäusern lebende Schwestern im Geiste, die SchweizerInnen Frau Fröschin und Schani Flaneur, dem inspirativen Herrn Wilderness - und all die anderen, bekannt und unbekannt….aus dem Blick verloren, von der Blogroll gerutscht, weranderer woanders.

shot_1439063852144

Menschen gingen, neue kamen, ich trauerte den einen nach und fieberte den andren entgegen, Und dann musste ich plötzlich um den Vater trauern, die Ehe zerbrach, eine neue Lieb kam. Seltener geschrieben, andere neue soziale Medien genutzt, mich woanders gespiegelt und gelebt vor allem gelebt. Das letzte Jahr aber war das Jahr der Mock Turtle – ich floh mich online, Briefe, Erinnerungen für später, Hilferufe und Rechtfertigungen.

shot_1438798417188

He, alte Schildkröte, vielleicht sollten wir übersiedeln, but let’s move on.

So viel Glück ist mir beschieden. Allzeit gute Fahrt und eine Handbreit Wasser unter dem Kiel…
917 mal erzählt

27
Jul
2015

Zum Glück

Das Glück ist mir hold. Wir verbringen immer mehr Zeit miteinander - zum Glück. Es wohnt bei mir, hat es sich gemütlich eingerichtet, lichtdurchströmt. Es hat Bilder aufgehängt, es hat Möbel mitgebracht und Bücher, viele Bücher. Auch Schallplatten. Alles trägt auch die Spuren der alten WG. Lange hatte das Glück dort das hintere Zimmer: klein, aber mit dem Fenster mit der wundervollsten Aussicht, still, ein wenig abgelegen, versteckt fast, höchstens Platz für Zwei zur selben Zeit, übernachten war schon schwieriger.

2015-06-24-20-31-57

Einst war es ein Kinderzimmer, erfüllt von Träumen und Geschichten, Versteck und Höhle. Das Glück lag dort auf dem Bett mit den Büchern und dem Radio. Das Glück war stolz auf den Pokal, den es auf dem Rücken der Pferde ersprungen hatte, das höchste der Erde. Und manchmal tollte es über die Felder und erkundete Wälder, Bäche und Ameisen. Zuhause verlor es sich in Teppichmustern und Schallplatten, in Lyrik und Romanen, die es mit dem Unglück geschwisterlich teilte. Draußen vor der Türe, die das Glück nicht absperren konnte, war die Welt, die Räume gehörten den Eltern, ihrem Glück, ihrem Unglück, ihrer Angst, ihrer Sehnsucht, ihrer Wohngemeinschaft.

2015-06-08-20-46-36

Später zog das Glück ins Erdgeschoss, es schlief und schlief bei im Messingbett. Das Glück tanzte allein und zu zweien zu lauter Musik, vertiefte sich in Lyrics und Literatur, Theater und Tequila. Oh ja, das Glück trinkt, manchmal säuft es geradezu und das Glück kifft und stellt alles Mögliche an. Nachts streunte es durch die Stadt, es teilte mit Fremden - zum Glück ist es immer gut gegangen. Vielleicht war es wegen der Angst. Die hatte damals das größte Zimmer in der WG, wollte man zum Glück, kam man nicht an ihr vorbei. Die Unsicherheit lungerte in der Küche herum, immer ein Gläschen bereit. Und die Traurigkeit, der schwarze Hund, der durch die Räume schlich, seinen brünftigen Gestank verbreitet und Erinnerungen annagte. Manchmal hatte das Glück das Gefühl nicht mehr gehört zu werden, nicht gesehen zu werden. Es leistet seinen Beitrag, schwang sich immer wieder auf, nur um von den anderen überstimmt zu werden.

2015-07-26-18-59-25

Es war selten daheim, viel unterwegs und immer auf der Suche nach Verbündeten; es war hungrig, es wollte sich teilen und das gelang ihm immer besser. Am Liebsten zu mehrt, so dass es die alte Angst in der Ecke vergaß oder erst spät bemerkte. Das Glück feierte: die Liebe, das Leben, es reiste, bestieg Vulkane, schaute Steine. Und es arbeitete, an sich, mit anderen, für andere. Es schwieg, blickte in die Vergangenheit, wechselte Perspektiven, hörte zu, sah zu, spürte und kam mehr und mehr im Augenblick an. Und die Tränen waren wie Vergrößerungsgläser. Es wurde selbst bewusster, selbst erfahrener. Verlangte mehr Platz, trat für seine Anliegen ein.

2015-06-17-19-00-29

Die anderen in der WG begannen zu kämpfen, das Unglück verlangte seinen angestammten Platz zurück und warf der Angst vor, ihm keine Hilfe mehr zu sein. Es lud den Zweifel ein und die Einsamkeit, den Zorn, die Wut. Sie feierten wilde, selbstzerstörerische Parties, der Schmerz grölend mittendrin. Der Tod ging vorbei und geliebte Menschen, mit denen das Glück am Tisch gesessen war, die es genährt, willkommen geheißen hatten, gingen mit ihm. „Man spürt selten, was Glück ist, aber man weiß meistens, was Glück war“, schrieb Françoise Sagan. Das Glück zog sich zurück in seinen Schildkrötenpanzer, aber selbst dort musste es sich die Ohren zuhalten und Namuamidabu singen.

2015-07-26-19-37-01

Und irgendwann habe ich das Glück wieder ernst genommen, habe aufgehört auf den Panzer zu klopfen, es zu rufen, zu fluchen, zu betteln. Irgendwann bin ich endlich still geworden, hab das Glück eingepackt und mich mit ihm in die Sonne gesetzt. Auch da habe ich es immer wieder übertreiben, hab es zu viel herumgeschleppt, es versucht plappernd aus seinem Versteck zu locken, es wild umtanzt. Nach und nach hat es immer öfter und weiter seinen Kopf herausgesteckt, seine Beinchen, das kecke Schwänzchen. Und länger und länger blieb es heraußen, selbst, wenn es regnete oder die Luft verraucht war. Eines Abends kamen wir heim und lüfteten.

2015-07-23-15-44-40

Es war nicht leicht, die Fenster klemmten. Das Glück ist keine große Hilfe beim Großputz. Es vertieft sich in Kleinigkeiten, an denen es hängt, die es glaubt zum Leben zu brauchen und doch fünf Minuten später wieder vergessen hat. Nie bleibt es an einem Platz, wenn es ums Aufräumen geht, ganz abgesehen davon, dass es meistens soundso erst Stunden, Tage später kommt. Aber irgendwann einmal war es geschafft und das Glück sprang beim einen Fenster hinaus und flog beim anderen wieder herein. Gottseidank wollte die Wut – wie so oft – nicht wirklich mitarbeiten und so hat nur der Schmerz ein paar Gläser zerbrochen. Wo war die Angst, damals?

2015-07-23-17-00-14

„Das Glück is a Vogerl“, heißt es im Wienerlied und es fliegt mit mir, mit uns. Es pfeift uns Liebeslieder am Vorderdeck und anderswo. Es flattert durch den Salon und folgt uns nach Süden und Norden, mal Adler, mal Uhu, mal Gassenspatz, mal Papagei, mal Kakapo. Und weil der alte Schildkrötenpanzer ihm beim Fliegen ständig im Weg war, hat es ihn oben auf den Schrank geräumt, wahrscheinlich passte es gar nicht mehr rein, so fett war es geworden. Letztes Jahr war es auch bei mir, der Gänsemagd, das Glück. Es hat mit dem Tod der Angst und der Sehnsucht, mit meiner Mutter, mit mir, mein Elternhaus bewohnt. Es hat mir die geheimen Orte von einst gezeigt, die Freude an Kleinigkeiten. An den Wochenenden ist es aufgeblüht. Es hat mich nicht verlassen, auch nicht am Ende.

2015-07-07-15-30-39

Zum Beispiel gestern. Da traf ich, trafen wir, das Glück erst auf der Jesuitenwiese, 16 Kinder und eine Mutter im Schlepptau, mitgenommen aus einem Asylheim in der Nähe unseres Grätzels. Drei vier verschiedene Nationen, die Kommunikation, ja selbst das Namen merken im internationalen Sprachengewirr schier unmöglich. Nur lachen, lachen können wir von Anfang an gemeinsam. Ein bisschen Glück wollen wir den Kindern schenken, Bälle und Naschereien und Spiele und Menschen, die sich mit ihnen freuen. Viele sind hier, weil sie die Hetze in den sozialen Medien satt haben und wissen, dass nur Handeln vor der Hilflosigkeit und Fassungslosigkeit, die sie wie mich angesichts der brutalen Wortgefechte bedrängt, rettet. Drei Stunden Nachmittag, ein paar Namen habe ich mir doch gemerkt und wieder einmal begriffen, wie viel Glück ich habe, auch dass ich helfen darf und kann. Und dann noch Freitag, im Wohnzimmer des Glücks, der Chapel of Soul, beim Erstgeborenen mit in „Erdöl gegossener Liebe.“ Das Glück ist mir wahrlich hold.

2015-07-21-20-04-15

So viel Glück ist mir beschieden. Allzeit gute Fahrt und eine Handbreit Wasser unter dem Kiel…


Dieser Text ist mein Wort Beitrag zum Projekt *.txt, das zehnte Wort
1511 mal erzählt

15
Jul
2015

Nackt

Sie fühlte sich nackt,
denn er war ausgezogen.
Es war ein Fakt:
Er hatte sie belogen.

Sie trug ihr Hüllenlos
Wie ein Abendkleid,
Am Ende blieb ihr bloß
Des Abends Leid.

Bis sie dem nackten Leben
Ganz plötzlich voller Lust
Sich wieder hingegeben:
Nackt und selbstbewusst.

Sie braucht sich nicht verkleiden,
sie braucht auch kein Kostüm.
Sie braucht auch nicht mehr leiden,
sie lebt jetzt ungestüm.

shot_1310140934975

Dieser Text ist mein Wort Beitrag zum Projekt *.txt, das neunte Wort
1280 mal erzählt

14
Jul
2015

Verschwyzt – das Fest

Toll3st aufgeputzt, die für den 1. Offizier und mich unvermeidlichen Seifenblasen geschultert, Geschenke und Texte im Gepäck machten wir drei Königinnen - die bezaubernde B. und Madame Lamamma - uns vom Hotel der drei Könige auf zum blauen Haus jenseits der Schienen. Mit (heimlich) entliehen Tüchlein – hierzulande Fetzn - kühlten wir die heißen Nacken, an den zahlreichen Brunnen, die frisches, klares Trinkwasser spenden. Erfolgreich mit nur minimalen Umwegen navigierten wir in Richtung Geburtstagshafen. Die wunder-volle Fröschin hatte uns als Gäste und zum Gastspiel geladen. Ihre – und damit unsere – Bühne an diesem Sommersonntag war das Atelier, das kleine Museum der famosen Sammlerin Ursula Stalder.

2015-07-05-15-23-07

Schon im Stiegenaufgang bin ich angekommen in den Werken der Künstlerin. Sammlungen kostbarster Kleinigkeiten, liebevoll aufgelesene Details, jeder Kasten, jedes Kästchen, jeder Blick ein Universum. Und dann beim Betreten des kleinen Museums eine noch schönere Sammlung von Menschen, Familie, Freundinnen, Freunde, die geladen und gekommen, Frau Frosch zu feiern. Sie selbst sah wunderschön aus mit einem Touch of Tudor. Die Küche ist Herz des Raumes und ein Frauentrio der besonderen Art – Ursula und ihre Schwestern – brachten dieses Herz zum Schlagen. Der zentrale Küchentisch bog sich von mediterranen Köstlichkeiten, wieder Sammelgut, verschiedenste Rezepten, Geschmäcker, Inspirationen, wie das Strandgut rundherum mitgebracht vom Ufer der Meere. Sogar die Weinblätter selbst gesammelt.

2015-07-05-15-25-18

Die drei Frauen umsorgten uns diskret und liebevoll. Und so konnten wir Menschen sammeln, jede, jeder für sich und auch gemeinsam, im Ländervergleich, im Lebensvergleich mit allen Sinnen, viele Stunden. Und was waren auf diesem Fest für interessante Menschen versammelt, Kinder, Männer Frauen mit Namen wie Marla, Pirmin oder Basil, mit dieser Sprache. Mit dieser Sprache – ja, auch mit der haben wir uns versucht bei unserem dreigeteilten Toll3sten Auftritt in Emils Geburtsstadt. Danke dem großartigsten Publikum, das wir je bei einem Auslandsgastspiel hatten.

2015-07-05-18-39-33

Applaus gab es auch für die Rede des Herrn Steppenhund zwischen Genie und Wahnsinn. Ebenso fasziniert wie wir von ihrer waren die Schweizer von unserer Sprache. Noch spät nachts wurde der Tschurifetzen erörtert. Ein Grillerbrand auf einem Balkon gegenüber lieferte uns auch noch die Demonstration der präzisen und sicheren Arbeit der Schweizer Feuerwehr und ein Quäntchen Abenteuer während wir Bubbles auf der Raucherterasse fliegen ließen.

2015-07-05-19-26-55

Am Klo begegnete mir Nietzsche und irgendetwas in meinem Gehirn begann zu rattern, das Strandgut des Wissens durchforstend. Ich hab es wiedergefunden, herausgesiebt aus dem Netz und dem Bücherregal. Nietzsche, Paul Rée und Lou Salomé – „Lous Dreieinigkeit“ war zusammen in Luzern gewesen – und vor dem sterbenden Löwen machte der 38-jährige bereits leidende Philosoph der 21-jährigen Russin einen zweiten erfolglosen Heiratsantrag. Später arrangiert er im Atelier des Luzerner Starphotographen Jules Bonnet das berühmte Peitschenbild. Das war 1882, die Krankheit plagte den Philosophen bereits, er war pensioniert, er hatte begonnen sich mit Zarathustra zu befassen, er war ein Frühpensionist, reisend zwischen der Schweiz und dem Mittelmeer: im Sommer in Sils-Maria oder am Vierwaldstättersee, wo er in Tribschen seinen Freund Wagner besuchte, im Winter in Rapallo oder Nizza. Sieben Jahre später, nachdem er weinend den Turiner Droschkengaul umarmt hatte, zeichnete er in der Irrenanstalt Friedmann in Basel ein kleines Bildchen das Löwendenkmal. "Ich sage euch: man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können. Ich sage euch: ihr habt noch Chaos in euch" – der tanzende Stern fiel mir ein an jenem Abend der tanzenden Sterne.

2015-07-05-19-27-02

Längst vertraut schienen mir die Menschen, die ich dort kennengelernt. Viele in „unserem Alter“, zwei Toll3ste und das Geburtstagskind sind ein Jahrgang, das verrieten graue Schläfen und kleine Fältchen da oder dort und über Ländergrenzen geteilte, gemeinsame Erinnerungen. Doch wie es bei wirklich guten Festen so ist, lösten sich Altersgrenzen fließend auf, vermischten sich. Und mitten drin die Fröschin mit ihrem Lächeln. Danke – es war wunderbar, grossartig und auch ziemlich rauschend. Aus meiner „Bloggerfreundin“ ist nun meine „Schweizer Freundin“ geworden. Was für wundervolle Menschen wir doch im Laufe unseres Lebens sammeln dürfen.

2015-07-05-21-58-43

Irgendwann saßen wir noch mit der Künstlerin und einer letzten Flasche Wein inmitten des Raums, von Linz 09 erzählte sie und die Kreise schlossen sich wieder. Falls jetzt wer in Österreich neugierig auf Ursula Stalder geworden ist – bis 1. November 2015 kann man ihre Werke mit anderen im Daniel Spoerri Museum in Hadersdorf am Kamp bei der Ausstellung „Lieben und Haben“ bewundern. Spät brachen wir auf, wankten nach Hause, weil die vielen Gedanken und Erinnerungen in unseren Köpfen kreisten, nicht – nur – weil wir zu viel getrunken hätten.

2015-07-05-21-28-48

Die Köpfe konnten wir dann am nächsten Tag bei einer am Vierwaldstätter See auslüften – am Raddampfer „Gallia“, ausnahmsweise am Hinterdeck. Der Kulturflaneur, erfahrener Dampfschifffahrer, begleitete uns und erläuterte uns die verblassende Pracht der historischen Tourismusregion zwischen von Russen gekauften Grandhotels und Golfplätzen.

2015-07-05-13-29-42

Schön war es in der Schweiz – merci vielmals! (sagt Ihr doch?)
1062 mal erzählt

8
Jul
2015

Verschwyzt – Kulturflanieren zwischen Krieg und Frieden

Brasilianisch wie die Temperamente der Luzerner mutete auch die Hitze der Nacht und des nächsten Morgens an. Früh trieb sie uns auf und nach üppigen Frühstück und vielleicht weniger üppiger Probe marschierten wir zu unserer Verabredung zum Kulturflanieren mit dem spitzfindigen Herrn T., der uns aufs Trefflichste mit Geschichte und Geschichten der Stadt vertraut machte. Das Bourbaki-Panorama stand ganz oben auf meiner Wunschliste, wollte ich doch ein Gegenstück zum Innsbrucker Riesenrundgemälde sehen, das mich von klein auf faszinierte. Und nicht nur das Bild, auch die Aufbereitung übertrafen meine Erwartungen. Diese Internierung einer ganzen geschlagenen Armee aus 87.000 französischen Soldaten im Februar 1871 ist irgendwie aktuell in Zeiten von Flüchtlingsströmen. „Die Internierung der Bourbaki Armee in die Schweiz ist ein großer Akt der Humanität und Solidarität und gleichzeitig auch ein Prüfstein für das junge Rote Kreuz“, steht im Begleitmaterial. Die Bevölkerung war erst misstrauisch, dann voll Mitgefühl. Sechs Wochen blieben die fremden Soldaten, deren große Zahl drei Prozent der Schweizer Bevölkerung entsprach, 1.700 starben. Auch Legionäre aus Nordafrika waren dabei. Bei aller Menschenliebe wurde der fremden Armee aber auch eine Rechnung gestellt: 12,2 Millionen Schweizer Franken berappte der französische Staat in Raten. Der Maler des Bildes, Edouard Castres, war Zeitzeuge, er war beim Roten Kreuz.

2015-07-05-13-04-15

Das Thema Krieg blieb uns auch auf der nächsten Station unseres Stadtrundgangs erhalten. Wir wollten unbedingt das laut Mark Twain „traurigste und bewegendste Stück Stein der Welt“ sehen, das Löwendenkmal. Die ach so friedliebende Schweiz hat ja, wie ich jetzt in einem Interview mit Jost Auf der Mauer in der "Zeit" nachgelesen habe, einst ein reges Söldnerwesen betrieben. Die Schweizergarde im Vatikan ist nur das Überbleibsel von 500 Jahren Geschichte als größter Kriegsdienstleister Europas. Geschätzt eine Million Schweizer kämpften als Reisläufer in fremden Kriegen, als Huntertschweizer taten sie auch Gardedienst in der Wiener Hofburg. Und 1792 bei Louis XVI – als diese während der französischen Revolution den von der Königsfamilie bereits verlassenen Tuilerienpalast verlassen wollten wurden 760 von 1.100 Schweizer Gardisten von der wütenden Volksmenge getötet.

2015-07-05-13-16-17

An diese, seine Kameraden, wollte der Gardeoffizier Carl Pfyffer von Altishofen mit einem Denkmal erinnern. Er stammte aus einer Luzerner Bürgerfamilie, die seit dem 16 Jahrhundert auch mittels gehobenem Söldnertum ein Vermögen gemacht hatte. 1792 war der damals 21-jährige zwar als Leutnant in Paris stationiert, aber gerade auf Heimaturlaub in Luzern, als die Tuilerien gestürmt wurden. Das mag wohl mit eine Rolle gespielt haben, dass er 1818 beschloss seinen gefallen Kameraden ein Denkmal zu setzen. Er selbst stellte einen zu seinen Liegenschaften gehörenden Steinbruch zur Verfügung und finanzierte das Denkmal mittels Suskriptionsplan – heute würden wir das Crowdfunding nennen. Seit 1821 ruht der vom dänischen Bildhauer Bertel Thorvaldsen entworfene und von den Schweizer Bildhauern Urs Pankraz Eggenschwiller und Lukas Ahorn gefertigte Löwe über dem Wasser. „Der Löwe ist also nicht tot, er muss ruhend sein“, meinte sein Schöpfer. Und ja, er ist so traurig, dass selbst die Schar vor allem asiatischer Touristen, die ihn an diesem Mittag umschwirrten, still und ergriffen erschien, vielleicht waren es aber auch nur die über 30 Grad, die ihnen wie uns zu schaffen machten.

2015-07-04-15-22-17

HELVETIORUM FIDEI AC VIRTUTI steht dort eingemeißelt – der Treue und der Tapferkeit der Schweizer. Darunter die Namen der Offiziere und die Zahl der Gefallenen. „Es ging von Anfang an ums Geld“, erklärt Auf der Mauer zur Geschichte der Schweizer Söldner. Junge abenteuerlustige Männer aus einem bitter armen Land, dem nur hart etwas abzutrotzen war, erwarben in fremden Diensten genug Geld, um heiraten zu können. Dabei waren sie nicht zimperlich und manche Brutalität des Kriegshandwerks damals erinnert erschreckend an die jungen Männer (und damals wie heute auch vereinzelt Frauen), die aus ihrer vermeintlichen Enge heraus für ISIS und Allah in den Krieg ziehen. Nach und nach wurden diese Kampftruppen von oligarchisch strukturierten Gesellschaften organisiert. Dieses Geschäft verlangte hohe Investitionen. Allerdings sei auch die Rendite, vor allem in der Blütezeit des 17. und 18. Jahrhunderts, erheblich gewesen: bis zu 18 Prozent, was einigen Familien einen erheblichen Luxus ermöglichte, erklärt Auf der Maur im Zeit-Interview.


2015-07-05-10-39-27

Rund 30 Jahre nach der feierlichen Enthüllung des Löwendenkmals ging es zu Ende mit dem Schweizer Söldnertum – der relativ neue liberale Schweizer Bundesstaat verbat ab 1851 das Anwerben von dienstpflichtigen, ab 1853 von allen Einwohnern der Schweiz. Und dennoch Ende des 19. Jahrhunderts dienten Tausende Schweizer in der Fremdenlegion und im 20. Jahrhundert kämpften viele im spanischen Bürgerkrieg und einige für die Waffen-SS. Sie wurden allerdings nach Rückkehr in die Schweiz strafrechtlich verfolgt.
Vielleicht waren es diese hunderten Jahre im Lohndienst fremder Mächte, die die Schweiz, wie wir sie heute kennen geformt haben, vermuten Kommentatorinnen aus der Gegenwart: das Rote Kreuz wurde von einem Schweizer gegründet, der Rettung statt Grauen auf die internationalen Schlachtfelder brachte, die Neutralität entstand auch aus dem Bedürfnis verschiedenen Kriegsherren dienen zu können, die Banken waren früh da, das Geschäft mit den Soldaten zu nutzen.

2015-07-04-15-24-18

Aber ich will mir meine SchweizerInnen nicht vergraulen, ich behalt sie lieber so friedlich im Kopf, wie sie mir in Luzern begegnet sind. Z.B. am Ufschötti, dem Badeplatz, zu dem uns der Kulturflaneur dann geleitet hat, um endlich abzukühlen und die wehen Füße noch einmal auszuruhen. Unterwegs beim Inseli kamen wir bei einer doch etwas seltsam anmutenden Statue vorbei, die zwei Herrn im griffigen Clinch zeigte. So griffig, dass ich ganz vergaß und mich vielleicht auch ein wenig schämte, das Ganze im Bild festzuhalten. „Ähm?“, frug ich den Flaneur und Stadtbewohner. „Das ist das Schwingerdenkmal" kam melodiös zurück. Nun werden in meiner Tiroler Heimat vielseitig sexuell Interessierte mit S(ch)winger bezeichnet, aber denen ein noch dazu ziemlich homoerotisches Denkmal zu setzen würde ich weder meinen katholischen Landsleuten noch den mir von Emil bekannten Eidgenossen zutrauen. Um traditionelles Schweizer Ringen handle es sich beim Schwingen, erklärte mir Herr T. auf meinen verzweifelten Blick hin. „Hosenlupf“ und genauso sieht es aus.

2015-07-05-14-13-50

Das Ufschötti ist aufgeschüttet aus dem Aushub eines Tunnels und ist wie unsere Donauinsel ein Gratis Naherholungs- und Badegebiet, blitzsauber und wunderschön. Im Ufschötti geht es allerdings deutlich friedlicher zu als auf der Insel an heißen Tagen. Und um einiges leiser. Im Schatten eines Baumes lassen wir uns von Herrn T. und einer nach Berlin ausgewanderten Luzernerin über Schwingen und Wetterschmöcker auf. Ersteres werde gerade wieder modern, wie ich auch in der Zeitung des Nachbarn lesen kann, denn am Ufschötti bleibt heute keine Meter ungenutzt. Und letztere habe ich auf einer Bierflasche erspäht, die gibt es schon seit 70 Jahren, aber der Kulturflaneur scheint sie nicht sehr zu schätzen. Mit der Prognose für Juli haben sie jedenfalls soweit recht behalten: „Die ersten 3 Tage auch veränderlich. Pünktlich auf die Schulferien beginnt auch das traumhafte Sommerwetter und das bis Ende des Monats. Es gibt Leute die übernachten im Wasser, so warm ist es.“ Oh ja, das hätten wir Toll3sten auch gerne gemacht, im Wasser übernachtet. Doch diese Tag war noch nicht zu Ende – ein formidables Fest stand am Abend an und es galt nach Hause zu eilen und sich zu behübschen (und vielleicht doch noch kurz zu proben?)

2015-07-05-15-01-01

(Fortsetzung folgt)
1016 mal erzählt

7
Jul
2015

Verschwyzt - Die Ankunft

Emil war mein erster Schweizer. Vielleicht auch Caroline. Alle beide – oder besser alle drei , man sollte Carolines ständigen Begleiter Herrn Urs Kliby nicht vergessen – waren regelmäßig Gast in unserem Wohnzimmer wie auch in allen großen Samstag-Abend Shows. Unser Kleinfamilie – Mama, Papa, ich – konnte sich vor Lachen schier ausschütten, wenn sie die Bühne betraten. Ich sehe meine Mutter Tränen lachen, ob der Puppe die denselben Namen, trug, auf den auch sie getauft war und ähnlich wie sie mit kleinen Frechheiten aufzutrumpfen wusste. Und ich höre das Bass-Lachen meines Vaters, wenn Emil den Polizisten mimte. Caroline und Emil, ihre Sprachmelodie, ihr Tempo, ihr Humor prägten meine Vorstellung von der Schweiz. Oh sicher, viele Kulturschaffende, DenkerInnen, SchreiberInnen, die ich verehre wurden dort geboren, haben dort gelebt, Exil gefunden.

2015-07-05-10-34-53

Meine Mama war nach dem Krieg in der Schweiz geschickt worden, als Teenager zum Aufpäppeln. Wohin habe ich vergessen, vielleicht auch nie gewusst. Spargel gab es dort für das Tiroler Maidle und große Liebe, die mehr in Briefen als in Berührungen ausgetragen wurde. Später ist er dann nach Hollywood gegangen, Mamas geliebter Schweizer, und hat mit der Monroe geschlafen – Fluss ohne Wiederkehr. „Aber mich hat er nicht bekommen“, erzählte Mama dem 1. Offizier. Vor einem Jahr war das.

Ich selbst kenne Zürich vor allem vom Durchfahren und aus dem Benn-Gedicht „Meinen Sie Zürich zum Beispiel sei eine tiefere Stadt“. Zürich brannte einst in Jugendunruhen und Jeanne Hersch habe ich in Wien erlebt. Natürlich habe ich Wilhelm Tell gelesen und eine Bahnbekanntschaft hat mir einen Lyrikband geschenkt. Und doch denk ich an die Schweiz, hör ich die Sprachmelodie und fühle die Geborgenheit gemeinsamen Lachens - und an Birchermüsli, Berge, Bauernkämpfe.

2015-07-06-08-35-26

Es war Emil, der uns gleich begrüßte, als ich gemeinsam mit den Toll3sten und dem 1. Offizier Samstags Mittag in Luzern ankam. Die wunder-volle Fröschin hatte uns eingeladen, mit ihr zu feiern und nur zu gerne, waren wir der Einladung gefolgt. Der 1. Offizier hatte uns und sich auf das Städtchen am Vierwaldstättersee vorbereitet und doch: Frösch übertraf alle unsere Erwartungen. Strahlendes Wetter, glitzerndes Wasser, eine Blumenpracht am Wochenmarkt, eben der Luzerner Emil, der wundervolle Singsang der Sprache - „Grüezi“ – und auch die Preisgestaltung, wie anderswo zu lesen. Die Toll3sten waren stilgerecht bei einem anderen Trio, das einst zu einem Wiegenfeste angereist war, untergebracht. Aufgrund der großen Hitze erkundigten wir uns sofort nach Bademöglickeiten – möglichst nah und vielleicht nicht teurer als zwei kleine Bier (2x5 SFr). Man könne schon auch irgendwo ins Wasser steigen, erklärte uns die nette Serviererin: „Am beschten dorrt, wo andere uch sit – in der Schweiz gibt’s teure Busen.“ Versonnen der Sprachmelodie lauschend fing ich den Blick des 1. Offiziers auf – jetzt dämmerte es uns – Bußgelder waren gemeint.

2015-07-04-15-22-24

Und so packten wir unsere Busen ein und machten uns auf den Weg zum Wasser. Nicht ohne jede Menge „Ahs“ und „Ohs“ für die Schönheiten der Stadt. Ob Totentanz auf der Holzbrücke oder die wundervoll bemalten Häuser, die Blumenpracht , die Grandhotels, der See, die Seen. Im Seebadi sind wir schließlich gelandet und waren ganz verliebt in das neue alte. Und so verging der Nachmittag entspannt mit Wellen- und Sprachgeplätscher begleitet.

2015-07-04-17-56-23

Am frühen Abend dann das Wiedersehen mit Frau Frosch. Die Österreichische Delegation mit Herrn Steppenhund und Frau Columbo war zum Grillfest nach Frogg Hall geladen – was für eine Ehre! Nur zehn Minuten sind es durch die Stadt, über die Stadtmauer und einen kleinen Hügel von der Kapellbrücke bis zum Maihofquartier. Dort schürte der Kulturflaneur bereits ein Feuerchen, Champagner wurde aufgetischt und St. Gallener Würstchen – ohne Senf zu essen - und doch haben den haben wir doch dazu gegeben. Die SchweizerInnen sind aber gar nicht so streng, wie man glauben möchte - statt teurer Busen wurden weitere Köstlichkeiten aufgetischt: Mini-Kaprizen und Torte. Was für ein reger Kulturaustausch und das rot-weiß-rote Blut war den Luzerner Mücken offenbar willkommene Abwechslung im Speiseplan…Spät nachts begleitet der 1. Offizier die Toll3sten nach Hause. Und uns war allen klar, warum die Luzerner auch als die Brasilianer der Schweiz gelten.

2015-07-05-10-45-23

(Fortsetzung folgt)
884 mal erzählt

11
Jun
2015

Kur Schatten

Wie wundervoll die Kurnotizen der toll3sten Ba - jeden Morgen warte ich darauf. Irgendwann dazwischen träumen wir von Kurprogrammen zu dritt. Immerhin hat auch die toll3ste Be Erfahrungen mit Kurdu gesammelt. Ich nicht. Ich habe zwar einige Artikel darüber geschrieben und redigiert, welch wichtige Errungenschaft die Kur im Speziellen und das Gesundheitswesen im Allgemeinen für die arbeitenden Massen sind, aber von Ein(bis zwei) Personen Unternehmen war da nicht die Rede. In Kurdingen sieht es für uns Amici der SVA schattig aus. Ja, sicher, vielleicht hätte die Ärztin meines Vertrauens das gebacken bekommen, aber wann hätte ich gehen sollen? Urlaub war immer dann, wenn die Kinder der arbeitenden Massen um mich Ferien hatten. Kur hätte wohl meine Job gefährdet.

Kur ist was für Weicheier, dachte ich – ziemlich neidig. Kur ist nichts für Weicheier, lese ich täglich nach, und auch andere Eier sollten sich hüten. Von Eiern verstehen wir was, wir Toll3sten, die haben wir, Stockweise sozusagen. „Kur kann ich nicht“, sagte ich den Mit3sten: „Kur kenn ich nicht…“ Und doch bin ich jetzt auf Kur. Entziehungskur. Eltern-Entziehungskur, Kindheitsentziehungskur, Familien-Entziehungskur. Kalter Entzug, in der Küche bei offenem Fenster, Substitute zur Hand. Morgens der gefrorene Truthahn, fett und ironischerweise gänsehäutig auf meiner Brust. Die Tauben gurren, der Hass auf ihren Liebesgesang hat die Mutter und den Nachbarn vereint. In einer Schublade liegen „Piraten“ sie zu verjagen. Ein lauter Knall und es ist still im Garten. Ein Schuss.

2015-05-29-20-28-54

Morgens schüttle ich den Truthahn von meiner Brust und beginne mit einem sportlichen Treppenlauf in den Keller, Sauna aufheizen, noch eine Viertelstunde, dann kann ich duschen. Frühstück gibt es bei den Nachbarn, Eier nicht nur Sonntags, jeden zweiten Tag, weil ich mich auch im Essensentzug übe. Weg damit, mit dem Gepäck, das auf den lädierten Nacken drückt.
Fotos sortieren – die guten ins Töpfchen, die schlechten ins…Plastiksackerl. Nicht schlecht, nur ohne Menschen, Landschaften. Mein Vater hat schöne Fotos gemacht. Auf manchen – denen, die sie nicht erwischt und zerrissen hat, - lächelt meine Mutter im Vordergrund. Erst jetzt bemerke ich die Ähnlichkeiten zwischen uns. Sie wohl auch, wie sich hin und wieder aus der Ordnung der Bilder erahnen lässt. Je länger ich sortiere in drei mächtige Kisten, umso mehr entsorge ich. Nur die ganz alten Bilder, bei denen ich die Photographierten nur erahnen kann, verschone ich, selbst wenn sie nur Landschaften zeigen oder die Seufzerbrücke.

Meine Maturazeugnisse und die des Vaters ähneln sich, beide haben wir viel geschrieben, auch viel Wissen verraten und blieben doch zu sehr im Ungefähren. Urkunden, Beileidsschreiben, Postkarten. Eine Königin, eine Prinzessin, Präsidenten und Weltmeister. Ein Astronaut in meinem Kinderzimmer. Die elegante Mutter, der charmante Vater, die schöne Familie und die andere mit weniger Bildern, nicht weniger schön. Und ich zwischen Angst und Sehnsucht, Entzug, Phantomschmerzen, Seelenweh.

2015-06-06-15-43-18

Dazwischen Besuch bei der Freundin, auch sie räumt auf, entrümpelt, gemeinsam mit den Kindern. Ich nippe an einem Glas herrlichen Weins und lausche unter dem Blitzen ihrer Augen ihren Schlachtplänen. Wir tauschen Rotes und Gedanken, sie bereitet mir ein Essen zu, das ihr helfen soll, die Untiere im Zaum zu halten, mir hilft es gegen die Kälte der Familie. Alles erscheint relativ an diesem Abend, in dieser Vollmondnacht. Alles ist relativ. Alles ist. Alles.

2015-06-02-19-09-59

Und doch dreht sich Frau Lot am nächsten Tag wieder um. Ich blättere durch die Gesichter, der Kinder, die wir waren. Manchmal halte ich inne, wenn die Filme in meinem Kopf zu laufen beginnen. Manche Namen tauchen abrupt auf, auf anderen Photographien sehe ich mich neben Leuten, die ich nie zuvor gesehen habe. Die Kleider erkenne ich meistens, auch wenn sie längst vergessen schienen. Mir der Werte-Predigerin stellt sich die Wertfrage.

2015-06-06-22-30-22

Was sind die Werte der Eltern wert? Was die Pelzmäntel, Teppiche, Bilder, Briefmarken- und Münzsammlungen, Möbel, das alte Haus. Dinge die sie gehegt und gepflegt haben, übernommen auch, die Aussteuern der Großmütter mit Monogrammen, die Initialen der Frau blieben auf Bettwäsche und Servietten erhalten. Erspart, ertrotzt, erlitten, um letztendlich. Ja, um was? Soll ich diese Schätze der Altvorderen, nie genutzt in 100 Jahren und mehr, entsorgen, verschachern, behalten? I don’t wanna go to rehab, no, no ,no.

2015-06-06-14-38-01

Eine Wein_kur ist es, auch wenn die meisten Weine im Keller, dem Vater aufgeschwatzt, nicht mehr trinkbar sind, wahrscheinlich, weil Wein ja immer auch ein wenig was von Schrödingers Katze hat. Man weiß es nicht. Was weiß man schon? Mein Erbe besteht auch aus Grußkarten, Postkarten, Anerkennungsschreiben und der vagen Vermutung, dass sich meine Eltern doch geliebt haben, manchmal, von Zeit zu Zeit.

2015-06-03-13-58-13

Und mitten drin der Ururgroßvater, seinen toten Sohn trauernd im Arm. 1875. Ein Wirt, ein stolzer Mann, ein schöner toter Knabe im Spitzengewand. Familiengeschichte. Uralter Schmerz mischt sich mit neuem, Blutsbande bluten aus. Aus kleinen Rissen werden hässliche Wunden, wenn man das Gebot: „Kripf nicht.“ missachtet. Nicht hinschauen, nicht kratzen, nicht reiben. Und schon ist es passiert: Das Blut rinnt, macht hässliche Flecken, verschmutzt. „Hab ich es dir nicht gesagt?“ „Ja, Mama, hast du. Und ich habe dir nicht geglaubt. Und du hast recht behalten.“ Und so haben die Wunden keine Chance zu heilen, es bleiben die Narben. Über Generationen.

2015-06-06-22-30-13

Nur zaghaft entsorge ich die Bilder derer, die sie und mich gekränkt haben. Auch sie oder mich. Und dann immer heftiger. „Did anyone call the DRAMA LLAMA?“ Dann schon lieber gleich amputieren – ist das noch der Wundbrand, bereits die Säge oder sind es schon Phantomschmerzen. Prinzessin Mäusezahn trug dem 1. Offizier die Luftschlösser nach. Danke. Und niemand mehr muss danke sagen.

2015-06-03-20-44-35

Ich sage es gerne, weil es das warme Gefühl verankert einer Tasse Kaffee am Sterbebett, eines nachbarlichen Frühstücks, eines gekehrten Gartens, einer Packung Papiertaschentücher, geteilter Erinnerungen, einer Kinderzeichnung, einer Postkarte, eines Briefes, eines Photos mit Widmung. Danke für Reisesouvenirs und Stoffelefanten, für Bücher und Schneemannbauen, für Planschbecken und Wappelen, für Koffer und Burgen, eine Wiege und mehrere Madonnen – für Wertvolles und Werte und für die Menschen, die ich von meinen Eltern geerbt habe.

Und Danke jenen, die mich begleiten, mit mir teilen, lachen, weinen und mir ihre Liebe als Pflaster auf die Wunden kleben, die die Blutsbande mir geschlagen hat. Und dem 1. Offizier, der das Steuer behutsam in die Hand nimmt, wenn mir die Gischt zu hart ins Gesicht spritzt.
1012 mal erzählt

Zum Thema Acht schon was gem8

Und daher wird jetzt prompt recycled:

Dieser Text ist mein Wort Beitrag zumProjekt *.txt das achte Wort.
1424 mal erzählt

18
Mai
2015

Es ist nicht alles Gold….

Ein bisschen Gold bitte - kann auch ein wenig mehr sein.
Ein wenig Glanz bitte - an den richtigen Stellen.
Drama nicht vergessen bitte - zur Not im Haar.
Und große blitzende Augen bitte – die alles verstehen.
Und einen strahlenden Mund bitte – Lächeln inklusive.
Die zu selten getragene Bluse, die den Blick auf die rechte Brust erlaubt.
Der geliebte lange Rock, der den Hintern schwingen lässt.
Die Lieblingsstiefelchen, die in der langen Nacht nicht schmerzen.
Den Goldjungen an der Seite, dessen Lächeln alles gülden färbt.
Ein goldenes Herz serviert im Dienst der guten Sache –
Auch Gold ist ein kaltes Metall, sagte einst der Bürgermeister,
der den ersten Lifeball ermöglichte.
So bin ich zum Ball geschritten – Ver Sacrum.
So haben wir gewerkt, die goldigen jungen Menschen und ich.
Ein bisschen Glitzer abstauben, selbst ein wenig funkeln,
ein Blick hinter die Fassade, da oder dort.
Hinter meiner Fassade schlug ein pochendes Herz,
lebensgierig, in Gedanken an jene Menschen,
die ich so schätze und liebe,
deren Leben in Gefahr ist,
deren Herz bang,
weiches Gold.
Leben.
Jeden Augenblick.
vor
und
hinter
der
Fassade…..

2015-05-16-18-47-561

Dieser Text ist mein Wort Beitrag zum Projekt *.txt, das siebte Wort ...Danke, Neon Wilderness....
2014 mal erzählt
logo

Mock Turtle

Sit down, both of you, and don't speak a word till I've finished

Who sits there?

Du bist nicht angemeldet.

Im Bilde

shot_1292873874651

Soundtrack

Aktuelle Beiträge

Wenn ich schon geahnt...
dass ich an jenem Zuhause angekommen bin. Ich liebe...
katiza - 22. Feb, 15:42
Nach dem Text fürn Wolf...
Nach dem Text fürn Wolf musste ich schnell diesen nochmal...
viennacat - 14. Aug, 18:30
Danke für Worte die nur...
Danke für Worte die nur von Dir sein können ...
viennacat - 14. Aug, 18:27
Soooo schön und berührend....
Soooo schön und berührend. Danke!
testsiegerin - 14. Aug, 15:07
Pfiad di, Wolf
Bitte Nini, keine Lyrik. Das hast du mir geschrieben...
katiza - 14. Aug, 12:20

Es war einmal…

Gezählt

Meine Kommentare

Wenn ich schon geahnt...
dass ich an jenem Zuhause angekommen bin. Ich liebe...
katiza - 22. Feb, 15:42
Alle Kraft für ihn!
Alle Kraft für ihn!
froggblog - 10. Sep, 11:46
.
.
datja - 18. Jul, 18:34
Lieber Yogi, ein bisschen...
Lieber Yogi, ein bisschen frivol der Geburtstagsgruß...und...
datja - 5. Jul, 14:19
Hauptsach: Österreich...
Hauptsach: Österreich ist geil! Herr Nömix....
noemix - 5. Jul, 14:14

Meins

Creative Commons License
Dieser Inhalt ist unter einer Creative Commons-Lizenz lizenziert.

Augenblicke

www.flickr.com
Dies ist ein Flickr Modul mit Elementen aus dem Album Ausatmen. Ihr eigenes Modul können Sie hier erstellen.

Suche

 

Status

Online seit 6473 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 22. Feb, 15:42

Credits

kostenloser Counter




...und wartet...
*.txt
An- und Verkündigungen
Augenblicke
Aus dem Schatzkästchen der Mock Turtle
Bilanz
Cinematograph
Der Salon der Turtle
Freitagsfrüchte
Fundstücke
Homestory
In Reaktion
Journal November 2010
La Chanson
Lebens-Wert
Logbuch
... weitere
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren

kostenloser Counter